Seit November 1999 geistern sie durch die gesellschaftlichen Diskussionen, die sogenannten "GlobalisierungsgegnerInnen", das "Volk von Seattle". Keineswegs eine homogene Gruppe, vielmehr ein breites Spektrum Aufständischer. Während der Großteil von ihnen im allgemeinen nach jedem Gipfel von der Bühne der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit verschwindet, drängeln sich einige reformistische Gruppen gerade zu in das Licht der Öffentlichkeit. Wie Motten hängen sie an den Schweinwerfern der Fernsehkameras, allzeit bereit sich von einem, dem radikalen - eben nicht reformistischen - Teil zu distanzieren und im gleichen Atemzug ihre Bettelbriefe an "die Mächtigen" abzugeben. Der erfolgreichste Vertreter dieser öffentlichkeitsheischenden Gruppen ist sicherlich ATTAC, hinter dessen kämpferisch-aggressiven Namen sich eher ein reformistisches Programm als ein Aufruf zu entschiedener Veränderung verbirgt.
Seit neuestem haben auch unsere Nazis dieses weite Themenfeld für sich entdeckt, verbreiten ihre menschenverachtende Propaganda via www.gegen-globalisierung.de, mobilisieren zum Aufmarsch am1. Mai unter dem Motto "Vielfalt statt Globalisierung" nach Frankfurt. Nichts besonderes, könnte mensch meinen, instrumentalisieren doch die selbst ernannten "Herrenmenschen" alles was sie für irgendwie öffentlichkeitswirksam halten um ihre rassistische und antisemitische Hetze zu verbreiten. Doch allein durch Opportunismus ist es nicht zu erklären, wenn sich Faschisten auf einmal als Teil der "Antiglobalisierungsbewegung" sehen. Einer Bewegung, die bisher eher mit der Forderung nach "globaler Gerechtigkeit" oder "mehr Sozialstaat" statt mit Nationalismus und Rassismus in den Medien präsent war.
Spätestens wenn mensch die Äußerung der Nazis mit denen reformistischer
GlobalisierungskritikerInnen vergleicht, wird deutlich, wo der Hund begraben
liegt: Nämlich in einer, grade auch bei großen Teilen dieser reformistischen,
angeblich Linken, GlobalisierungskritikerInnen verbreiteten, verkürzten
Analyse des Kapitalismus.
Während die Nazis von "Freihandelsextremismus" und in alter antisemitischer
Weltverschwörungsmanier von der "internationalen Hochfinanz"
fabulieren, dabei den Nationalismus, bzw. den Nationalstaat vom "Liberalismus"
bedroht sehen und sich die "Ausbeutung der deutschen Arbeiter durch den
Raubtier-Kapitalismus der US-Ostküste" herbei halluzinieren, sehen
ATTAC und Konsorten ganz klar, dass "Die Wurzel des Übels in der zunehmenden
Ausrichtung der Wirtschaft auf die Finanzmärkte liegt". Nicht dass
ATTAC nun mit den Nazis in einen Topf zu schmeißen wären, ihre Analysen
des kapitalistischen Systems sind jedoch annähernd gleich oberflächlich.
Wer wie ATTAC, für die "Besteuerung internationaler Geldströme" durch die Tobin-Steuer, die Stärkung der Nationalstaaten hin zu einem idealisierten "60er Jahre-Idyll" inkl. Vollbeschäftigung kämpft, und ganz nebenbei auch noch "neue Regulierungs- und Kontrollinstrumente" für nötig erachtet, kommt zwar zu dem Schluss, dass die Herrschenden fies und unfair sind, denn: "So haben die internationalen Finanzinstitutionen und die großen Medien - die sich in der Mehrzahl im Besitz von Anhängern der Globalisierung befinden - eine Idee des amerikanischen Nobelpreisträgers für Wirtschaft James Tobin, die spekulativen Transaktionen auf den Devisen Märkten zu besteuern, einfach totgeschwiegen.", vergisst aber, dass kurz gesagt auch in der Zeit der Vollbeschäftigung, ein durchaus nicht kleiner Teil der Bevölkerung, erinnert sei nur an die Lebens- und Arbeitsbedingungen sogenannter "Gastarbeiter", mit quasi unmenschlichen Lebensbedingungen konfrontiert war.
Die dem kapitalistischen System innewohnenden Herrschaftsstrukturen, Ausbeutungsverhältnisse und sozialen Ungleichheiten blendet ATTAC konsequent aus und kommt so zu einer "Analyse", die von einem "entfesselten Raubtierkapitalismus" und "außer Kontrolle geratenen Finanzmärkten" schwadroniert, deren Bändigung uns Glückseligkeit verspreche, wobei ein Teil der dabei abfallenden Einnahmen aus der Tobin-Tax - in alter deutsche Gutmenschenmanier - in den Trikont überwiesen werden könnten.
Ja, tatsächlich, auch die hässlichen deutschen Faschisten finden ihren Platz in der Reihe derjenigen "GlobalisierungsgegnerInnen", deren Kapitalismuskritik so verkürzt ist, dass sie schon kaum mehr als KritikerInnen, sondern eher als vorsichtige BedenkenträgerInnen wahrnehmbar sind.
In guter Gesellschaft erkennen inzwischen auch die "Jungen Nationalen":
"Diese Entmachtung des Staates gibt den internationale Großunternehmen
die Möglichkeiten, ihre eigenen (globalen) Interessen besser durchzusetzen
und bei Nichterfüllung ihrer Forderungen dem Staat mit einer Abwanderung
ihrer Firmen in Billiglohnländer zu drohen. Dadurch werden die Interessen
und Anliegen des Volkes zugunsten des Profitdenkens der Großindustrie
vernachlässigt und letztendlich völlig aus der Diskussion gebracht".
Versuchen sie doch immer wieder eine Bedrohung "des Deutschen" durch
äußere Kräfte zu suggerieren, um die "Vereinzelten"
in der Volksgemeinschaft zusammenzuschweißen.
Sie wollen ein nationales Kollektiv, das Schutz vor Ausbeutung durch transnationale
Firmen, die Stärkung der eigenen Position gegenüber Schwächeren
und die damit verbundene Potenzierung des eigenen Selbstwertgefühls verspricht.
Außer der Abgabe des Hirns an der Garderobe kann es jedoch kaum einem
Anspruch genügen - stattdessen bleiben in dem Konstrukt des Volksstaates
auch noch der letzte Rest Individualität zugunsten einer - dann halt national
gesinnten - Ausbeutung und Unterdrückung auf der Strecke. Die notwendigen
Abgrenzungen nach innen und außen hingegen werden mit der gewohnten bestialischen
deutschen Gründlichkeit vollzogen - die Rolle des Buhmanns spielt in Deutschland
ja traditionell die schwächste gesellschaftliche Gruppe.
Es zeigt sich also mal wieder, dass Antisemitismus oft nichts anderes als Antikapitalismus
für Dumme ist.
Der Fehler, der dieser - von Attac bis zu den Nazis - gnadenlos verkürzten,
bisweilen strukturell antisemitischen Kritik an der "Globalisierung"
zugrunde liegt, ist das Fehlen eines Verständnisses vom Kapitalismus als
letztendlich totalitärem System.
Dies führt dazu, dass nicht nur die Nazis auf die seltsame Idee kommen,
es gäbe gutes ( weil "schaffendes") produzierendes Kapital und
böses (weil raffendes) und meistens noch angeblich "jüdisches"
Finanzkapital, wobei die Bilder des "Raubtierkapitalismus" nicht weit
entfernt von denen der "jüdischen Finanzhaie" sind.
Die bösen Spekulationsgeschäfte an den Börsen sind jedoch nichts anderes als die notwendige Konsequenz einer Gesellschaftsordnung, die auf der zwanghaften Vermehrung des vom konkreten Nutzen abstrahierten Wertes aufbaut. In der also Profit um des Profites willen und unabhängig vom Nutzen für die Menschen produziert werden muss.
Von daher erfüllt der Gemüsehändler um die Ecke genauso seine
Funktion innerhalb des kapitalistischen Systems wie die transnationalen Konzerne
und Institutionen wie die Welthandelsorganisation (WTO). Sie alle sind Teil
der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, deren Grundlage für die Profitbildung
die Verwertung der menschlichen Arbeitskraft ist. Daher verbietet sich bei allen
folgenschweren Entscheidungen, die von den Repräsentanten von Organisationen
wie der WTO getroffen werden, eine personalisierende Schuldzuweisung an diese,
genauso wie ein Flehen und Bitten, warum sollten sie auch freiwillig den grade
erst erwirtschafteten Profit, die erprobten Zwangsverhältnisse aufgeben?
Siehe da, die "Globalisierung" ist weder ein neues Phänomen [so
war doch schon in den 70ern bekannt, dass irgendwo Menschen für unseren
Lebensstandard verrecken] noch irgendein teuflischer Plan von finsteren Geheimbünden,
herzlosen Herrschenden oder transnationaler Schurkenkonglomerate [firmen], sie
nutzen höchstens die Gunst der Stunde, um die nach dem Ende des Ostblocks
verfügbaren neuen Märkte zu versorgen und alle damit in Verbindung
stehenden Vorteile auszuschöpfen.
Dass das kapitalistische System in sich einen expansiven Charakter beinhaltet,
ist auch so neu nicht, dass dabei die Grenzen der, übrigens auch mit der
Entwicklung des Kapitalismus entstandenen, Nationalstaaten überschritten
werden ist also nur logische Konsequenz. Dadurch wird aber weder das Ende der
bürgerlichen Nationalstaaten eingeläutet noch wäre das beklagenswert.
Denn grade dieser Staat als Institution schafft die Grundlagen für das
Funktionieren des kapitalistischen Systems, in dem er nach Innen wie nach Außen
mit seinem Gewaltmonopol die Eigentums- und Produktionsverhältnisse aufrechterhält
und gesellschaftliche Normen vorgibt und durchsetzt, sei es durch die Weitergabe
[Reproduktion] patriarchaler Herrschaftsmuster in der "Kernfamilie"
als "Keimzelle der Gesellschaft", in der die Frau zuhause putzt und
für die Regeneration der "männlichen" Arbeitskraft zuständig
ist und nebenbei die Kids ihre zukünftigen Rollenbilder vorgelebt und eintrainiert
bekommen; sei es durch rassistische Grundstimmungen, die alle "andersartigen"
stigmatisieren. Manigfaltige Herrschaftsstrukturen sorgen für die sichere
Einordnung des Individuums in das kapitalistische System und dessen - hoffentlich
- reibungsloses Funktionieren.
Es ändern auch diverse sozialstaatliche (Ab)sicherungen nichts an den Zwangsverhältnissen,
denen Menschen im Kapitalismus unterworfen sind, sorgen sie doch im Idealfall
für die Wiederherstellung der Arbeitskraft, zur Aufrechterhaltung eines
Reservoirs an Arbeitskräften, zur Befried(ig)ung "ungehorsamer Warnstreikender"
oder auch zur Verschleierung eben dieser real existierenden Herrschafts,- Ausbeutungs,-
und Unterdrückungsverhältnissen, und auch wenn der Wunsch nach "Vollbeschäftigung"
verständlich ist, beinhaltet er doch kaum emanzipatorische Momente.
Der radikalste Ansatz in der "Antiglobalisierungsbewegung" wird dann
eben auch konsequent von den Nazis bis zu ATTAC abgelehnt: Von den Medien als
"Black Block" bezeichneten Gruppen, die unmittelbar als Schutz gegen
prügelnde Polizisten, aber auch mit militanten Aktionen gegen kapitalistische
Symbole wie Banken und Polizeistationen in Erscheinung treten, formulieren die
deutlichste Absage an jede Sinnstiftung für Volk und Kapital: "Es
gibt keine Alternative zur Revolution!"
Denn wer gegen den globalen Markt agiert und auf Staatskritik und die eigenständige
Thematisierung von Herrschaftsverhältnissen, Rassismus, Sexismus, patriarchalen
Strukturen sowie deren Funktion und Einbettung in das kapitalistische Gesellschaftssystem
verzichtet, der wird nicht nur reformistisch, sondern unter gegebenen Umständen
reaktionär, und wer sich dazu noch ständig auf seine eigene Gewaltfreiheit
beruft, hängt doch nur am Rockzipfel des staatlichen Gewaltmonopols.
Eine vernünftige Kritik an den sich verschärfenden miesen Verhältnissen
muss sich also den Vorstellungen eines "geregelten Kapitalismus im Sozialstaat"
à la ATTAC und DGB ebenso widersetzen wie der bierseligen Dummheit eines
Nazi-Volksstaates und den Kapitalismus als das kritisieren, was er ist: ein
totalitäres System, das auf der Verwertung jedes und jeder, sozialer Ungleichheit,
Zwang und Ausbeutung basiert, welches nicht reformierbar, sondern nur abzuschaffen
ist.
Um nicht wie das Kaninchen vor der Schlange zu erstarren, sondern um eine wirkliche
Perspektive für eine herrschaftsfreie Gesellschaft zu eröffnen und
diese Vision als Alternative zum bestehenden Wahnsinn von Nation und Kapital
aufzuzeigen, gilt es, verkürzte Kapitalismuskritiken zu thematisieren,
eigene Positionen zu formulieren und die bestehenden Verhältnisse radikal
anzugreifen.
Nicht nur am 1. Mai und grade auch im Rhein-Main Gebiet - nach wie vor gilt,
dass das beste Mittel gegen Nazi eine radikale Linke ist, die die Vision von
einer besseren Gesellschaft jenseits des Kapitalismus ernst nimmt und aktiv
umsetzen will.
autonome Antifa - initiative frankfurt [if]