In den Protesten gegen Studiengebühren in Hessen war in letzter Zeit viel von der Forderung nach Französischen Verhältnissen zu hören. Gemeint ist damit völlig zu recht die Notwendigkeit einer breiten und kompromisslosen Bewegung gegen den Angriff auf die verbliebenen sozialen Rechte. Gemeint sind damit nicht sozialpartnerschaftliche Kuschelrunden mit Staat, Nation und Kapital, sondern Blockaden und Barrikaden gegen den Sozialabbau.
Gerade heute allerdings gibt es Anlass, auch eine andere, grundsätzlichere Facette dieser Verhältnisse in Frankreich in den Blick zu nehmen. Denn heute vor genau einem Jahr starben in einem Pariser Vorort zwei Jugendliche auf der Flucht vor der Polizei. Darauf folgten die schwersten Unruhen die Frankreich in den letzten Jahrzehnten erlebt hat.
Die, hauptsächlich migrantischen, Jugendlichen aus den Vorstädten hatten die Schnauze voll. Genug von den ständigen rassistischen Polizeikontrollen, genug von der Ausgrenzung als Überflüssige der Gesellschaft. Sie attackierten wochenlang die Polizei, setzten tausende Autos in Brand, legten Feuer in Fabriken und Schulen.
Die Revolte hatte keinen positiven Bezugspunkt, keine Forderungen nach ein bisschen mehr Rechten, ein bisschen mehr sozialer Teilhabe. Sie war der unbestimmte Aufstand gegen eine Gesellschaft in der es für viele nichts mehr zu gewinnen gibt. Die am laufenden Band Dinge produziert mit denen niemand mehr etwas vernünftiges anfangen kann. Ja, in der sogar - ganz unverklausuliert im Fernsehen als „Sachzwänge“ bezeichnet - die von den Menschen produzierten Güter und Institutionen die Kontrolle über ihre Produzenten übernommen haben. Die Jugendlichen in den französischen Vororten haben das zumindest kurzzeitig gespürt und anstatt sich - wie so oft - die angeblichen Statussymbole zusammen zu klauen, haben sie einfach den ganzen Schlamassel angezündet. Immerhin. Ohne die bisherigen Proteste gegen den Standort Deutschland klein reden zu wollen: das waren keine staatsbürgerlich-braven „begrenzten Regelverletzungen“ – das war mal ein richtig heißer Herbst.
Aber: so sehr das Unbehagen am Kapitalismus drinne steckte, so unbegriffen blieb es auch. Anstatt also das Unbehangen an der Gesellschaft in eine praktische Kritik an ihr zu übersetzen und, nicht zuletzt, sich zu organisieren, brach die widersprüchliche Revolte so schnell und folgenlos zusammen wie sie gekommen war. Am dahin vegitieren zwischen Langeweile, Armut, Mafia und (sexistischer) Gewalt gegeneinander änderte sich in den Vorstädten bisher nichts – außer das der Staat ein paar Sozialarbeiter mehr schickte.
Wirkliche Folgen hatte der Aufstand allerdings zunächst für Tausende von aktiven Jugendlichen. Der bürgerliche Staat fühlte sich angegriffen und reagierte wie er es regelmäßig tut, wenn sich die Objekte seiner Staatsgewalt nicht konstruktiv zu der von ihm verwalteten Gesamtscheiße verhalten – mit Gewalt. Mit tausende Verhaftungen, Prügelorgien, drakonische Strafen und Abschiebungen zeigte er, was das eigentlich heißt – Gewaltmonopol. Und daran offenbart sich auch eine globale Tendenz des bürgerlichen Staates, die auch hierzulande schon (allerdings weitgehend unbemerkt) rasant fortgeschritten ist.
Gesellschaftliche Konflikte werden kriminalisiert und zunehmend nur noch als polizeiliche Probleme wahrgenommen. Videoüberwachung, Gesetzesverschärfungen, ‚Bürgerpolizeien‘, aber auch die Kriminalisierung der Studentenproteste sind Beispiele dieser Law and Order Politik, der es nicht um die Austragung gesellschaftlicher Konflikte und die Frage nach deren Ursachen, sondern deren Befriedung bzw. Unterdrückung geht. Dabei lässt sich die rasante Eskalation dieser autoritären Politik nicht aus der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus erklären; schließlich erklärte beispielhaft sogar der Sicherheitschef der Bahn, dass der Ausbau der Videoüberwachung sich in erster Linie gar nicht gegen terroristische Attacken, sondern gegen unliebsame, unordentliche und konsumsschwache Minderheiten wie Junkies, Obdachlose und GraffitisprayerInnen richten solle. Entgegen einem weit verbreiteten Irrtum ist die Epoche des neoliberalen Kapitalismus also keineswegs durch ein ‚weniger an Staat‘ gekennzeichnet. Vielmehr geht der Abbau sozialer Rechte in Deutschland ganz offensichtlich mit einem Ausbau staatlicher Überwachungs- und Repressionsorgane einher. Es entsteht ein Polizeistaat auf Abruf.
Es wird nicht besser werden, zumindest nicht von alleine. Die immanenten Krisen des Kapitalismus und der zwanghafte Versuch mit autoritären Mittel diese Gesellschaftsordnung aufrecht zu erhalten deren Irrationalität jedem ins Gesicht geschrieben steht und die ihr eigenes Glücksversprechen tagtäglich dementiert ist eine Rolltreppe abwärts. Dagegen muss jede fortschrittliche Bewegung dieser so genannten „Sicherheitspolitik“ endlich ernsthaften Widerstand entgegen setzten. Nur wenn überhaupt noch die Spielräume bestehen um Gesellschaftskritik zu äußern, soziale Konflikte auszutragen und Widerstand zu entwickeln gibt es überhaupt eine Perspektive um aus dem Begehren „Kapitalismus abschaffen!“ Realität zu machen. Und das ist - so unrealistische das heute leider scheint - notwendig.
Denn die Konsequenz der kapitalistischen Entwicklung heißt globale Barbarisierung, heißt autoritäre Demokratur und Polizeistaat, heißt Krieg aller gegen Alle. Die Alternative dazu heißt, heute vielleicht mehr denn je, vernünftige Einrichtung der Welt, heißt Vergesellschaftung der Produktionsmittel, heißt „Gesellschaft in der jeder ohne Angst verschieden sein kann“ – heißt mit einem Wort: Revolution. In diesem Sinne: Für die globale Revolution - Fight Law and Order!