Am 10. Juni 1944 überfielen Angehörige der 4. SS-Polizei-Panzergrenadier-Division die griechische Bergbaugemeinde Distomo. Mehr als 200 Dorfbewohner - vom Säugling bis zum Greis - wurden von ihnen buchstäblich abgeschlachtet. Mit ihrem Massenmord nahmen die deutschen Besatzer blindwütig Rache für einen Partisanenangriff, der sich etliche Kilometer entfernt ereignet hatte. Alljährlich treffen sich die Täter von einst unbehelligt in ihrem ‘Wahlstandort’ Marktheidenfeld nahe Würzburg, um ihre ‘Heldentaten’ hochleben zu lassen.
Mitte der 90er Jahre reichten die Überlebenden des Massakers eine Entschädigungsklage gegen die Bundesrepublik als Rechtsnachfogerin des ‘Dritten Reichs’ ein. Das zuständige Landgericht von Levadia verurteilte die BRD am 30. Oktober 1997 zur Zahlung von ca. 60 Mio. DM an die Opfer von Distomo. Die Bundesregierung hatte sich geweigert, an dem Verfahren teilzunehmen, legte jedoch Rechtsmittel gegen das Urteil ein. Dies führte dazu, daß schließlich der Oberste Gerichtshof in Athen, der Areopag, das Urteil in letzter Instanz bestätigte. Der Richterspruch ermöglichte den KlägerInnen, Pfändungstitel zu erwirken, so daß eine Gerichtsvollzieherin im Juli letzten Jahres erste Schritte zur Beschlagnahme des Goethe-Instituts und des Deutschen Archäologischen Instituts in Athen unternehmen konnte. Mittlerweile haben weitere griechische Gerichte die Rechtmässigkeit der Pfändungen bestätigt und einen Vollstreckungstermin angesetzt. Auf massiven Druck der Bundesregierung hatte das griechische Justizministerium jedoch bereits zuvor ein Sondergericht eingesetzt, das jetzt im Oktober darüber entscheiden wird, ob das Urteil des Areopag mit dem Völkerrecht übereinstimmt.
Distomo steht nicht allein, sondern ist lediglich ein Beispiel für die mörderische Brutalität der deutschen Besatzungspolitik in Griechenland zwischen 1941 und 1944. Mehrere hundert Dörfer und Kleinstädte wurden von Wehrmacht und SS zerstört, ihre Einwohner auf bestialische Weise ermordet. Etwa 90.000 GriechInnen wurden Opfer von Geiselerschießungen und anderen ‘Strafaktionen’. Fast 58.000 JüdInnen wurden in KZ verschleppt oder an Ort und Stelle umgebracht. Hunderttausende verhungerten in Folge der wirtschaftlichen Ausplünderung des Landes durch die deutsche Besatzungsmacht; unzählige Menschen wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert.
Die Frage nach den deutschen Reparationen für die im Rahmen der NS-Okkupationspolitik angerichteten Verheerungen ist genau so offen, wie die Frage einer angemessenen Entschädigung der von der deutschen Industrie während des 2. Weltkriegs ausgebeuteten ZwangsarbeiterInnen. Staat und Kapital wollen nicht zahlen. Und wenn sie nicht mehr ums Zahlen herumkommen, dann tun sie das nicht entsprechend völkerrechtlicher Grundsätze, sondern auf der Ebene selbstherrlichen Stiftertums und mickriger Almosen - allein die den ZwangsarbeiterInnen vorenthaltenen Löhne belaufen sich auf rund 180 Mrd. DM!
Mit dem Verweis auf das von Deutsche Bank-Chef Hermann Josef Abs 1953 ausgehandelte Londoner Schuldenabkommen konnte sich die BRD bis 1990 ihren Verpflichtungen entziehen. Dem Abkommen zufolge sollte die Frage der von Deutschland zu leistenden Entschädigungszahlungen und Reparationen in einem späteren Friedensvertrag geregelt werden. Ende der 90er Jahre gerieten Bundesregierung und Konzerne dann unter Druck: Sammelklagen ehemaliger ZwangsarbeiterInnen in den USA und die im Zusammenhang damit laut werdenden Boykottdrohungen gegen deutsche Unternehmen ließen eine Verschlechterung der ökonomischen Beziehungen zwischen beiden Staaten befürchten - kurzzeitig schien sogar die Fusion von Daimler und Chrysler gefährdet. Um die Forderungen ihrer ‘Gläubiger’ abzuwehren, sprachen Bundesregierung und Wirtschaft diesen von vornherein die Legitimation ab, überhaupt Forderungen zu stellen.
Die Industrie sah sich ohnehin als die falsche Adresse für Entschädigungsforderungen, da ihr die ZwangsarbeiterInnen nach eigener Ansicht von der SS förmlich ‘aufgedrängt’ worden waren. Einig war man sich, daß es sich bei vielen ZwangsarbeiterInnen ohnehin um reguläre Arbeitskräfte gehandelt habe; eine Auffassung, der neben Otto Graf Lambsdorff auch das Frankfurter Institut für Stadtgeschichte zuneigt. Man einigte sich auf einen Kompromiß, der kein Schuldeingeständnis durch Staat und Kapital darstellt, sondern lediglich eine Geste guten Willens, die sich in einer lächerlichen Entschädigungssumme ausdrückt. Als Vorbedingung für irgendwelche Zahlungen mußten die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen ein für alle Mal darauf verzichten, ihre Entschädigungsforderungen auf dem Rechtsweg durchzusetzen - dem Kapital und seiner Regierung blieb vorbehalten, ein ausreichendes Maß an ‘Rechtssicherheit’ festzustellen.
Wie im Falle der ZwangsarbeiterInnen spricht die deutsche Regierung auch den Forderungen der griechischen NS-Opfer die Legitimation ab. Während man sich beim Angriff auf Jugoslawien einen Dreck für das Völkerrecht interessierte, heißt es nun, die Klagen griechischer Menschen gegen die BRD seien ein Verstoß gegen die völkerrechtlich garantierte ‘Staatenimmunität’; danach könne kein Staat über einen anderen zu Gericht sitzen. Außerdem wird auf läppische Zahlungen aus den 60er Jahren verwiesen. Während für die Verbrechen des 2. Weltkriegs noch keine Entschädigung geleistet wurde, beging die BRD 1999 in Jugoslawien erneut Kriegsverbrechen und sieht sich nun auch mit den daraus resultierenden Entschädigungsforderungen konfrontiert. Auch in diesem Fall zu Recht: Die Bundeswehr beteiligte sich an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, vernichtete Infrastruktur, verseuchte durch die Zerstörung von Chemiebetrieben und den Einsatz von Uranmunition die Umwelt und ermordete mit ihren Bomben Zivilisten. Über die Opfer der Kriegsverbrechen wird von deutscher Seite arrogant und ignorant hinweggegangen. Diese Haltung entspricht deutscher Großmachtpolitik und fußt auf einer langen militaristischen Tradition. Während man die Opfer negiert, werden die Täter belobigt, versorgt und vor öffentlichen Angriffen geschützt.
Die Verbrechen der Wehrmacht konnte die deutsche Politik bereits als ‘entsorgt’ betrachten; nachdem die Macher der gleichnamigen Ausstellung erst der Bundeswehr einen Persilschein ausgestellt und Versöhnung angesagt hatten, zogen sie ihr Projekt zur Umarbeitung zurück. Aber die Diskussion über die deutschen Verbrechen im 2. Weltkrieg darf nicht beerdigt werden in einer Zeit, in der wieder Kriegsverbrechen begangen werden und die Bundeswehr zur Interventionsarmee umgebaut wird. In einer Situation, in der den Soldaten wieder Werte wie Opferbereitschaft und Heldentum nahegebracht werden sollen, weshalb gerne auf Wehrmachtsvorbilder zurückgegriffen wird. Während sich die Bundeswehr nach außen als demokratische, republikanische Armee darstellt, knüpfen ihre Krisenreaktionskräfte, namentlich die Saarlandbrigade, an die Tradition der NS-Fallschirmjäger an: Sie singen dieselben Lieder und pflegen die Gräber ihrer bei der Luftlandung auf Kreta im Mai 1941 gefallenen ‘Kameraden’. Deren Mitkämpfer ermordeten nach der Eroberung der griechischen Insel binnen weniger Wochen mehr als 2.000 Zivilisten.
Wir unterstützen die griechischen Entschädigungsforderungen und wollen die Verbrechen der Wehrmacht und die deutsche Politik gegenüber den Staaten Südosteuropas in Geschichte und Gegenwart öffentlich diskutieren.
Martin Seckendorf ist Historiker und Mitglied der Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung. Von ihm stammt auch die
Veranstalter:
antifaschistische antirassistische stadtteilgruppe nordend/bornheim
Unterstützer:
Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD - OG Ffm.,
DKP Kreis Frankfurt,
Initiative gegen das Vergessen,
LAGG - Leben und Arbeiten im Gallus und Griesheim,
ÖkoLinX - antirassistische Liste im Römer, ÖkoLinX - antirassistische Liste im
Ortsbeirat 3,
Grigorios Zarcadas - Stadtverordneter der SPD-Fraktion und Leiter des Migrationszentrums,
Frankfurter IG Farben Gruppe
Die Massaker der Wehrmacht in Griechenland, von Martin Seckendorf, Junge Welt
I. Ungesühnt
II. Befriedung der Festung
III. Vernichtungskrieg gegen Links
"Fischer hat seine Meinung geändert ..." Interview mit dem Anwalt der Kläger aus Distomo, Jannis Stamoulis in der Jungle World
"Zum Schweigen gebracht..." Wie die BRD mit Entschädigungsforderungen von NS-Opfern Umspring, Von Ralf Surmann, Konkret
Griechenland: Pfändung deutscher Liegenschaften Recht so!, Von Rolf Surmann in der Jungle World