Artikel aus der SWING (autonomes Rhein-Main-Blatt)
Es war gut gemeint, ging aber in die Hose: Die Informationsveranstaltung zu den Böhsen Onkelz am 15. November 2002 in der Batschkapp. Dabei fing sie mit dem Referat des Hörfunk-Journalisten Klaus Walter ganz gut an. Doch spätestens nachdem der notorische Alles-Versteher Klaus Farin sein Das-kannman-so-aber-auch-so-sehen-Endlosband abspielte war der Abend gelaufen, Da konnte Ebony Prince (Brothers Keepers'), eingeladen als Vertreter' der Gegenkultur, auch nicht mehr viel kaputt machen: Er habe zwar von den Böhsen Onkelz`keine Ahnung, ihr eben gespieltes Anti-Totalitarismüs-Lied habe ihm aber gefallen, schließlich sei er „kein Antifaschist"'(!), weil die ihm zu dogmatisch wären und so weiter und so fort. Die Solidargemeinschaft aus Onkelz-Fans mit: „18"-T-Shirts (in der Neonaziszene das Synonym für „AH" =,Adolf Hitler), Onkelz-Fans ohne „18"-T-Shirts und Onkelz-Management lief zu Hochform auf und spielte sich mit Prince und Farin die Bälle hin und her. Sie feixte, grölte, •pöbelte und steigerte sich von einem Unsinn in den nächsten. Klaus Walter versuchte tapfer noch ein paar Argumente' und Analysenunterzubringen, schließlich machte er (für sich) das Beste draus und soff den bereitstehenden Rotwein weg. Doch einmal wurde es dann doch noch interessant. Nachdem der gut gemeinte aber in seiner Konsequenz katastrophale Vorschlag kam, man könne die Onkelz ja vielleicht für ein „Rock gegen rechts" anlässlich des angekündigten Neonazi-Aufmarsches im Mai 2003 in Frankfurt gewinnen, gab es den Einwand einer wackeren Antifaschistin: Dann könnten wir ja gleich Edmund Stoiber zur Lichterkette gegen Rassismus einladen. Die Onkelz als die Stoibers in der Lichterkette? Besser lässt sich das kaum ausdrücken.
„Darf man Böhse Onkelz hören?"..die Frage ist in biskussionen über rechte Musik so sicher wie das Amen in der Kirche. Oft ist es die Lehrerin, die zwar "keine Rechten" in der Klasse hat, aber Böhse-Onkelz-Fans. Sie kann beruhigt sein. Mensch darf heute Böhse Onkelz hören, bzw. Mensch muss Böhse Onkelz hören dürfen. Schließlich seien die Texte nicht mehr neonazistisch, die Band habe sich davon distanziert und' wer will jetzt den Zensor und Spaßverderber spielen? Es ist die Angst der Linken, mit moralisch erhobenen Zeigefinger vor einer Popband zu warnen - fast so, wie sich einst das Spießervolk über Gammler, Hippies und Punks echauffierte. Das Resultat ist hinreichend bekannt: Das ist so schön, das ist verboten.
Also grünes Licht für die Ex-Braunen. So dröhnen die Onkelz heute durch Sturmkneipen neonazistischer No-go-Areas, durch soziokulturelle Zentren und durch das kulturbewanderte Publikum bei der Verleihung diverser Musikpreise, für die die Onkelz in den letzten Jahren nominiert waren. Du kannst mit Onkelz-T-Shirt durch Kreuzberg 36 gehen, ohne schräg angeguckt zu werden, aber auch zum NPD-Kameradschaftsabend oder auf eines der „Anti-Rassismus-Festivals'.', auf denen die Onkelz dann und wann auftreten. Die Idee, den Einfluss der Band zu nutzen, um „Jugendliche vom Rechtsextremismus wegzubekommen" wurde um 1993 von Daniel Cohn-Bendit hoffähig gemacht. Das Problem von Cohn-Bendit, oder besser: -mit Cohn-ßendit, ist bekanntermaßen, dass er zu alles und jedem seinen Kommentar abgibt - auch wenn er partout keine Ahnung von der Materie hat. Die Geschichte mit den Onkelz ist ein sehr hässliches Beispiel. Er nahm Bandleader Stephan Weidner - den einzigen in der Band, der drei Sätze geradeaus denken kann - an die Hand und schleifte ihn ins Frankfurter Kulturamt, wo die beiden vom Konzertveranstalter Marek Lieberberg die Köpfe gewaschen bekamen. Es spricht für Weidner, dass es ihm danach zu doof war, dem selbstverliebten Dany hinterher zu dackeln.
Weidner ist ein Medienprofi und sein Erfolgsrezept ist, immer so zu tun, als wäre er nämlich keiner. Zielsicher fabuliert er über das „Leben auf der Straße" und fängt die Leute mit seiner, Authentizität ein. So auch Alice Schwarzer, bei der er 1993 zum Interview antrat. Es kam, wie es kommen musste: Seine rotzig-trotzige Art und sein doch so verletzlich wirkender Machismo brachte Schwarzer dazu, das Bild des großen Jungen mit. der rauen Schale und dem weichen Kern zu zeichnen: „Jungs, die es schwer hatten", die „mal Scheiße gebaut haben". Die Emma-Leserinnen waren gerührt und die Onkeln-Fans konnten einen Artikel mehr in ihre Sammlung heften, indem es Weidner allen gezeigt hat.
Was sagen eigentlich die Kulturpäpste vom Dienst zum „Phänomen" Böhse Onkelz? Diedrich Diedrichsen & Co haben bestimmt mal was Richtiges darüber geschrieben, schade nur, dass dies stets in einer eigenen Sprache geschieht und für undiplomierte Spex-Leserinnen unergründlich bleibt. Deswegen kann es hier nicht einmal sinngemäß wiedergegeben werden., Klaus Walter hat ein gar unerhörtes Wort für die Böhsen Onkelz kreiert: Rechts-Anarchisten. Das Unerhörte daran ist, dass Klaus Walter Recht hat, zumindest was die Anfangsjahre der Band betrifft. Walter hat aber auch einen großen Vorteil. Er kommt aus Frankfurt am Main.
Die Band ist, das beschreibt auch Walter, ein Produkt des Frankfurter Milieus der späten 70er Jahre, einer Zeit und einer Stadt, in der alles furchtbar liberal wurde. Die Hippies waren in die Institutionen marschiert und die Eltern wollten die Freunde ihrer Kinder sein. Harte Zeiten für rebellische Attitüden. Vor allem für den Punk, der ab Ende der 70er aufkam. Punk war Trash, war Provokation, doch wie bitte schön lassen sich Leute provozieren, die selbst die derbsten Ausdrücke und Frisuren ganz dufte finden? Da mussten eben Hitlergruß und Hakenkreuz her. Nicht gerade originell und intelligent, aber das waren die Punks der damaligen Zeit oft auch nicht. Das Frankfurt der frühen 80er war die Stadt der Nazipunks und die waren der Nährboden für Bands wie Böhse Onkelz. Als die Skinwelle nach Frankfurt schwappte und die weniger Originellen und Intelligenten unter den Punks sich nun die Haare abrasierten, waren die Onkelz ganz vorne dabei. Nach einigen' Dienstjahren als Pioniere für den Neonazirock beschlossen sie, Rockstars zu werden. Dann und wann, ab ca. 1988, wenn „alte" Geschichten aufgewärmt wurden, begannen sie sich von ihren „alten" Liedern, ihren ,Jugendsünden" (Weidner), zu distanzieren. Parallel dazu wurden Index und Boykott zu Werbeträgern für ein Underground- und Underdog-Image. Die teils aus dem Taunus und Aschaffenburg kommenden Frankfurter Jungs wurden schließlich Rockstars und eröffneten einen kulturellen Straßenmarkt mit Selbstbedienung. Ob Mittelscheitel, Glatze, Topfschnitt oder lange Mähne, ob nun Proll-, Rocker-, Heavy Metal-, Hooligan- oder Neonazi-Style: Uniformiert mit dem diesjährigen B.0.-Tour-Shirt und im Zustand kollektiver Besoffenheit verschwimmt alles zu einer ganz eigenen Ästhetik; zu einer eigenen Identität. Es verschafft „uns" das Erlebnis von Masse und Stärke. Es sagt „uns", dass die ganze Welt „unser" Feind ist und dass die Stadt dennoch „uns" gehört. Wenn "wir" vor Konzerten die Hauptbahnhöfe belagern und ,uns" laut im Chor fragen was gibt es Schöneres als ein Onkel zu sein dann sind wir „wir“.
Die Onkelz sind Pop und -Polarisierung. Da kannst du in Gesprächen mit, Jugendlichen eigentlich alles nur falsch machen. Versuchst du das Thema zu vermeiden, so wie es (nicht nur) in Frankfurt schon seit Jahren getan wird, dann verprellst du die Jugendlichen, die völlig zu Recht wissen wollen, warum die meisten ihrer Schul-Faschos in einer „Frühphase" als Onkeln-Fans rumgelaufen sind. Genau diese Frage ist tatsächlich sehr, sehr interessant: Wie kann es sein, dass eine Band, die sich vom "Neonazismus distanziert, die auf Anti-Rassismus-Festivals spielt, quasi als "Einstieg" in ultrarechte Kreise funktioniert?
Also sagst du, wie es ist: nämlich dass die Onkelz immer noch eine rechte Scheißband sind. Dann werden dir all die Onkelz-Hörerinnen entrüstet vorwerfen, sie in Schubladen packen zu wollen. Versuchst du umständlich zu erklären, dass „rechts" nicht gleich „neonazistisch" ist, dass du unter „rechts sein" nicht nur eindeutige politische Statements meinst, sondern dies auch als ein Lebensgefühl definierst, dann erntest du die verständnislosen Blicke derer, die sich doch immer auf ihr „Gefühl" berufen. Ein „rechtes Lebensgefühl"? Was, bitte, soll das denn sein?
Das „rechte Lebensgefühl" definiert sich nicht nur über Wir-Identitäten aus Macht und Masse. Diese finden sich mehr oder weniger ausgeprägt auch in anderen Jugendkulturen und sozialen Bewegungen. Es ist darüber hinaus die Konstruktion angeblicher gesellschaftlicher Ausgrenzung einhergehend mit der Heroisierung von Gewalt, des Sich-Wehren-Müssens, einem verabsolutierten Freund-Feind-Dualismus und permanenter Selbststilisierung, die Täter zu Opfern erklärt. Wenn dahinter das deutsch-natio.nale Ausrufezeichen gesetzt wird, dann ist die Affinität zu extrem rechten Denkmustern weitgehend hergestellt. All dies wird gekoppelt mit einer Musik, die nach Schema FF funktioniert. Dort herrscht Klarheit. Überraschendes, Verstörendes findet nicht statt. Die oft langsameren und weinerlichen Strophen verteilen die Schuld gleichmäßig auf alle, die nicht zu' „uns" gehören. Der brachiale Refrain bricht das Klagelied auf, gibt den Konsens "Jetzt erst recht" aus und reißt die Zweifelnden, Zögernden mit. Die ständig wiederkehrenden Sequenzen, in denen von ,;Onkeln" und „Wir" die Rede ist, sind explizit zum Mitgrölen und Fäuste-Recken gemacht. „Wir" -das sind auf Konzerten Tausende. Eine Horrorshow für „neutrale" Konzertbetrachter, eine Faszination für die, die in dieser Masse funktionieren, funktionieren wollen.
Wir haben mit „überzeugten", jungen Böhse OnkelzFans im Hinterland geredet. Mit welchen, die „auf dem Weg nach rechts" seien, wie uns ihre Mitschüler mitteilten. Um es gleich zu sagen: Faschos waren das nicht; nicht einmal Arschlöcher. Sie waren uns am Ende sogar irgendwie sympathisch. Verlierer, die nicht in die Schemata von Verlierergeneratioh und Hoffnungslosenkultur passen. Sie gehören einfach zu denen, die den Fuß nicht aufs Trittbrett gekriegt haben, als darum ging, die Welt zu ergründen. Weil es ihnen an Selbstbewusstsein und an AufbruchStimmung mangelte, vielleicht auch an Neugierde. Die große, weite Welt interessiert schon irgendwie, aber man guckt sie sich sicherheitshalber im Internet an. Aus ihren sozialen Zusammenhängen (Schule, Jugendzentrum) hatten sie sich bewusst herausgelöst: Die Disko-Deppen sind' doof, die Hippies sind Scheiße, die Punks sind Hippies usw. Sie zieht es auf die vielbesungene Straße, wo tatsächlich niemand ist, der das entstandene soziale Vakuum füllen kann. Auch ihr Böhse Onkelz-Supporter-Club (B0SC) scheint keine soziale Netzwerkfunktion zu haben. Die _" Sommerparty? Natürlich mit Onkeln-Video auf Groß-bildleinwand. Der Wochenendausflug? Natürlich zum Onkelz-Konzert. Und ansonsten? „Viel Spaß haben". Was ist Spaß? „Mit Kumpels rumhängen und Orikelz hören." Schulprobleme, Liebeskummer? „Wenn wir unter uns sind, müssen wir uns doch nicht mit der Scheiße zuquatschen." Mensch muss sich nicht als ein politisch denkender Mensch verstehen, um so in eine Lebenswelt zu driften, die sich frappierend mit der der Dorf-Faschos deckt. Die selbstgewählte Tristesse wird als „viel" empfunden, die Gang und das Feindesland bieten Selbstvergewisserung und Orientierung. Ich will, dass ihr mich hasst, denn eure Feindschaft macht mich stolz. Unsere Gesprächspärtner, die sich als „nicht rechtsextrem" bezeichneten, hatten wenig Probleme mit Neonazis: „Die wissen, das sie uns nicht mit Politik zulabern brauchen, ansonsten verstehen wir uns aber ganz gut." Jede andere Antwort hätte uns nach dem Gespräch auch überrascht. So werden ein oder zwei von ihnen, wohl eher früher als später den Weg zu den Faschos finden und Arschlöcher werden.
Das Thema ist sicher noch viel komplexer, als es hier wiedergegeben werden kann. Für Onkelz-Fans ist es, meist jetzt schon viel zu komplex. Denn tatsächliche Antworten auf schwierige Fragen zu suchen - auf dieser Ebene bewegt sich keine schlichte StraßenWeisheit und auch keine rechte „Logik". So singen die Böhsen Onkelz von einem Leben, das jeder kennt, oder zumindest glaubt, zu kennen. Der alltägliche, todlangweilige Normalzustand wird mit Pathos zubereitet, mit Mythen umhüllt und erscheint auf einmal als pralles Leben. Sie geben das Gefühl, selbst in schlichtester Doofheit etwas Besonderes zu sein. Sie erzählen Geschichten von Verlierern, die in Wahrheit Gewinner sind bzw. es irgendwann sein werden. Die Stunde des Siegers kommt für jeden irgendwann. Das sind keine leeren Sprüche. Du siehst es bildlich vor dir, dass selbst die einst größten Deppen Frankfurts „es geschafft" haben und heute mit den finstersten Rocker-Präsis auf Du stehen. Das Leben war nicht immer, nicht immer gut zu mir, Licht und Schatten stehen gemeinsam vor der Tür. Auf Schatten folgt Licht, auf Regen folgt Sonnenschein. Fast schon Philosophisches aus dem Hause Weidner.
Der ca. 18-jährige Depp, dem wir neulich die Ohren langgezogen haben, ist kein untypischer Vertreter seiner Zunft. 'Seinen Skrewdriver-Patch und sein Keltenkreuz-Kettchen beförderte er in vorauseilendem Gehorsam ganz von selbst in die Mülltonne. Doch nur ein einziger Blick auf seinen BOSC-Aufnäher erweckte in ihm Kampfbereitschaft. Er sei Onkelz-Fan, dazu stehe er und wir sollten ihm doch seinen Aufnäher lassen. Ein Kid von der Straße war das nicht. Das war einer dieser stinknormalen Langeweiler aus stinknormalen Verhältnissen, für den der Patch die Bescheinigung seines ganz persönlichen Ausbruchs, sein Rebellen-Ausweis, ist. Einer dieser Looser, der mit verklärten Blick auf „die Straße" sieht, auf all die imaginären Schlachten, die ihn zum Mann machen werden.- und der zutiefst dankbar darüber ist, dass der individuelle Ausbruch postwendend zum Marsch in eine grölende, sinnentleerte Masse wird, in der außer Wir-Gefühl nichtsgeboten wird. Denn dort wird er nicht gefordert werden. Es braucht keine Eigeninitiative, keine Kreativität, keine Sinnsuche, keinen Fuß aufs Trittbrett, um dabei zu sein. So funktionieren die Onkelz als rezeptfreie Antidepressiva für postpubertäre Komplexe und Machophantasien, angereichert mit anaboliden Wirkstoffen und im Selbstversuch erfolgreich getestet. Sie erzählen, dir alles, was du hören willst und haben nichts zu sagen. Sie sprechen dich ganz persönlich an und labern gleichzeitig eine anonyme Masse zu. So wird streetcredibility gemacht. Das ist genauso simpel wie genial. Schlichte Aussagen für das schlichte Gemüt, das System Böhse Onkelz ist lächerlich einfach.
Gegen wen geht es denn bei den Böhsen Onkelz außer gegen deutsche Fußballgegner oder Antifaschistlnnen, die angeblich nicht besser sind als Faschisten? Gegen euch und eure Staatsgewalt Mal ehrlich, welches Kid von der Straße kann die Bullen schon leiden? Und wer ist „euch"? Sind es die Liberalen? Sind es die Rechten? Ist es eine halluzinierte jüdische Weltverschwörung? Nichts wird gesagt, also kannst du dir was aussuchen. Wer ist noch fies zu ;,uns" außer den Euchs und der Staatsgewalt? Die Medien natürlich: Glaubt nicht ihre Lügen. Mit derartigen Pappschild-Parolen hampeln die Faschos über den Kartoffelacker und auch autonome Blätter würden es kaum anders ausdrücken. Keine Amnestie für MTV. Wer, egal ob rechts oder links, guckt schon diesen Müll, wenn er oder sie irgendwas auf un- derground hält? Und was ist, wenn wir doch nicht gewinnen können? Scheißegal, -denn nur die Besten: sterben jung. Das denken sich Hooligans, wenn sie mit koksvernebelten Schädeln in den gegnerischen Block einfallen, das denken die fünf Faschos, die nachts zehn Antifas gegenüberstehen und das denken die Antifas, wenn sie dann nicht zu zehnt, sondern nur zu zweit sind. Was die Böhsen Onkelz'sind außer Böhse Onkelz, was sie eigentlich wollen außer „Onkelz" sein und tun was uns gefällt, das bleibt im Dunkeln. Das ist das Erfolgsrezept. Da hat Klaus Aas-kann-man-so-aberauch-so-sehen" Farin recht. Alles ist ambivalent. Die Frage ist jedoch nicht die, wie dieses Blabla interpretiert werden kann, sondern wie es interpretiert wird. Vor welcher Inszenierung findet es statt? Welche Ästhetik' ist damit verbunden'? Wer ist die Zielgruppe? Und vor allem: Welche gesellschaftlichen Utopien sind daran gekoppelt? Womöglich keine? Dann wird es schon mal ganz schwer, jemanden zu finden, der das Blabla für sich fortschrittlich interpretiert. Die Ironie mit der wir spielen, die ihr so schwer versteht. Nächste Variante: Alles halb so wild, ist alles nur spaßig gemeint. Das Problem daran: Keiner kapiert es - weder „wir" noch „ihr“.
Das eingangs schon erwähnte Anti-Totalitarismus-Lied "Ohne mich" von 1998 war kein wirklich ernsthafter Versuch, Licht ins Dunkel zubringen, obgleich Textzeilen wie schreit keine blinden Parolen, gerichtet an die „rechte Adresse", auf den ersten Blick außergewöhnliche Schärfe Zuhaben schienen. Im ersten Teil des Liedes wird dummdämlich gegen die Antifa gehetzt, im zweiten Teil wird dann der „rechten Adresse" „was auf die Fresse" angeboten. Interessant war deren Reaktion. „Was haltet ihr von der neuen Onkelz-CD?" fragt die Frankfurter Neonazigazette Bembelsturm zwei Neonazibands. „Man kann sie mögen oder auch nicht, aber die sind halt verdammt gut. Schade nur, dass Sie es immer wieder nötig haben ihre Alibilieder zu bringen und wohl doch nicht so geradeaus zu sein scheinen" meint die Gruppe Reinheitsgebot. Verdammt gut? O.k., der Geschmack von Neonazis ist kein Kriterium. Aber: Die Onkelz scheinen „wohl doch nicht so geradeaus zu sein"? Erkenntnisse von Neonazis im Jahr 1999. Der Frontmann der Fascho-Band Ruhrstörung hat „natürlich auch die neue der Frankfurter Bastarde" und geht mit ihr ein Stück weit härter ins Gericht: „Weidner hätte sich ruhig eins der Lieder sparen sollen. Meiner Meinung nach wird sie noch Ärger nach sich tragen." Oho, ist Arger im Busch? Werden die Neonaziskins das -nächste Onkelz-Konzert auseinander nehmen? Spaß beiseite, das würden sie schon alleine wegen, der Heils-Angels-Security nie wagen. Da wird kurz mal aufgeplustert und ein paar Seiten später ist die Luft schon wieder draußen. „Ich finde das Lied auch nicht sonderlich gut, aber mich betrifft es nicht, denn ich schreie keine sinnlosen Parolen" meint BembelsturmHerausgeber Patrick Prokasky, der den Text nicht mal richtig gelesen hat, in seinem Erlebnisbericht über das Onkelz-Konzert in der Frankfurter Festhalle 1999. Und der Groschen fiel durch die weiten Gauen des Reiches. Auf Schatten folgte Licht. Es ist die Person Prokasky, die diese Anekdote würzt: In Frankfurt der Inbegriff neonazistischer Dummheit und doch war er derjenige, der die Textzeile als erster zu interpretieren wusste. Die anderen Kameraden hatten offenkundig schon verinnerlicht, dass ihre Parolen „blind" sind. Den Bembelsturm hat Prokasky mittlerweile eingestellt. Er ist jetzt Geschäftsmann. Sein Versand Moloko Plus bietet neben neonazistischen CDs beinahe die gesamte Onkelz-Palette.
Ach ja, die Faschos: Der eine Teil beschimpft die Böhsen Onkelz als Verräter, der andere Teil rennt fleißig auf die Konzerte. Da wird die Politik mal außen vor gelassen, man rennt hin, um alte Kameraden zu treffen, über alte Zeiten zu klönen und um sich über den Rest der Fans, laut Prokasky „verpickelte Teenies", lustig zu machen. Und um im Untergeschoss des Frankfurter Hauptbahnhofs Hassgesänge gegen Hippies, Punks und die Toten Hosen anzustimmen, die an faschistischer Wortwahl nichts zu wünschen übrig lassen. Die Anzahl derer, die über die „Verräter" schwadronieren und dann doch aufs Konzert rennen, dürfte dabei ähnlich hoch sein, wie die Anzahl „völlig unpolitischer" verpickelter Teenies, die in die unterirdischen Hassgesänge einstimmen. Das, was sich intern voneinander abgrenzt, konstruiert sich augenblicklich als homogene Einheit, wenn „Außenstehende" dazu stoßen: Passantinnen oder gar ein Fotograf („Judenpresse auf die fresse"), der es wagt, das Schauspiel auf Bild festzuhalten. So sind wir.
Das Böhse-Onkelz-Supporter-Treffen 2001 in der Jahrhunderthalle in Höchst. Die Onkelz gibt's zum Anfassen. Fans fragen, Popstars antworten. Eine der Fragen ist, ob sie sich nicht mal darum kümmern wollten, dass ihre alten (Fascho-) Lieder vom Index kommen. Die Onkelz lavieren herum: Äh, das wäre ja aufgrund der Medienhetze wohl nicht von Erfolg gekrönt. Es ist die alte Leier. Was kann ich denn dafür? Schuld sind immer die anderen, eigene Schuld oder wenigstens Verantwortung gibt es nicht. Was nicht mal annähernd kommt ist die Ansage: „Wir verzichten darauf, die Lieder vom Index zu holen, weil wir die Lieder nicht mehr spielen, weil die Lieder Scheiße waren und Scheiße sind". Es wäre auch gelogen. Schließlich haben sie vor knapp zwei Jahren per Antrag versucht, die „alten" CDs vom Index zu kriegen. Am Ende sind alle zufrieden: „Alles in allem war es eine tolle Veranstaltung" resümiert „Ariovist" im Neonazimagazin „Der Ruf nach Freiheit" den Event.
Im Moment herrscht jedoch Aufregung. Ausgerechnet Sänger Kevin Russell, ultrarechter Frontmann vergangener Zeiten, der einst durch Sprüche wie „auch wenn ich Engländer bin, ich bin stolz darauf, Deutscher zu sein" zum running gag auf Antifa-Treffen avancierte, soll bei einem Konzert einen NPD-Flugblattverteiler höchstpersönlich verdroschen . haben. Verwirrung ist angesagt. Bei den stramm rechten Onkelz-Fans und, ehrlich gesagt, auch bei uns. Russell verhaut Faschos? Er, der noch vor wenigen Jahren seine Skrewdriver-T-Shirt-Kollektion in Frankfurter Supermärkten vorführte. Er, der 1998 dem Blood & Honour-Neonazi Michael Hansen, der Ärger mit seinen Kameraden bekam und aus Offenbach wegziehen musste, eine Bleibe in seiner Hinterhof-Wohnung in der Frankfurter Ostendstraße bot, aus der dann der Skrewdriver-Sound zuweilen bis auf die Straße dröhnte. Doch Russell sagt es selbst: Nichts ist für die Ewigkeit.
Nichts ist für die Ewigkeit, nichts ist wie es war, nur vier Jungs aus
Frankfurt sind schon lange, lange da.. . Doch vor gar nicht mal so langer Zeit
war man Neonazi. Hört sich so ein kritischer Rückblick auf die eigene
Geschichte an? Mitnichten. Die Vergangenheit wird von der Band akzeptiert als
ein Teil ihrer Selbst. Neonazismus wird in unseliger Sozialarbeiter-Tradition
als pubertäres Über-die-Stränge-Schlagen verharmlost und zwischen
den Zeilen kokettiert man dann doch wieder damit. Man gibt zu verstehen: „wir
waren richtig hart drauf" und schränkt dann ein; „wohl ein bisschen
zu hart". So nimmt es das Publikum wahr. Die „alten" Lieder
sind Teil der Böhsen Onkelz und' werden Teil der Böhsen Onkelz bleiben,
solange die Böhsen Onkelz Böhse Onkelz heißen. Dem Hörer
und der Hörerin liefern sie noch die Extraportion underground. So werden
Lieder wie Türkenfotze kahlrasiert weiter im CD-Player „unpolitischer"
Jugendlicher landen, so werden Neonaziversände weiterhin OnkelzCDs anbieten.
Die Böhsen Onkelz, die Boygroup für den germanischen Grobmotoriker,
werden darüber die Achseln zucken und umgehend ein neues Wir-sind-wir-Liedchen
reimen.
Mensch kann noch seitenlang lamentieren, Anekdoten erzählen, sich die Haare raufen, erklären und analysieren. Viel weiter werden wir damit nicht kommen. Vielleicht deswegen, weil die Onkelz doch nur ein Produkt des Mainstreams im vergangenheitsbewältigten Deutschland sind - und auch des Vakuums, das der subkulturelle Niedergang der Linken hinterlassen hat. Punk hat abgewirtschaftet, Bands wie Chumbawamba feiern es als Durchbruch, in den Arsch von MTV zu kriechen. Außerdem singen sie englisch, sind englisch. Die Toten Hosen und die Ärzte palavern in den Feuilletons der Wochenzeitungen und in der Harald-Schmidt-Show und verkörpern das Bild des gutgelaunten und gesellschaftskritischen Berufsjugendlichen. Sie sind zwar deutsch, aber sie sind gut.
Die Böhsen Onkelz hingegen sind deutsch und böse. Wie auch Rammstein oder Joachim Witt. Deutsch sein ist Trend, Böse sein ist Nervenkitzel. Das, was die Berliner Stadtzeitung Zitty über Joachim Witt schreibt, lässt sich bruchlos auf die Onkelz übertragen. Dies „hören und dafür verachtet zu werden, verschafft einen ähnlichen Kick wie der sonntägliche Spaziergang mit einem nicht angeleinten Kampfhund über den Kinderspielplatz: Hauptsache, irgendjemand regt sich drüber auf."
So stricken die Frankfurter Underdogs, mittlerweile Millionäre mit Wohnsitz in Irland, weiter an ihrer Legende. Glaubst du alles, was ich sage, glaubst du, du weißt wer ich bin? Stellst du niemals Fragen, warum wir wurden wie wir sind? Die Aura des EwigUnverstandenen ist die Kapitalanlage, in die unbeirrt weiter investiert wird. Es ist grotesk. Denn die Fragen wurden nun schon tausendmal gestellt- mal sachlich, mal emotional, mal ruhig, mal fordernd. Doch als Antwort gab's immer nur krudes Wir-sind-wir-Gebrabbel. Denn würden sich die Onkelz auch nur eine Minute ernsthaft mit dieser Frage beschäftigen, dann wäre dies das Ende von ihrem Mythos. Das allerdings wäre auch das Ende der Popband Böhse Onkelz.
Weiere Informationen zu den "Böhsen Onkelz":
Auf ewig unverstanden - Einige Anmerkungen zu der im Jahre 2005 aufgelösten Kultband Böhse Onkelz antifaschistisches Infobüro Rhein-Main
Goliath gegen David -
Die Frankfurter Kultrocker Böhse Onkelz scheitern vor Gericht - dafür rocken ihre Fans Net-Foren Telepolis
Auf dem Seziertisch: Böhse Onkelz Netz gegen Nazis