Seit vielen Jahren kritisieren und protestieren wir in unterschiedlichen Formen gegen das TÖDLICHE europäische Grenzregime. Angesichts der Ereignisse der letzten Wochen, angesichts der offensichtlich gezielten Schüsse auf MigrantInnen in Ceuta und Melilla müssen wir nun von einem wahrlich MÖRDERISCHEN Grenzregime sprechen!
Wir stehen hier heute vor dem spanischen Konsulat, weil es natürlich die erste Adresse für unseren Protest ist, weil die spanische Regierung in der ersten Verantwortung steht. Wir wollen später zum marokkanischen Konsulat gehen und auch dort unseren Protest kundtun. Aber die brutalen Ereignisse in Ceuta und Melilla sind mitnichten eine spanisch-marokkanische Angelegenheit.
Wie mein Vorredner schon betonte, stehen die Geschehnisse im europäischen Kontext, im Kontext der Vorverlagerung der Migrationskontrolle, wie sie sich an den vorgeschobenen Grenzen in Osteuropa oder in den Lagern in Nordafrika ausdrücken. Und in diesen Prozessen der Errichtung und Verschärfung eines EU-Grenzregimes wirken neben der britischen mit Blair und der italienischen mit Pisanu vor allem die deutsche Regierung und ihr bisheriger Innenminister Schily als treibende Kraft mit. Insofern liegt gerade auch hier in der BRD eine Hauptverantwortung für das, was sich die Tage in Ceuta und Melilla an barbarischer Grenzpolitik abspielt. Die Festung Europa ist nun überall Thema, auch unser Aufruf für heute ist mit "Europa macht dicht" überschrieben. Die aktuellen Bilder aus Nordafrika sprechen für sich und es ist und bleibt natürlich wichtig, diesen "Festungsaspekt" der EU-Migrationspolitik anzugreifen. Aber das ist eben nur ein Aspekt des aktuellen Migrationsregimes, das allerdings nicht auf pure Abschottung zielt sondern auf Migrationskontrolle, auf Regulierung, auf das, was heute von modernen Vertretern der Gegenseite als Migrationsmanagement bezeichnet wird. Und dies meint die Kombination von einerseits Ausgrenzung und Abschiebung, also von dem was uns in Ceuta und Melilla oder auch aktuell in den brutalisierten Charterabschiebungen begegnet, und von Rekrutierung und Ausbeutung andererseits, also dem Versuch vor allem auch migrantische Arbeit in die Niedriglohnbereiche der westeuropäischen Ökonomien zu füttern. Auch wenn die EU-Grenze die Tage in Nordafrika als Mauer erscheint, ist das nur ein Teil des Ganzen. Das Grenzregime arbeitet insgesamt viel flexibler, es beginnt in den Hauptherkunftsländern mit Ausreiseverhinderungen und zeigt sich noch in den Razzien und Kontrollen auf Autobahnen oder in Innenstädten der westeuropäischen Städte. Grenze ist mittlerweile überall, sie soll überall verunsichern und entrechten, sozusagen das Ausbeutungsgefälle verlängern. Das Grenzregime ist insofern eher als Filter zu begreifen, also Kontrolle und Regulierung, und das wie gesagtvor allem im Hinblick auf die Erfordernisse der hiesigen Arbeitsmärkte.
Um das zu verdeutlichen bleibe ich nochmal beim Beispiel Spanien, das eben nicht nur für die aktuellen Bilder steht. Im Laufe dieses Jahres gab es dort eine große Legalisierung von ca. 700.000 MigrantInnen ohne Papiere. Oberste Bedingung war allerdings ein schon länger bestehender Arbeitsvertrag. Auch in Spanien, wie in den anderen europäischen Ländern, werden billige Arbeitskräfte gebraucht, für die Landwirtschaft, auf dem Bau, als Haushaltshilfen oder in der Pflege.
Rekrutierung und Abschiebung, Ausbeutung und Abschiebung sind also zwei Seiten derselben Medaille.
Doch mit diesem Hinweis auf den Doppelcharakter des sog. Migrationsmanagements möchte ich nicht an einem gerade in diesen Tagen verbreiteten und m.E. verkürzten Bild weiterstricken: am Bild der "armen MigrantInnen", auf die, wenn sie nicht ertrinken oder jetzt erschossen werden, allenfalls die Überausbeutung in den Niedriglohnbereichen wartet.
Migration, verstanden als Sozialbewegung, als berechtigte Bewegung gegen die Zerstörungen und Zurichtungen im globalen Süden, als Bewegung gegen das mit Grenzen strukturierte Ausbeutungsgefälle, also als Aneigungsbewegung für ein besseres Einkommen und für bessere Lebensbedingungen, in diesem Sinne fordert die unkontrollierte, die sogenannte illegale Migration die bestehenden Ausbeutungsverhältnisse immer wieder neu heraus.
Die Europäisierung des Grenzregimes ist auch eine Reaktion darauf, dass die globale Migration auf nationaler Ebene längst nicht mehr zu kontrollieren war. 500.000 Menschen, so schätzt Europol, wandern jedes Jahr "illegal" in die EU ein und (er)finden immer wieder neue Wege. Der Sturm auf die Enklaven in Nordafrika ist nur die Spitze eines sonst eher stillen sozialen Eisbergs, eben der zumeist versteckten Migrationsbewegung. Der Sturm auf die Zäune in Ceuta und Melilla spiegelt Verzweiflung wieder, keine Frage, aber auch Mut und Entschlossenheit, die ungerechten Zustände nicht hinzunehmen und sich dem globalen Apartheidregime mit seinen abgestuften Ausgrenzungs- und Entrechtungsmethoden zu widersetzen.
Demenstprechend ist die zentrale Botschaft von Ceuta und Melilla die Forderung nach globaler Bewegungsfreiheit. Freedom of Movement war bereits die Kernforderung eines europaweiten Aktionstages am 2. April dieses Jahres. In über 50 städten quer durch Europa gab es gleichzeitige Proteste und Demonstrationen. Die Bilder und der genannte Kontext von Ceuta und Melilla zeigen, dass solche Ansätze transnationaler Vernetzung unbedingt weiterentwickelt werden müssen, und dass sie auf keinen Fall an den künstlichen gezogenen Außengrenzen Europas stehen bleiben dürfen.
In diesem Sinne: