Augstein: "Was hätte ein Nicht-Nazi denn tun können? Er hätte als ein Held und Heiliger das tun können, was die Opfer selbst auch nicht getan haben ... Er hätte sich für seinen biblisch nächsten opfern können, mit seinem Leben. Das haben die Deutschen, das haben die Juden nicht getan. Kein moralischer Unterschied also zwischen der schweigenden Mehrheit der Deutschen und der schweigenden Mehrheit der Juden .."
Henryk M. Broder: "Und keiner stand auf und haute dem Rudi eine runter."[1]
Am 13. Mai soll der Spiegelherausgeber Rudolf Augstein "für sein Lebenswerk" in der Paulskirche den Börnepreis erhalten. Augstein habe, so der Kurator Frank Schirrmacher, der der es der Bundesrepublik ermöglicht habe "wieder in ein Gesprüch mit sich selber und der Umwelt einzutreten. Er hat dem Land damit die innere Freiheit wiedergegeben." [2] Mit Augstein wird ein klassischer "Salonantisemit" aus der Mitte der Gesellschaft geehrt und das auch noch mit dem nach einem jüdischen Journalisten benannten Preis.
Bereits 1949 erschien im Spiegel die 30-teilige Serie "Das Spiel ist aus - Arthur Nebe, Glanz und Elend der deutschen Kriminalpolizei"[3] Nebe trat im Juli 1931 der NSDAP bei und war seit 1937 Leiter des neugegründeten Reichskriminalpolizeiamtes. Als SS-Gruppenführer kommandierte er 1941 die Einsatzgruppe B die unter seiner Führung 45.467 Menschen, zumeist Juden, ermordete. Auf Himmlers Anweisung war Nebe auch an der Entwicklung neuer Massentötungsmethoden beteiligt. Er hatte auch Kontakte zu den Attentätern des 20. Juli.
Dieser Mann wurde in Augsteins Spiegel folgendermaßen dargestellt:
"Irrenhaus in Minsk. Irrenhaus in Smolensk: Hunderte ärmster Menschen, irre, tobsüchtige, in Lumpen gehüllte und heruntergekommene Menschen, ohne Nahrung und ohne Pflegepersonal. Nebe funkt an Heydrich. Antwort: ,Liquidieren!' Nebe ist konsterniert. Er geht selbst ins Irrenhaus. Unmöglich. Wie sollte man diese Leute erschießen? Das war schon rein technisch unmöglich. Man müsste sie festhalten, binden, um den Schützen einen einigermaßen sicheren Schuß zu ermöglichen. Die Exekution würde Tage dauern. Wer sollte das aushalten."[4]
Das ganze Mitgefühl der Spiegel-Redakteure gilt den Mitgliedern der Einsatzgruppe und ihren Schwierigkeiten, die eigenen Taten auszuhalten. Aber wie wir gleich danach erfahren, wußte Nebe als verantwortungsvoller Vorgesetzter eine Lösung:
In Nebe entsteht ein Plan. Er läßt einen Teil der Kranken in eine kleine Holzbaracke, eine Garage bringen und einen starken PKW vorfahren. Der auf hohen Touren laufende Wagen strömt seine Auspuffgase in den Raum. Aber die Garage ist nicht dicht. Erschauernd vor einem Guckloch erschrickt Nebe vor seiner eigenen Grausamkeit. Aber er muß irgend etwas unternehmen. Wieder ventiliert er das Erschießen. Unmöglich. Dann läßt er die Garage vollständig abdichten und wiederholt den Versuch mit einem noch stärkeren Wagen. Erfolgreich. (!) Nebe ist vollends am Ende. Er tröstet sich mit dem Gedanken, ordentliche Männer seiner Einsatztruppe vor der grauenvollen Exekution bewahrt zu haben.[5]
In diesem Stil kann der Autor, es handelte sich übrigens um den ehemaligen Mitarbeiter Nebes, Hauptsturmführer Bernd Wehner, über ein halbes Jahr lang von den Problemen des Massenmörders berichten, bevor Augstein selbst das Wort ergreift. Augstein lobt die außergewöhnlich lange Serie, die beim Spiegel-Publikum scheinbar große Resonanz gefunden hat, um dann zu betonen, "daß die Kriminalpolizei auf ihre alten Fachleute zurückgreifen muß, auch wenn diese mit einem SS-Rang angeglichen wurden."[6] Arthur Nebe charakterisierte der Spiegelherausgeber folgendermaßen:
Ein ängstlicher, anständiger (!), ehrgeiziger Beamter, der vor der Gewalt zurückwich, bis er sich selbst nicht mehr ins Gesicht gucken konnte. ... Wir sind alle kleine oder größere Nebes.[7]
Kein Vierteljahr später beginnt der Spiegel die Serie "Am Caffeehandel betheiligt (!) - Deutschlands Schmuggler"[8], geschrieben von den beiden ehemaligen SS-Hauptsturmführern Georg Wolff und Dr. Horst Mahnke. Darin wurden vor allem jüdische DP's für den Kaffeeschmuggel verantwortlich gemacht. Der Prozeß gegen den Spiegel, der von jüdischen Gemeinden in Bayern angestrengt worden war, endete mit einem Vergleich, in dem der Spiegel beteuerte, er wolle keineswegs zum Ausdruck bringen, daß "vornehmlich Menschen jüdischen Glaubens an dem Kaffeeschmuggel beteiligt sind."[9] Augstein äußert sich in einer Glosse zu den Vorwürfen. Er bestreitet antisemitische Tendenzen im Spiegel empört und verweist auf einen jüdischen Freund. Darauf beschreibt er den "Anwalt der bayrischen Judenheit" Joseph Klibansky:
Dieses Zwischending von einem römischen Volksredner und einem Teppichhündler aus Smyrna, dieser kleine dicke Mann, der mit der Behändigkeit eines Waschbüren und in dem Habitus eines Pinguin den Gerichtssaal durchmaß erwies sich als Gerichtsspieler mit einer unwahrscheinlichen Klaviatur.[10]
Um das Maß an antisemitischen Stereotypen voll zu machen, richtete Augstein daß Augenmerk auf die Augen Klibanskys, die sich angeblich in "rollende Mühlräder (die) drohend auf mich zuschossen" verwandeln konnten.[11] Die Autoren der Serie wurden trotz ihrer Vergangenheit beim SD zu Ressortleitern des Spiegel, womit Augstein zeigte, daß er das Zurückgreifen auf "alte Fachleute" nicht nur propagierte, sondern selbst praktizierte.
Zum 8. Mai 1985, mitten in der Auseinandersetzung um Kohls Verbrüderung mit Reagan über den Gräbern der Waffen-SS in Bitburg, meldete sich Augstein zum Thema Sieg oder Niederlage: "Wer, um Himmels willen, könnte ein Interesse daran haben, den 8. Mai zu begehen?" Um darauf gleich zu antworten, nur die Sowjets "um Keile und Keilchen zwischen ihre jetzigen Feinde zu treiben" und die Israelis, die "wollen die Erinnerung an die deutsche Schuld wachhalten, um materieller und rüstungstechnischer Gründe willen."[12] Walser hätte hier wahrscheinlich von der "Auschwitzkeule" und der "Instrumentalisierung unserer Schuld gesprochen." In solchen Fällen schreibt die Nationalzeitung, mit der Erpressung Deutschlands müsse endlich Schluß gemacht werden.[13]
Auch in aktuellen Diskussionen kommen immer wieder Augsteins antisemitische Stereotype zum Vorschein.
In der Mahnmaldiskussion schrieb Augstein:
Man ahnt, daß dieses Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet ist. Man wird es aber nicht wagen, so sehr die Muskeln auch schwellen, mit Rücksicht auf die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltgewand, die Mitte Berlins freizuhalten von solcher Monströsität.[14]
Die New Yorker Presse ist leicht als "jüdische" zu dechiffrieren und auch mit den "Haifischen" sind in der antisemitischen Welt Augsteins natürlich Juden gemeint. Aber neben Geld- und Machtgier wirft Augstein den Juden auch noch vor, sie würden "untauglichen Boden mit Antisemitismus düngen, wenn den Deutschen ein steinernes Brandmal aufgezwungen wird."[15] Das am Antisemitismus in Deutschland im wesentlichen die Juden Schuld sein müssen, beschäftigt Augstein so sehr, dass er dieses Motiv etwas weiter im Text nochmals aufnimmt:
Ließen wir den von Eisenmann vorgelegten Entwurf fallen, wie es vernünftig wäre, so kriegten wir nur einmal Prügel in der Weltpresse. Verwirklichen wir ihn, wie zu befürchten ist, so schaffen wir Antisemiten, die vielleicht sonst keine wären, und beziehen Prügel in der Weltpresse jedes Jahr und Jahrelang, und das bis ins siebte Glied.[16]
Und als wäre das antisemitische Klischee der alttestamentarischen Rachsucht noch nicht genug des schlechten, griff Augstein auch noch Bubis als Überlebenden an, indem er ihn "für solch ein diffiziles Unternehmen zu befangen" hielt.[17] Im Gegensatz zum objektiven Ex-Wehrmachtsoffizier Augstein natürlich.
Augstein unterstützte Walser vollstündig und warf Bubis "einen gehörigen Mangel an Urteilsvermögen" vor.[18] Bubis bezeichnete die Reaktion Augsteins dann auch zurecht als "die schlimmste Reaktion auf Walsers Rede."[19]
[1] Henryk M.
Broder, Der Ewige Antisemit S. 108
[2] zitiert nach
Der Standard, 13.6.2000: Rudolf Augstein erhält für sein Lebenswerk
Ludwig-Börne-Preis 2000
[3] Spiegel Nr.
40/1949-16/1949, Die Serie sticht durch
ihre Dauer und die Länge ihrer einzelnen Beiträge hervor. Der Spiegel bestand
damals nur aus etwa 40 Seiten pro Ausgabe und die Serie nahm davon in der Regel
7-8 Seiten, also fast 20%, in Anspruch.
[4]
Spiegel 4/50
S. 25
[5]
Spiegel 4/50
S. 25-26
[6]
Spiegel
17/1950 S. 2
[7]
Ebd.
[8]
Spiegel
27/1950-40/1950
[9]
Spiegel
31/1950 S. 35
[10]
Ebd.
[11]
Ebd.
[12]
Zitiert
nach Henryk M. Broder, Der Ewige Antisemit S. 110
[13]
Henryk M.
Broder, Der Ewige Antisemit S. 110
[14]
Spiegel
49/1998 S. 32
[15]
Spiegel
49/1998 S. 33
[16]
Spiegel
49/1998 S. 33
[17]
Zitiert
nach: Joachim Rohloff, "Das Weltjudentum ist eine große Macht" in Konkret1/99
S. 15
[18]
Zitiert
nach AK 421
[19]
Ignatz
Bubis im Gespräch mit Hermann L. Gremliza in Konkret 2/92 S. 12