Gestern marschierten etwa 450 NeofaschistInnen durch Marburg und Gladenbach. Die aus dem gesamten Bundesgebiet angereisten Neofaschisten aus dem Spektrum der millitanten „Freien Kameradschaften“ folgten dem Aufruf des Aktionsbüro Mittelhessen (ABM) unter der Führung von Manuel Mann und dem bundesweit bekannten Neonaziführer Christian Worch aus Hamburg. Unter dem Motto „Antifa zerschlagen“ wurde auf den Internetseiten des ABM um die Beteiligung von Hooligangruppen, wie z.B. des „Siegener Bärensturm“, zur „dritten Halbzeit“, also zu gewaltätigen Auseinandersetzungen, in Gladenbach geworben. Darüber hinaus gab es im Vorfeld der Demonstration mehrere militante Übergriffe gegen vermeintliche Linke in Gießen und Umgebung von Personen aus dem Umfeld des ABM.
Antifaschistische Proteste, die ursprünglich im osthessischen Kirtorf geplant waren, um auf die dort seit Jahren unbehelligt auf einem privaten Grundstück agierende „Kameradschaft Kirtorf“ aufmerksam zu machen, wurden vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel verboten. Begründet wurde das Verbot mit der angeblichen Gewaltbereitschaft seitens der AntifaschistInnen. In der Verbotsverfügung des Landkreises Vogelsberg wurde die angebliche Gewaltbereitschaft über Verweise auf Internetseiten konstruiert. Laut VGH hätten AntifaschistInnen mangelnde Kooperationsbereitschaft an den Tag gelegt. Unterdessen zeigten sich Polizei und Ordnungsbehörden gegenüber den Neonazis äußerst kooperativ. Wenige Tage nach der Anmeldung erschienen beim Wohnsitz des Anmelders mehrere Neofaschisten aus dem Umfeld des ABM um diesen einzuschüchtern. Es kann davon ausgegangen werden, dass bereits kurz nach der Anmeldung der antifaschistischen Demonstration in Kirtorf Informationen die dem Datenschutz unterliegen seitens der Ordnungsbehörden an die Neofaschisten weitergegeben wurden.
Am gestrigen Tag wurden Neonazis städtische Busse für den Pendelverkehr zwischen Marburg und Gladenbach zur Verfügung gestellt und An- und Abreise mit einem auserordentlichen Halt und verzögerungen des Bahnverkehrs ermöglicht. So ermöglichten die 1800 anwesenden PolizistInnen einen reibungslosen Ablauf der Nazikundgebung und behinderte in aggressivster Weise die antifaschistischen Proteste.
Trotz Aufruf des Marburger Stadtparlaments zum Widerstand gegen den Aufmarsch der Neofaschisten und der vom DGB angemeldeten Demonstration fanden regelrechte Hetzjagden gegen AntifaschistInnen von Seiten der Polizei statt. So gab es unter den AntifaschistInnen mehrere Verletzte durch Pfefferspray- und Schlagstockeinsätze; laut Polizeiangaben seien insgesamt 72 Verfahren wegen Landfriedensbruch gegen AntifaschistInnen eingeleitet worden. Ein Neofaschist, der in Gladenbach mit einer Holzlatte mit Nägeln PolizistInnen angriff erwartet hingegen lediglich eine Anzeige wegen Bedrohung. Während die Busse der AntifaschistInnen bis zu 40 km von Marburg wegeskortiert wurden konnten die Neofaschisten mit zwei Reisebussen aus Pforzheim unkontrolliert und unbehelligt durch die Gießener Innenstadt fahren. Bereits im Vorfeld wurden Busse von AntifaschistInnen aus Südhessen bei Butzbach von der Polizei aufgehalten und massiv kontolliert, sowie ihre Weiterfahrt erheblich verzögert.
Heiko Mertens, Sprecher des Bündnis Antifaschistischer Gruppen aus Hessen erklärt hierzu:
„Das Verbot der antifaschistischen Demonstration in Kirtorf mit einer fadenscheinigen Begründung der „Gewaltbereitschaft“ ist ein politischer Skandal. Während Neofaschisten unbehelligt unter dem Aufruf zur „dritten Halbzeit“ in Marburg und Gladenbach aufmarschieren konnten, wurde eine in keinem räumlichen Zusammenhang stehende Demonstration in Kirtorf verboten. Antifaschistischer Widerstand gegen neofaschistische Strukturen sind eine Notwendigkeit für ein Eintreten für ein menschlicheres Zusammenleben. Das Verhalten der Polizei wirft die Frage auf, ob ein konsequentes Vorgehen gegen neofaschistische Strukturen in Mittelhessen, ganz speziell gegen das neofaschistische Zentrum in Kirtorf, politisch erwünscht ist.“