Die jährliche Aktionärsversammlung der I.G. Farbenindustrie AG in Abwicklung (I.G. Farben i.A.) wird diesmal am 17. September in Frankfurt a. M. stattfinden, obwohl sich die I.G. Farben auf Anordnung der Alliierten schon vor über 50 Jahren hätte auflösen sollen. In ihrem firmeneigenen KZ Auschwitz-Monowitz wurden mindestens 30.000 ZwangsarbeiterInnen ermordet. Mit Zyklon B, produziert von der Degesch, an der I.G. Farben maßgeblich beteiligt war, wurden Millionen Menschen umgebracht. Darüber hinaus wäre ohne I.G. Farben der deutsche Angriffs- und Vernichtungskrieg nicht möglich gewesen.
Vor über 10 Jahren begannen Überlebende gegen die jährlich stattfindenden Aktionärsversammlungen der I.G. Farben i.A. zu protestieren. Von Anfang an war dabei die zentrale Forderung die endgültige Abwicklung dieser NS-Nachfolgefirma und die Verwendung ihres Vermögens für Zahlungen an I.G. Farben-ZwangsarbeiterInnen sowie für eine Gedenkstätte in Monowitz. Wie in den letzten Jahren werden die Aktionäre der I.G. Farben i.A. auch dieses Jahr die Abwicklung zu verhindern wissen.
Im Jahr 1999 versuchten die I.G. Farben i.A. mit der Ankündigung einer firmeneigenen Stiftung zur Entschädigung ehemaliger ZwangsarbeiterInnen einen Schlußstrich unter die eigene Vergangenheit zu ziehen, um ungestört dem Tagesgeschäft nachgehen zu können. Von den damals zugesagten 3 Millionen DM, sind bisher gerade 500 000 DM vorhanden, da “sich die Firma aufgrund ihrer Liquidität nicht in der Lage sehe die zugesagte Summe zur Zeit bereitzustellen”: Die Stiftung ist immer noch nicht gegründet. Zu vermitteln, für was der Name I.G. Farben steht, bleibt seit Jahrzehnten denen überlassen, die das deutsche Programm ”Vernichtung durch Arbeit” überlebt haben und den wenigen, die die Forderungen der Überlebenden unterstützen.
Der Name I.G. Farben steht bis heute für die enge Komplizenschaft zwischen deutschen Unternehmen und dem deutschen Staat und für den Profit, den deutsche Unternehmen aus der Ausbeutung der ZwangsarbeiterInnen gezogen haben. Zugleich ist I.G. Farben Symbol für den Frieden, den die Bundesrepublik mit den NS-Verbrechern und -Profiteuren gemacht hat, sowie für den Krieg,den sie den wenigen Überlebenden erklärten, sobald sie Ansprüche stellten und Zahlungen forderten. Dies drückte sich auch in der Haltung von deutscher Wirtschaft und Bundesregierung in den durch Sammelklagen erzwungenen Verhandlungen über Entschädigung der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen aus. Schon mit der Ankündigung eines Stiftungsfonds hatte Gerhard Schröder unmißverständlich klar gemacht, worin der Zweck einer solchen Einrichtung bestehen sollte: Die Vereinbarung solle Grundlagen schaffen, um ”Klagen (...) zu begegnen und Kampagnen gegen den Ruf unseres Landes und seiner Wirtschaft den Boden zu entziehen.” Die Stiftungsinitiative war von Anfang an eine Interessenvertretung der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft, das zentrale Thema war die sogenannte Rechtssicherheit. In einer ”Geste der Versöhnung” sollen ehemalige ZwangsarbeiterInnen mit einem Almosen abgespeist werden. Ziel ist ein Schlußstrich unter die deutsche Vergangenheit.
Die proklamierte ”moralische Verantwortung” ist Bestandteil der neuen deutschen Gedenkkultur: ritualisierte Erinnerung, mit der es im Land der Täter gelungen ist, den Schlussstrich als Neuanfang umzuinterpretieren. Die Bombardierung Jugoslawiens, zu deren Rechtfertigung Auschwitz relativiert und instrumentalisiert wurde, ist der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung. Neuerdings könnten sogar UN-Einsätze in Israel mit Beteiligung deutscher Truppen zur Normalität gehören.
Die Auflösung von I.G. Farben i.A. bleibt unsere zentrale Forderung, doch in dieser Zeit der Neudefinition der deutschen Nation muß sich unser Protest auch gegen eine Entwicklung richten, die Jean Amery schon vor 30 Jahren prognostizierte:
”Aber die solcherart von einem hochzivilisierten Volk mit organisatorischer Verläßlichkeit und nahezu wissenschaftlicher Präzision vollzogene Ermordung von Millionen wird als bedauerlich, doch keineswegs einzigartig zu stehen kommen...” und ”...wird untergehen in einem summarischen ,Jahrhundert der Barbarei‘. Als die wirklich Unbelehrbaren, Unversöhnlichen, als die geschichtsfeindlichen Reaktionäre im genauen Wortverstande werden wir dastehen, die Opfer, und als Betriebspanne wird schließlich erscheinen, daß immerhin manche von uns überlebten. (...)
Ein stolzes Volk, immer noch. Der Stolz ist ein wenig in die Breite gegangen, das sei zugegeben. Er preßt sich nicht mehr in mahlenden Kiefern heraus, sondern glänzt in der Zufriedenheit des guten Gewissens und der begreiflichen Freude, es wieder einmal geschafft zu haben. (...) Aber es ist der Stolz von einst, und es ist auf unserer Seite die Ohnmacht von damals. Wehe den Besiegten.”
Montag, 17. September 2001, um 8:00 Uhr
Kundgebung in Frankfurt am Main in der
Stadthalle Bergen-Enkheim
Bundesweites Bündnis gegen I.G. Farben,
Berliner Bündnis gegen I.G. Farben,
Coordination gegen BAYER-GEFAHREN,
Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre,
Frankfurter I.G. Farben Gruppe,
Kampagne “Nie wieder!”,
Peter Gingold, Bundessprecher der VVN-BdA,
Hamburger Bündnis für die Entschädigung der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen,
Marburger Bündnis gegen I.G. Farben,
PDS Kreisverband Frankfurt am Main
Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (Frankfurt)
Metaller Arbeitlosen Initiative Frankfurt (MAI)
Dieser Aufruf des bundesweiten Bündnisses gegen die IG Farben
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Kurze Presseschau
Fotos von der IG Farben HV von der Gruppe "Arbeiterfotografie"
Es ist Vollbracht! Geschichtspolitik heute.
Broschüre der Antifa (G) zu IG Farben - Stiftungsinitiative - Entschädigungsfond - "Vergangenheitsbewältigung"
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