Frankfurt: Ein halbes Jahr später: Nichts ist klarer geworden.
Mitteilung zu den "Frankfurter September-Vorfällen"

Anfang September letzten Jahres wurden wir aufgeschreckt: Wir wurden informiert, dass ein langjähriger linksradikaler Aktivist unter einem Vorwand von Unbekannten an eine einsame Stelle am Main gelockt, dort von mehreren bewaffneten Männern bedroht, an den Füssen gefesselt und trotz Asthma gezwungen wurde unter Lebensgefahr durch den Fluss zu schwimmen. Die Umstände der Tat waren mysteriös, die Täter aus den Äußerungen des Genossen nicht klar einzuordnen und Motiv und Zweck der Tat vage. Von dem Genossen selbst und den zuerst informierten Genossinnen und Genossen wurde die Tat als Mordversuch gewertet. Verabredet wurde, möglichst zügig die Linke in Frankfurt zu informieren und an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Gruppen, in denen der Genosse aktiv gewesen war, versuchten, eine Mitteilung über den Vorfall auf einen linken email-Verteiler zu setzen. Das sollte Schutz für den betroffenen Genossen schaffen und allen die Möglichkeit geben, Vorbereitungen zu treffen, falls die Tat kein einzelnes Ereignis sein sollte, sondern der Beginn einer Terrorkampagne gegen linke Kräfte. Die Aktivitäten und die politische Biografie des betroffenen Genossen ließen gerade dies als eine Möglichkeit erscheinen.

Eine Woche später sollte auf einem Treffen, gemeinsam mit dem Genossen, eine Pressekonferenz und das weitere Vorgehen besprochen werden. Am selben Tag war der Genosse verschwunden. Nach 24 Stunden tauchte er verletzt wieder auf und berichtete, dass er vor seinem Haus entführt, an einem unbekannten Ort verbracht und dort verhört wurde. Nach einigen Tagen ging eine Presseinformation heraus, die von einigen Gruppen unterzeichnet war. In dieser Erklärung wurde von einem Mordversuch als Tatsache gesprochen; es wurden aber weder die Umstände, noch, auf Drängen des betroffenen Genossen, sein Name und sein politischer Zusammenhang benannt. Diese Erklärung wurde über Internet verbreitet und in verschiedenen linken Zeitungen publiziert. Da sich der Vorfall ohnehin schon bundesweit herumgesprochen hatte, führte diese Erklärung aber nicht zu einer fundierteren Grundlage der Diskussionen, sondern verstärkte die Spekulationen und ein allgemeines Bedrohungsgefühl. Ursprünglich sollte auch eine Pressekonferenz stattfinden. Aber dazu kam es nicht mehr. Eine weitere, die Vorfälle aufklärende öffentliche Information gab es bis heute nicht.

Seit dem ist über ein halbes Jahr vergangen. Nach anfänglichen Großplena wurde ein Delegiertenkreis ins Leben gerufen und eine Gruppe beauftragt, die Umstände der Taten zu recherchieren mit dem Zweck, die Täter politisch und praktisch zu lokalisieren. Das war mit großen Schwierigkeiten behaftet: so gab es z.B. keine systematischen Berichte des betroffenen Genossen und es konnten keine Spuren gefunden und verifiziert werden. Inzwischen liegt ein Text aus dem Kreis der Recherchegruppe vor. Es gelang nicht die möglichen Täter einzugrenzen, noch die Taten selbst zu erhellen oder auch nur zu bestätigen. Letztlich reduzierte sich die Arbeit darauf, zu versuchen die Vorfälle aus den verschiedenen, unzureichenden Hinweisen zu rekonstruieren, Motive und Absichten zu schlussfolgern und Varianten möglicher Tätergruppen wie anderer Hintergründe durchzuspielen. Auch ein halbes Jahr später stützt sich alles auf die Berichte des betroffenen Genossen. Andere Informationen oder Hinweise sind nicht dazu gekommen.

Zu allererst muss selbstkritisch und stellvertretend angemerkt werden, dass das öffentliche, innerlinke, wie auch das praktische Verhalten in großen Teilen nicht der Dimension der Vorfälle entsprach, die angenommen wurde. Für möglich gehalten wurde organisierter Mordversuch und Entführung durch eine faschistische Gruppierung wie auch geheimdienstlicher oder polizeilicher Todesschwadrone. Erst nach dem zweiten Vorfall wurde ein persönlicher Schutz organisiert; Tage vergingen bis andere Genoss/innen mit ähnlicher politischer Geschichte informiert wurden; viel zu spät, und dann ungenau und spekulativ wurde öffentlich informiert; nur zögerlich wurden Ansätze für eine Recherchearbeit gegeben usw.

Kernpunkt der Selbstkritik und Kritik ist der letztlich privatistische und informelle Umgang mit den Vorfällen und den Informationen. Von dieser Kritik kann der betroffene Genosse nicht ausgenommen werden. Vielmehr führte auch sein Verhalten dazu, dass verantwortliches, der Sache angemessenes Handeln zurückstehen musste. Am Ärgsten erwies sich die von Beginn an vorhandene Tendenz zur Loyalitäts- und Glaubensfrage. Es gelang nicht, die Auseinandersetzung von dieser Ebene wieder herunterzuholen; eine Ebene, die Sachlichkeit und Verantwortlichkeit durch Spekulation und Positionierung ersetzt; eine Ebene, bei der von vornherein klar ist, dass dadurch nichts zur Aufklärung beigetragen wird - schlimmer noch, Integrität und Ansehen des betroffenen Genossen nur Schaden nehmen konnte.

Da stehen wir heute. Die dem Delegiertenkreis angehörenden Gruppen und Genoss/innen, können das berechtigte Interesse der Linken in der Stadt und bundesweit nach aufklärender Information und Eindeutigkeit nicht erfüllen. Wir sind über diesen Zustand höchst unzufrieden und es bleibt ein bitterer Nachgeschmack angesichts der Dimension eines behaupteten Mordversuchs und einer Entführung mit Verhör. Aber wir müssen konstatieren, dass der heutige Wissensstand kein anderer als vor einem halben Jahr und genauso nebulös geblieben ist. Wir denken, alle Genossinnen und Genossen müssen das wissen.

Den Bericht aus Kreisen der Recherchegruppe, wie auch mögliche andere Texte beteiligter Gruppen und Genoss/innen, stellen wir interessierten Gruppen auf Anfrage (gegen 2,50 Euro Unkosten) gerne zur Verfügung, damit ihr euch selbst ein Bild machen könnt. Wir werden ihn allerdings weder elektronisch noch gedruckt veröffentlichen und erwarten, dass sich alle an diese Vorgabe halten.

Der Delegiertenkreis
Frankfurt, im Mai 2002
Dritte-Welt-Haus
z.Hd. Delegiertenkreis
Falkstraße 74
60487 Frankfurt

Siehe auch: Mordanschlag ...

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