Rückblick auf den ersten Mai 2001

Vorgeschichte

Seit etwa 1999 war bei AntifaschistInnen bekannt, daß Frankfurt als Aufmarschort in der NPD und den freien Kameradschaften im Gespräch war. Nachdem die letzte Kundgebung der "Bürger für unser Land" am 25.03.2000 durch eine Blockade von AntifaschistInnen am Börsenplatz verhindert wurde, rechneten einige damit, daß die lokalen Nazistrukturen um die Familie Paulitsch aus Offenbach es nur noch in Zusammenarbeit mit bundesweiten Nazistrukturen in Frankfurt versuchen würden.

Antifaschistische Mobilisierung

seit Mitte Februar 2001 war bekannt, daß Nazis am 24.01.2001 eine Demonstration vom Frankfurter Hauptbahnhof zur Europäischen Zentralbank mit dem Motto "Globalisierung stoppen" angemeldet hatten. Die Frankfurter Presse schrieb nur von einer Deutschen Bürgerinitiative, die eine Kundgebung angemeldet hätte. Unsere erste Aufgabe war die, Organisationen, Parteien und die Öffentlichkeit zu informieren, das der Anmelder Steffen Hupka nicht irgendjemand ist, sondern ein Führungskader der NS- Bewegung, und das die Bürgerinitiative nur der Tarnname für die freien Kameradschaften ist, und das daher mit mindestens tausend militanten Nazis zu rechnen sei, und nicht mit fünfzig Unentwegten. Die Frankfurter Rundschau zeigte sich an diesen Informationen und Einschätzungen nicht interessiert, und wollte anscheinend mit der Strategie des Verschweigens keine Publizität für die Nazis herstellen.
Auch viele AntifaschistInnen waren bis Ende Februar skeptisch, ob die Anmeldung ernst zunehmen ist, gibt es doch auch die Strategie der Nazis, an vielen Orten gleichzeitig anzumelden, um schließlich nur in einer Stadt zu marschieren. Ende Februar wurde offensichtlich, das die Nazis mit einer großen Mobilisierung für Frankfurt begonnen hatten, mit Plakaten, Redeliste, Flugblättern, und einer Maifeier nach Ende der Demonstration. Nachdem die Nazis die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten unter Beweis gestellt hatten, begannen wir mit der Mobilisierung und Planung von Gegenaktivitäten.
Anfang März wurde das Aktionsbündnis 1.Mai - Kein Naziaufmarsch gebildet, das zuerst für eine Platzbesetzung, und falls dies nicht gelingen sollte, zur Blockade der Anfahrtswege und Marschroute der Nazis aufrief. Unter dem Motto "Den Nazis auf die Pelle rücken" brachte das Aktionsbündnis ein Plakat und eine Mobilisierungszeitung in fünfstelliger Auflage heraus, dazu gab es viele Aufkleber. Mitten in die Vorbereitung platzte die Nachricht, das die "Bürger für unser Land" eine Kundgebung etwa auf der Route des Naziaufmarsches vom Hauptbahnhof für den 7.April angekündigt hatten. Ein neuer Schwerpunkt unserer Informationspolitik lag darin, nicht auf ein Demonstrationsverbot zu hoffen, und darauf hinzuweisen, das die Nazis fast alle Demonstrationen vom Bundesverfassungsgericht gestattet bekommen hatten. Wie richtig diese Informationspolitik war zeigte sich am 7.4., als der Hessische Rundfunk in den Nachrichten verkündete, das die Nazikundgebung verboten sei, obwohl die Entscheidung vor dem BVG noch nicht getroffen worden war.
Ein weiterer Schwerpunkt unserer Informationspolitik war die Informierung in den betroffenen Stadtteilen: wir verteilten im Bahnhofsviertel, im Ostend und zuletzt auch im Dornbusch ein viersprachiges Flugblatt in die Briefkästen, in dem die AnwohnerInnen auf eventuell anstehende Ereignisse am 7.4. und am 1.5. vorbereitet wurden. Stadtweit wurde die Zeitung und Flugblätter in Jugendzentren, Kneipen, Kinos, MigrantInnen -vereine, Buchläden und anderen Orten ausgelegt, es gab insgesamt sieben Informationsveranstaltungen in Frankfurt und anderen Städten (Marburg, Darmstadt, Mainz, Göttingen, Gießen), zu denen mehrere hundert BesucherInnen kamen.
Auch bundesweit wurden insbesondere antifaschistische Gruppen frühzeitig vom Aufmarsch informiert, im Antifaschistischen Infoblatt, der Interim (Berlin) und anderen Stadtzeitungen gab es Kurznachrichten zum 1.Mai in Frankfurt.

Die Nazis der freien Nationalisten und Kameradschaften

Offensichtlich wurde der Vorschlag von Steffen Hupka, ein Aufmarsch in Frankfurt, erstmals im September/Oktober 2000 in NPD -Gremien und anderen Strukturen diskutiert. und traf sich unserer Einschätzung nach mit den Wünschen lokaler Strukturen. Geplant war die Aktion auf der völkisch antikapitalistischen Agitationslinie der militanten Nationalsozialisten, gleichzeitig richtete sie sich gegen die "starke antifaschistische Bastion Frankfurt", so der militärische Jargon von Steffen Hupka in seiner Stellungnahme vom 5.5.01. Die angebliche Bedeutung Frankfurts als "Hochburg der Volksfeinde" wurde auch überhöht, um in den eigenen Reihen zu werben und zu mobilisieren. Mit dem Konzert von drei faschistischen Skinheadbands im Anschluss an den Aufmarsch sollte in der rassistischen Jugendsubkultur geworben werden, die unorganisierten Skinheads mobilisiert werden, denen Kundgebungen zu lasch sind. Als Ende Februar fünf 1.Mai- Demonstrationen von der NPD in Konkurrenz zu Frankfurt angemeldet wurden (Berlin, Essen, Mannheim, Augsburg, Dresden), waren die Organisatoren der Frankfurter Aktion aus freien Kameradschaften kurz davor, die Veranstaltung abzusagen. Diese Spaltung zwischen freien Kameradschaften und NPD hat sich weiter vertieft, so sind inzwischen der Anmelder des letzten 1.Mai Hupka und ein Redner, der NPD -Landesvorsitzende Schleswig Holstein Peter Borchert, aus der NPD ausgeschlossen worden. Trotzdem ruft auch dieses Jahr die Frankfurter NPD mit den freien Nationalisten Rhein Main gemeinsam zum Frankfurter Aufmarsch der freien Kameradschaften auf. Zwei Tage vor dem Aufmarsch im letzten Jahr richteten die Nazis an einem unbekannten Ort in Frankfurt eine sogenannte Einsatzzentrale ein, in der der Anmelder und NPD-Mitglieder aus Frankfurt die Aktion koordinierte.
Am 1.Mai trafen die ersten Nazis um 9.30 Uhr in Kalbach auf dem Park and Ride Parkplatz der U-Bahn - Linie 2 ein. Wie angekündigt wollten die Nazis von dieser Sammelstelle aus gemeinsam zur Bertramswiese am Hessischen Rundfunk fahren. Die Abfahrt der zwei Sonderzüge wurde von der Polizei bis 11.45 Uhr hinausgezögert. Die tausend Nazis brauchten für die Fahrt und den Weg zur Bertramswiese mehr als eine Stunde (dazu später). Nach 2,5 Stunden Kundgebung auf dem Parkplatz vor dem Hessischen Rundfunk konnten die Nazis in Verhandlungen mit der Polizei nur noch erreichen, das sie ca. 3 km bis zu ihren herangebrachten Bussen laufen dürfen, der Aufmarsch zur Bundeszentralbank war ihnen verwehrt worden. Mit Parolen wie "Ausländer raus" oder "Ali, Mehmet, Mustafa, geht zurück nach Ankara" zogen die Nazis an den fassungslosen, überraschten und wütenden AnwohnerInnen in Eckenheim vorbei. Erst um 17.30 Uhr konnten die Nazis nach langem Warten Frankfurt in den Bussen über die Autobahn Richtung Norden verlassen, und fuhren kurz nach Kalbach, um auf die PKWs umzusteigen. Viele Nazis fuhren nach Hause, ein großer Teil versuchte nach Lützellinden bei Gießen zu kommen, wo auf einem Wiesengelände eines NPD- Mitglieds (Frank Ludwig) das angekündigte Konzert stattfinden sollte. Die Polizei hatte das Gelände und den Ort weiträumig abgesperrt, so das die angereisten Nazis ohne Konzerterlebnis nach Hause fahren mussten. 65 Nazis aus Thüringen machten aus Frust eine kurze Demonstration in der Gießener Innenstadt. In ihren Stellungnahmen vermeldeten die Nazis diesen Tag zwar als Erfolg, und kündigten ihr baldiges Kommen für 2001 in der "Höhle des Löwen" (Thüringer Nazis / NSAW am 2.5.) an, jedoch zeigten sie sich beeindruckt von "Anzahl und Agressivität" der AntifaschistInnen (Hupka am 5.5.01), beklagten zahlreiche Verletzte, die auch durch die feindliche Strategie der Polizei verursacht worden wäre, die die Nazis ungeschützt der Antifa ausgeliefert hätte. Auch wenn die Nazis ihre Überlegenheit nicht infrage gestellt sahen, und den 1.Mai als durchgehaltene Mutprobe feierten, vielen war es am Abend anzusehen, das sie froh und erleichtert waren, aus Frankfurt draußen zu sein.

Gewerkschaften und Bündnis

Erstes Interesse der DGB-Führung am 1.Mai war es, politische Hegemonie auszuüben, dies heißt nicht zu zulassen, das sich Initiativen unabhängig vom DGB entwickeln. Diesen Versuch haben wir von vorneherein mit unserer Mobilisierung um 9.30 Uhr zum Willy -Brandt -Platz unterlaufen. Obwohl der DGB wahrscheinlich schon frühzeitig von Polizei und Ordnungsamt über den "wahren" Demonstrationsort der Nazis unterrichtet war (Dornbusch / Bundesbank statt Hauptbahnhof / EZB), mobilisierte der DGB weiter zum Günthersburgpark mit dem Demonstration zum Römerberg, und anschließend um12.30 Uhr zum Willy Brandt Platz gemeinsam mit dem Römerbergbündnis, dies heißt zeitlich und räumlich fern und in Konkurrenz zu den Aktionen am Ort des Geschehens. Auch die anderen antifaschistischen Organisationen und Bündnisse wurden von der DGB- Führung nicht über die Demonstrationsanmeldung der Nazis zur Bundesbank informiert, erst eine Woche vor dem ersten Mai wurde diese Route allen bekannt. Intern wurde Druck auf Gewerkschaftsmitglieder ausgeübt, auf keinen Fall zu direkten Verhinderungsaktionen des Aktionsbündnisses zu mobilisieren oder aufzurufen. Am Tag selbst verhinderten DGB-Funktionäre gemeinsam mit der Polizei, das eine Gruppe GewerkschafterInnen (IG Metall, GEW) aus der 1.Mai-Demonstration am Alleenring Richtung Dornbusch abbiegen konnte, und auch später wurden AntifaschistInnen während der Kundgebungen am Römer und Willy-Brandt-Platz von der Polizei daran gehindert, Richtung Norden zu ziehen. Zu einer besonders heftigen Auseinandersetzung kam es, als eine große Gruppe anatolische Linke versuchte, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Währenddessen schwang der DGB-Kreisvorsitzende Harald Fiedler verbalradikale Reden, und bedankte sich Oberbürgermeisterin Roth (CDU) auf dem gleichen Podium bei der Polizei.
Die Telefonkette gegen Rechts mit ihren Treffen in der Frankfurter Katharinenkirche an der Hauptwache entwickelte sich vor dem ersten Mai von einer kleinen BürgerInneninitiative zum Treffpunkt aller Organisationen, Funktionäre und Einzelpersonen, die nicht dem linksradikalen Aktionsbündnis 1.Mai angehörten. Diese Treffen waren keine klassischen Bündnisgespräche, sondern eine Mischung aus Vollversammlung mit Entscheidungsfindung und Diskussions- und Informationsveranstaltung, in denen die Beteiligung wechselte, und verschiedene politische Positionen oft unverbunden nebeneinander existierten. Trotzdem kann im Kern eine Linie der Politik der heutigen Anti -Nazi - Koordination festgestellt werden:

Der 1.Mai 2001 aus unserer Sicht

Eine Woche vorher erfuhren wir, dass der Aufmarschort der Nazis die Bertramswiese im Dornbusch sein würde. Wir hatten bekanntlich fast zwei Monate lang für 9.30 Uhr zum Willy Brandt Platz mobilisiert, und setzten kurzfristig für 9.00 Uhr einen Sammlungsort im Dornbusch fest. Einige hundert bewegliche AntifaschistInnen konnten sich trotz ersten Festnahmen, Platzverweisen und Einkesselungen im Norden der Bertramswiese festsetzen, was sich kurz später als großer Vorteil herausstellen sollte. Auf dem Willy Brandt Platz sammelten sich ab 9.30 Uhr bis zu 2000 AntifaschistInnen, die nacheinander in sieben Demonstrationszügen Richtung Dornbusch aufbrachen.
Die Polizei konnte nur die ersten Züge aufhalten, und war danach kurzzeitig von der Anzahl der Einsatzorte überfordert. Ab 11 Uhr wurde bekannt, das die Nazis von Kalbach aus mit zwei U-Bahn-Zügen oberirdisch zum Dornbusch gebracht werden sollen. Die U-Bahnstrecke wurde ab 11.45 Uhr mit Barrikaden blockiert, was zu einigen größeren Polizeieinsätzen führte, die einige Festnahmen und Verletzte zur Folge hatten. Trotz der Zersplitterung der antifaschistischen Kräfte gelang es diesen später den ersten Zug mit 800 Nazis kurz vor der Haltestelle Dornbusch mit Wurfgeschossen anzugreifen. Etwa 10 Minuten konnte dieser Zug angegriffen werden, fünfzehn Minuten später wurde auch der zweite Zug mit 100 bis 200 Nazis angegriffen. Erst nach einem Wasserwerfereinsatz konnte die Polizei den Nazis den Weg zum Kundgebungsplatz freimachen. Inzwischen etablierten sich verschiedene Blockadepunkte auf der Demonstrationsroute der Nazis, die später zum Teil eingekesselt wurden. Ein größerer Demonstrationszug von etwa 1000 AntifaschistInnen wurde von der Polizei am Alleenring gestoppt und trotz Verhandlungen nicht auf die Marschroute der Nazis durchgelassen. Bis 15 Uhr blieb die Lage stabil, die Nazikundgebung lief hinter zwei Polizeiabsperrungen, und alle warteten darauf, ob sie versuchen würden zu marschieren. Weil sich zusätzlich zu den Blockadepunkten zahlreiche Gruppen im Stadtteil bewegten, war die Situation für die Polizei tatsächlich sehr unübersichtlich. In Verhandlungen mit den Anmeldern des Naziaufmarsch setzte sie durch, daß die Nazis auf ihre Demonstration verzichten müssen, ihnen wurde aber der Rückweg zu den Bussen ermöglicht, weil die Polizei keine andere Alternative hatte, um die Nazis unversehrt aus Frankfurt herauszubringen. Als kurz vor 16 Uhr der Abmarsch der Nazis begann, setzte der Wettlauf der AntifaschistInnen um die Polizeiabsperrungen vom Westen in den Nordosten ein, zum Abfahrtsort der Nazis. Tatsächlich konnte die Abfahrt der Busse durch eine Blockade von tausend AntifaschistInnen eine dreiviertel Stunde verzögert werden, zwei Busse wurden noch bei der Abfahrt beschädigt. Erst durch einen heftigen Knüppel - und Wasserwerfereinsatz wurde die Blockade aufgelöst.
Insgesamt wurden an diesem Tag 110 DemonstrantInnen festgenommen, und zahlreiche AntifaschistInnen durch die Polizeiangriffe verletzt. Die Anzahl der aktiven AntifaschistInnen im Dornbusch war schwer abzuschätzen, vermutlich waren bis zu dreitausend AntifaschistInnen in den Stadtteilen unterwegs. MigrantInnen, alte Linke, autonome Antifa, SchülerInnen, StudentInnen, GewerkschafterInnen, Jugendliche aus den umliegenden Stadtteilen haben sich gemeinsam an den Aktionen beteiligt. Der 1.Mai war die erfolgreichste linke Mobilisierung der letzten zehn Jahre in Frankfurt, und kam fast ohne bundesweite Unterstützung aus. Und wir hoffen, daß der 1.Mai 2002 genauso erfolgreich wird.