Von der "illegalen NSDAP" zu den "freien Kameradschaften"

Für alle, die die Organisierung der militanten Nationalsozialisten nicht über längere Zeit genau beobachten, sind die immer wieder neuen Organisationsnamen und Selbstbezeichnungen, Bürgerinitiativen, Theoriezirkel und Zeitungen verwirrend und undurchschaubar. Welche der Parteien sind unbedeutend? Verfolgen sie eine einheitliche Strategie einer "unbekannten Zentrale"? Was sind die politischen Gemeinsamkeiten, wo sind die Differenzen? Gibt es eine nachweisbare Rangordnung und Planung, oder sind die Gruppen selbständig und spontan? AntifaschistInnen, die über die Bewegungsrichtung der NS-Bewegung eine interessierte Öffentlichkeit unterrichten wollen, stehen vor verschiedenen Schwierigkeiten: Weil die bürgerlichen Medien gestützt auf den Verfassungsschutz und das BKA die Gefahr der militanten Nationalsozialisten lange Jahre für übertrieben hielten, waren AntifaschistInnen zu einem Alarmismus gezwungen, der zum Beispiel die Gefahr des bewaffneten Kampfes und von Terroranschlägen immer wieder hervorhob und neu zu beweisen versuchte. Andererseits war die Untersuchung der Nazis oft zu personen- und organisationsgebunden, so daß hinter der Konjunktur einzelner Parteien die Dynamik der Popularisierung einer nationalsozialistischen Gesinnung zum Beispiel in einer rassistischen Jugendkultur, die allgemeine gesellschaftliche Identifizierung mit der Überlegenheit vom "Recht des Stärkeren" (Auslese, Elite, Autorität und Leistung) aus dem Blick geriet. Auch dieser Artikel beinhaltet die Gefahren der Übertreibung und der Fixierung: es könnte der Eindruck einer unbeeindruckten, unbesiegten Kaderstruktur von überzeugten Nationalsozialisten entstehen, einer unaufhaltsam vorwärts marschierenden Armee, der die demokratische Gesellschaft irgendwann zum Opfer fallen muß. Die gesellschaftliche Bedeutung der militanten Nationalsozialisten wäre in diesem beliebten Vexierbild gleichzeitig überhöht und verschleiert, die bürgerliche Gesellschaft entlastet und mystifiziert.

Die " illegale NSDAP"

1969 war das Jahr der einschneidenden Niederlage der nationalen Rechten in der BRD. Nicht nur das die NPD bei den Bundestagswahlen knapp an der 5%-Hürde scheiterte, und das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik die CDU/CSU nicht an einer Regierung beteiligt war, mit Willy Brandt in den Augen der Deutschnationalen ein "Vaterlandsverräter" Bundeskanzler wurde, der eine neue Ostpolitik der Entspannung anstrebte, sondern mit der Studentenrevolte war ein politischer Gegner auf der Bühne aufgetaucht, der die nationale Rechte zuerst an den Universitäten, in der Medienöffentlichkeit und auf der Straße in die Defensive drängte. Bis etwa 1972 glaubte die nationale Rechte, daß diese politische Niederlage durch eine harte und heftige Mobilisierung schnell rückgängig gemacht werden könnte, in dem mit jedem verfügbaren Mittel die Kräfteverhältnisse wieder umgekehrt würden. Nach dem die CDU/CSU in der Bundestagswahl im November 1972 trotz massiver Unterstützung durch das deutsche Kapital, Vertriebenenverbände und Pressekonzerne scheiterte, gewann die Einsicht Oberhand, daß eine Wiedergewinnung der kulturellen Hegemonie ("geistig - moralische Wende") nur langfristig erreichbar wäre. Die "Kader der ersten Stunde" der illegalen NSDAP radikalisierten sich in dieser gesellschaftlichen Umbruchsituation. Sie waren fast alle ehemalige Mitglieder der NPD und der JN (Jugendorganisation der NPD), die den Verlust der Wählerbasis der NPD an die CDU/CSU erlebten, den legalistischen Anpassungskurs der NPD nicht mehr mittragen, und das Scheitern der "Aktion Widerstand"(gegen die Entspannungspolitik) nicht hinnehmen wollten. Der Aktionismus dieser ersten NS-Aktionsgruppen richtete sich gegen die radikale Linke, MigrantInnen, Juden, AntifaschistInnen und Gewerkschaften. Überfälle auf Infostände, Schmieraktionen, Störungen von Veranstaltungen und provokative Aufmärsche gehörten zum Repertoire dieser Gruppen aus dem Umfeld der NPD. Von Anfang an waren diese militanten Nationalsozialisten um militärische Ausbildung (in Wehrsportgruppen, z.B. in der von 1974 bis 1980 existierenden Wehrsportgruppe Hoffmann, Nürnberg) und Bewaffnung (zahlreiche Waffenfunde seit 1970), und um Anerkennung und Unterstützung durch alte Nationalsozialisten (z.B. der SS und Waffen-SS) bemüht. Bis 1975, als im September in Wiesbaden die "NSDAP/Aufbauorganisation" gegründet wurde, hatten sich die Gruppen vernetzt und strukturiert. Der Kampf für die Wiederzulassung der NSDAP, gestützt auf Auslandsorganisationen insbesondere in den USA, Niederlande, Frankreich, Dänemark, Südafrika und Lateinamerika, und die Übernahme des 25 Punkte-Programms der NSDAP waren die Grundlagen und Zielrichtungen der "NS-Bewegung". Viele der heute noch "aktiven Alten" wie Manfred Roeder (Schwarzenborn/Knüll), Friedhelm Busse (München), Roland Tabbert (Hanau) und Curt und Ursula Müller (Mainz-Gonsenheim) waren damals Führungskader der "illegalen NSDAP". Nach außen traten die Zellen der NSDAP, die mehrere hundert Mitglieder zählten, als lokale Gruppen in Erscheinung, die scheinbar nicht vernetzt waren. Der Aktionismus der Gruppen bestand aus Propaganda für die Wiederzulassung und Legalisierung der NSDAP, der Verbreitung des NS-Kampfruf, der in der USA gedruckt und in die BRD verschickt wurde, militanten Aktionen und Wehrsport. Bis Anfang der 80er Jahre war ein Teil der Tätigkeit der NS-Gruppen darauf gerichtet, eine für möglich gehaltene Revolution der kommunistischen Linken abzuwenden und ihr militärisch zuvorzukommen. Durch die zahlreichen Waffenfunde, Anklagen und Haftstrafen, die Verbote zum Beispiel der Wehrsportgruppe Hoffmann 1980, aber auch durch die Abnahme der "kommunistischen Bedrohung", trat der erfolglose militärische Strang der NS-Bewegung in den Hintergrund. 1977 ging der Organisationsleiter der NSDAP/AO "Armin" auf Michael Kühnen (1991 verstorben) zu, und beauftragte ihn, einen "SA-Sturm Hamburg" zu gründen. Der erste Schlägereinsatz des SA-Sturms 8. Mai erfolgte am 15.5.77 auf gegen eine DVU-Veranstaltung protestierende AntifaschistInnen. Die Strategie der Provokation war als Mittel um die breite Öffentlichkeit zu erreichen wesentlich erfolgreicher als das konspirative Verteilen des NS-Kampfruf. Die bekannteren Aktionen der nach außen als ANS (Aktionsfront Nationaler Sozialisten) auftretenden Gruppe waren ein Marsch durch die Hamburger Innenstadt mit Eselsmasken und Plakaten mit der Aufschrift "Ich Esel glaube immer noch, daß in deutschen KZs Juden vergast wurden", oder ein Aufmarsch in Uniform, mit Hakenkreuz und Koppelschloß auf dem Reichsparteitaggelände in Nürnberg. Während die Tätigkeit der "illegalen NSDAP" 1979 zum Erliegen kam, wurden die ANS-Gruppen aktiver und mobilisierten immer erfolgreicher Jugendliche in Fußballstadien und aus der Anfang der 80er Jahre entstehenden Skinheadszene. Viele der heute noch wirksamen Strategien, Organisationsformen, Ziele und Agitationsschwerpunkte haben sich zwischen 1970 und 1980 herausgebildet.

Strategien und Ziele der NS-Bewegung

"Das einseitige Zusammenwirken von legalem und illegalem Arm mit denselben strategischen Forderungen ist nicht mehr möglich - eindeutig nationalsozialistische Propaganda kann nur noch illegale Propaganda sein. Niemand hat darin soviel Erfahrung und sich über ein Jahrzehnt so bewährt wie die NSDAP-AO. Doch ist unser Kampf damit nicht sinnlos geworden: Wir verkörpern heute den taktischen Aspekt des Kampfes wie die NSDAP-AO den strategischen. Zusammen aber bilden wir zwei ganz unterschiedliche und getrennte Organisationen - jedoch keine Konkurrenz, sondern eine Kampfgemeinschaft, die sich harmonisch ergänzt!." Michael Kühnen, 1986>

Ein strategisches Ziel der militanten Nationalsozialisten ist die Wiederzulassung der NSDAP, dabei setzte Michael Kühnen auf einen "massenpsychologischen Umkehrungsprozeß, der durch das offene Bekenntnis zum Nationalsozialismus ausgelöst wird" (Politisches Lexikon). Ein wesentlicher Agitationsschwerpunkt ergibt sich sofort aus diesem Ziel, die Leugnung von Auschwitz, der Massenvernichtung der europäischen Juden, Roma und Sinti. Den Holocaust sehen die Nazis als wesentliche Ursache der offiziellen, gesellschaftlichen Tabuisierung des Nationalsozialismus. Diesem Ziel, die Tabuisierung des NS aufzubrechen und die nationalsozialistische Ideologie diskurs- und politikfähig zu machen, ordnen sich alle Anstrengungen der NS-Bewegung unter. Die Propagierung von einer "weltweiten von Nationalsozialisten geführten weißen Revolution" (Programm NS-Kampfruf 1990) als Voraussetzung für einen 3.Weltkrieg, der darüber entscheide, "welche Großrasse die endgültige Herrschaft über die Erde ausübe" (Herbert Schweiger, 1995) erfolgt jedoch nicht offen, sondern in verschiedenen Massen- oder Frontorganisationen soll über Agitationsschwerpunkte (Aktion Ausländerrückführung, Arbeitsplätze für Deutsche, gegen die Wehrmachtsaustellung, für nationale Jugendkultur) Interesse am Nationalsozialismus geweckt, ein rassistisches und völkisches Selbstbewußtsein und ausgeprägtes Freund-Feindschema erst organisiert werden. So ist auch der Aufruf zur "deutschlandweiten Großdemonstration des nationalen Widerstands" zum 1. Mai in Frankfurt nicht offen bekennend nationalsozialistisch, obwohl einige Merkmale völkisch-antikapitalistischer Agitation auch Inhalt "nationalrevolutionärer" Agitation der NSDAP waren (Weltverschwörung des raffenden Kapitals, die Opfer sind Volksgemeinschaft, Kulturen und Heimat). Gegen die Strategie der Anpassung der NPD bis 1991 setzten die militanten Nationalsozialisten die "Strategie der Provokation": "Tabus aber liegen in Deutschland zu Dutzenden auf der Straße: das Judenproblem, der Vergasungsschwindel, die Kriegsschuldlüge, die geschichtliche Größe Adolf Hitlers, die illegale NSDAP. die Presse heult auf, der Justiz- und Polizeiapparat setzt sich in Bewegung und große Schlagzeilen reißen eine kleine Bewegung aus ihrer politischen Bedeutungslosigkeit." (M. Kühnen). Weiter entfaltet hat sich die "Strategie der Gegengesellschaft", die in der Öffentlichkeit unter dem Begriff "national befreite Zonen" aufgegriffen wurde: "Die nationale Gemeinschaft praktisch organisieren, sie muß die Keimzelle einer streitbaren Gegengesellschaft bilden. Daraus folgt selbstverständlich, daß die Organisationsform dieser Gemeinschaft nicht eine Partei, ein Verein oder eine sonstige Körperschaft im rechtlichen Rahmen des bestehenden Systems sein kann, sondern den Charakter einer "Bewegung" haben muß, mit strenger, verbindlicher Organisierung nach innen, jedoch ohne von außen her nachvollziehbare Strukturen."( Jürgen Rieger, Nation+Europa, 1/94)

Diese Strategie versucht der Entwicklung einer rassistischen Jugendkultur und völkischer Mehrheiten Form und Ziele, Anleitung zum lokalen Handeln in Dörfern und Stadtteilen zu geben. Die Vernetzung von Läden und Betrieben in "nationaler Hand", die Besetzung und Schaffung von Treffpunkten und Kommunikationsstrukturen, die militante Dominanz in Gemeinden, Jugendclubs, Schulen, Discos und Schwimmbädern folgen meistens keinem Plan, werden aber unterstützt und gefördert. Die NPD und JN versucht mit dem sogenannten "Drei-Säulen-Konzept" (Kampf um die Straße, die Köpfe, die Parlamente) diese Strategie zusammen mit den "freien Kameradschaften" zu organisieren.

Anerkennung und Unterstützung durch die alten Nationalsozialisten

"Die eine Gruppe besteht aus europäischen Kameraden der Waffen-SS. Der vorderste trägt ein Schwert mit beiden Händen vor sich. Die zweite Gruppe: Junge Männer - ebenfalls aus verschiedenen europäischen Ländern. Totenstille. Nur die Musik. In kurzen und prägnanten Worten wird der Geist und die Tradition des europäischen Befreiungskampfes der Waffen-SS dargestellt. Dieser Kampf hat nie geendet und wird nie enden. Aus der Gruppe der Alten löst sich nun der Schwertträger - ebenso tritt ein Junger hervor: das Schwert wird übergeben. Hier tritt eine neue Generation in den Kampf." (1988)

Bei dieser Zeremonie anläßlich einer Sonnwendfeier 1988 in Frankreich, an der Mitglieder der deutschen Nationalistischen Front teilnahmen, redete der ranghöchste nicht-deutsche SS-Offizier Leon Degrelle zu 350 Neonazis und Altnazis aus ganz Europa. Anwesend war auch Otto Ernst Remer (gestorben 1997), Generalmajor in der SS-Leibstandarte Adolf Hitler, die den Putschversuch am 20.Juli 1944 gegen Hitler niederschlug. Die neuen Nationalsozialisten hatten sich seit den 70er Jahren um ihre Anerkennung als Erben der alten Nationalsozialisten bemüht, und diese Legitimation und Anerkennung erhielten sie nicht nur von einzelnen Personen, sondern von den Nachfolgeorganisationen der SS und NSDAP. "Für die Kriegsgeneration ist es eine späte Genugtuung, diesen Aufbruch noch zu erleben und zu fördern zu können. Sie wollen von der Kriegsgeneration lernen, solange diese Möglichkeit noch besteht und sind bereit, den Staffelstab von uns zu übernehmen."(Leitheft 1994/1995, Rundbrief des Kameradenkreises der ehemaligen Waffen-SS). Der weiter oben erwähnte Herbert Schweiger, ebenso Mitglied der SS-Leibstandarte Adolf Hitler, gehörte genauso wie Jürgen Rieger zu den Hauptrednern vor 4500 Nazis beim Tag des Nationalen Widerstands der NPD im Februar 1998 in Passau. Er schrieb mit am Programm der Nationalistischen Front, einer Organisation, die eine Elite gut ausgebildeter NS-Kader schaffen wollte, und aus der auch der jetzige Anmelder der Frankfurter Großdemonstration Steffen Hupka stammt. Nach dem Verbot der ANS/NA 1983, als Michael Kühnen und seine Kader eine neue, legale Basis in der Freiheitlichen Arbeiter Partei (FAP) fanden, flossen Gelder über Otto Ernst Remer, einen der Hauptorganisatoren des internationalen Faschismus, an die FAP. Als im Mai 1984 das Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitler (KAH) in Madrid gegründet wurde, dessen Führungsmannschaft aus Thomas Brehl, Jürgen Mosler, Thomas Wulff, Peter Müller und Michael Swierczek bestand (fast alle noch heute aktive NS-Kader), war der o.g. Leon Degrelle als übergeordnete Autorität anwesend. Als es 1989 zum Waffenstillstand zwischen den verfeindeten Flügeln der FAP (dem Mosler und Kühnen-Flügel) kam, unterzeichnete neben führenden NS-Kadern wie Christian Worch, Friedhelm Busse, Jürgen Mosler, Thomas Wulff, Christian Malcoci, Michael Swierczek, Michael Kühnen und Thomas Brehl auch der Bundesvorsitzende im Notvorstand der FAP, Walter Matthaei (1991 gestorben, Referent im Ministerium Alfred Rosenberg bis 1945, Gründer der Wikingjugend 1952). Die Förderung und Unterstützung der neuen Nazis durch die Waffen-SS und NSDAP-Kreise und ihre Hintergrundorganisationen Deutsche Kultur Gemeinschaft, Notgemeinschaft für Volkstum und Kultur oder die Gesellschaft für freie Publizistik weiter auszuführen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Agitationsschwerpunkte Antisemitismus und Rassismus

"Wer diesen Film sieht, den (sic!) darf anschließend kein Jude mehr über den Weg laufen."
Manfred Roeder 1976 in Helgoland über seine Erfolge mit der Aufführung des NS-Propagandafilms "Jud Süß"

Der ungebrochene rassische Antisemitismus der bekennenden Nationalsozialisten drückt sich in dieser Äußerung des Bilderbuchnazis Roeder aus. Bei der Tagung am 26.4.76 der "Bürger- und Bauerninitiative" des inzwischen verstorbenen Thies Christophersen, war sicher nicht zufällig der Goebbels-Mitarbeiter Dr.Taubert anwesend, Macher des Films "Der ewige Jude", und Udo Walendy aus Vlotho, in dessen Verlag das Buch "Die Auschwitzlüge" erschien. Christophersen selbst ist Autor des 1973 erschienen Buchs "Die Auschwitzlüge", mit einem Vorwort von Manfred Roeder. Der Agitationsschwerpunkt Antisemitismus besteht aus zwei scheinbar paradoxen Richtungen: erstens der Leugnung der Massenvernichtung der europäischen Juden, weil die Nazis den Nationalsozialismus wesentlich durch das öffentliche Bewußtsein und die Erinnerungskultur der ZeitzeugInnen und Nachfahren der Opfer gesellschaftlich denunziert und tabuisiert sehen, Auschwitz als Moralkeule, die "Deutschland" erpressbar mache, empfinden. Die Auschwitzleugnung zielt auf die Würde und moralische Autorität der Überlebenden der Shoa, sie soll deren Erinnerung unglaubwürdig machen, die Vernichteten Juden, Sinti und Roma aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis löschen.

Zweitens die Propagierung von ungebrochenem Haß auf die überlebenden Juden, die Agitation für die Vollendung der "Endlösung". Die Mittel der Auschwitzleugnung sind in erster Linie provokative Öffentlichkeitsaktionen, pseudowissenschaftliche Gutachten, die z.B. die technische Unmöglichkeit der Vergasungen in Auschwitz beweisen sollen, oder den Nachweis der Fälschung der Tagebücher Anne Franks erbringen wollen. Bekannte "Experten", die international in der NS-Szene Vorträge auf Kongressen und Veranstaltungen halten und in rechten Verlagen ihre Bücher herausgeben, sind der Engländer David Irving, der Deutschkanadier Ernst Zündel und der Franzose Robert Faurisson. Das Institute For Historical Review mit Sitz in den USA vernetzt und koordiniert seit 1979 die Geschichtsrevisionisten, die den Nationalsozialismus rehabilitieren wollen. Die Mittel der zweiten Richtung von antisemitischer Agitation sind antisemitische Verschwörungstheorien, die Identifizierung "des Judentums / Israels" mit dem raffenden Kapital und einer einflußreichen, parasitären Schicht., oder den Nestbeschmutzern, die den Deutschen Auschwitz nie verzeihen werden, weil sie daran verdienen. Sie zielen darauf, die "Befreiung" von den bedrohlichen Juden notwendig erscheinen zu lassen, und die Vernichtung dieser imaginären Feinde als befreiend zu empfinden. Wie heftig die Vernichtungsphantasien der Nazis gegenüber Juden sind, demonstrieren Liedtexte der Naziskinbands wie "Laßt die Messer flutschen in den Judenleib" oder "Parlamente, Quasselbuden, da haben sie agiert, die Knechte der Juden, räuchert sie aus, schlagt sie zu Brei. Der Schande ein Ende, Deutschland wird frei", in zahlreichen Drohungen gegen jüdische Gemeinden, Anschläge auf Synagogen, Friedhofsschändungen und antisemitischen Verspottungen.

1982 wurde von ANS-Mitgliedern das selbst produzierte Spiel "Jude ärgere dich nicht" an jüdische Einrichtungen verschickt; Ende der 80er Jahre tauchten Computerspiele wie der "KZ-Manager" an Schulen auf, zwei Beispiele für Vernichtungsphantasien gegenüber den zu lächerlichen Spielfiguren gemachten Juden.

Ein anderes Mittel der politischen Stellungnahme für den Nationalsozialismus und gegen seine Opfer war und ist die Verbrüderung mit den TäterInnen. So machte eine Gruppierung aus der illegalen NSDAP, die ANE des Erwin Schönborn, Frankfurt, die Hauptangeklagte im Düsseldorfer Majdanek-Prozeß Hildegard Lächert zur Sptizenkandidatin für die Europawahl, oder feierte Manfred Roeder zusammen mit dem KZ-Wächter Wagner "Führers Geburtstag" in Brasilien (1978).

"Jetzt geht es darum, Sachpositionen zu gewinnen, ein Problem zu finden, das tatsächlich die Masse der Bevölkerung als Problem bewegt und das nur von Nationalsozialisten gelöst werden kann. Das wird im wesentlichen die Ausländerfrage sein" Michael Kühnen, Februar 1982

Seit Beginn der 80er Jahre rückte die rassistische Agitation gegen MigrantInnen und Flüchtlinge in den Vordergrund bei den bekennenden NationalsozialistInnen. "Rassenmischung" und "Überfremdung" wurden als die zentralen Bedrohungen für "Deutschland" wahrgenommen, gleichzeitig versprachen sich die NS-Kader bei wachsender Massenarbeitslosigkeit eine breite Resonanz für ihre Parolen. Die Aktion Ausländerrückführung trat 1983 als Wahlpartei der ANS/NA bei den hessischen Landtagswahlen an und war als mögliche Massenpartei vorgesehen. Sie wurde jedoch gleichzeitig mit der ANS/NA im Dezember 1983 verboten. Eine Initialzündung für die rassistische Agitation der Nazis war das sogenannte "Heidelberger Manifest" vom 17.6.1981, das von deutschnationalen Professoren (Haverbeck, Schröcke, Illies Siebert u.a.) unterzeichnet worden ist. "Mit Sorge", so die Autoren, "beobachten wir die Unterwanderung des deutschen Volkes durch Zuzug von Millionen von Ausländern und ihren Familien, die Überfremdung unserer Sprache, unserer Kultur und unseres Volkstums". Dieses Manifest erregte breite Resonanz von Rechtskonservativen in der CDU/CSU bis zu den NS-Gruppierungen. Die Richtungen der rassistischen Agitation lassen sich je nach angesprochenem Publikum unterscheiden: erstens eine "wissenschaftliche", in der Form sachliche Argumentation, daß eine weitere Einwanderung aus Gründen des Umweltschutzes und des Erhalts der Lebensgrundlagen verhindert werden müsse, das multiethnische Gesellschaften in Konflikten versinken, und die Völker als natürliche Ordnungen zerstören würden. Diese Argumentationen wurden von der "Neuen Rechten" entwickelt, die zeitgemäße Konzepte des völkischen Nationalismus und der Volksgemeinschaftsideologie, zum Beispiel den Ethnopluralismus, diskursfähig machte. Wesentliche Repräsentanten dieser Richtung sind die Zeitschriften Junge Freiheit und Criticon, eingegangen sind diese rassistischen Argumentationen aber auch in die nationalsozialistischen Gruppen. Zweitens eine aggressive, vorurteilsverstärkende, die Ungleichheit betonende Agitation: sie kriminalisiert MigrantInnen, stellt sie als Schmarotzer dar, behauptet ihre "kulturelle und rassische" Minderwertigkeit, und versucht ein bedrohliches Bürgerkriegsszenario zwischen sich verteidigenden Deutschen und andrängenden MigrantInnen zu beschwören. Die ständige Rubrik "Neues von der Überfremdungsfront" in Nation+Europa, die Hetze in der Nationalzeitung aus Gerhard Freys Medienimperium, die Veröffentlichungen von NPD und REPUBLIKANER sind von dieser Art der rassistischen Dauermobilisierung geprägt, ebenso die Wahlkämpfe von REP, DVU und NPD. Rassistische Parolen wie "Deutschland den Deutschen" oder "Langen soll Deutschlands erste ausländerfreie Stadt werden" (FAP - Wahlkampf 1988) demonstrieren den militanten Charakter der Propaganda. Schon in den 80er Jahren wurden MigrantInnen von Nazis ermordet: 1980 starben zwei Vietnamesen nach einem Bombenanschlag der "Deutschen Aktionsgruppen" von Manfred Roeder; 1985 wurde der 26jährige Ramazan Avci von Skinheads aus dem FAP- Umfeld zusammengeschlagen und starb an den Folgen der schweren Verletzungen; 1988 verübte das Mitglied der Nationalistischen Front, Josef Saller, einen Brandanschlag auf ein von türkischen MigrantInnen bewohntes Haus in Schwandorf/Oberpfalz, vier Menschen kamen dabei ums Leben. Die Umsetzung der programmatischen Ziele der Nationalsozialisten, die "Ausweisung aller Ausländer innerhalb von zehn Jahren" (Nationalistische Front, 1986) wäre nur politisch möglich, militante Aktionen gegen MigrantInnen wären keine Lösung des "Ausländerproblems", so die erfindungsreiche Distanzierung von "sinnloser Gewalt", ohne das gemeinsame rassistische Ziel zu verleugnen. Die Doppeltaktik der NS-Kader, einerseits friedliche Lösungen für die "Ausländerfrage" anzubieten, und andererseits auf die brutale Gewalt und alltägliche Diskriminierung gegen Flüchtlinge und Migrantinnen zu setzen, ist Ausdruck von zwei verschiedenen taktischen Zielen. Während die "vernünftige, sachliche" Argumentation auf die Beruhigung der demokratischen deutschen Öffentlichkeit aus ist und die Anerkennung als Verhandlungs- bzw. Diskussionspartner erreichen will, ist die andere Strategie die eines Machtzuwachses durch vollendete Tatsachen, was die politische Verhandlungsposition wiederum verstärkt. Am 9. April 1991 fand in Niederaula bei Kassel ein Treffen mit mehreren hundert Mitgliedern verschiedener NS-Gruppen statt (NF, Nationale Liste/NL, GdnF). Die zentrale Botschaft des Hauptredners Jürgen Rieger war ein "9 Punkte Programm zur Rückführung von Ausländern", in dem es unter anderem darum geht, es Flüchtlingen und MigrantInnen so schrecklich und gefährlich wie möglich zu machen, noch in Deutschland zu bleiben, und zwar mit dem "Feuerteufel". Der Einfluß der militanten Nationalsozialisten auf die nachfolgenden Pogrome in Hoyerswerda, Mannheim-Schönau, Quedlinburg und Rostock sollte nicht überschätzt werden, als Erfolg der eigenen NS-Politik werden die Pogrome und rassistische Terrorwelle auch heute noch gefeiert. Ein beliebtes Lied einer Naziskinband aus England ist "Barbecue in Rostock", deutlicher kann die Freude über diesen Sieg des Völkischen nicht ausgedrückt werden.

Die Kampf- und Gesinnungsgemeinschaft

"Neben der natürlichen Auslese, die Mitläufer von politischen Aktivisten trennt, braucht die Organisation geschulte und konstruktiv arbeitende Führungskräfte. Eine straff geführte Organisation, wie wir sie in unserem revolutionären Befreiungskampf brauchen, funktioniert aber nur dann, wenn das Gerüst dieses Personenzusammenschlusses auf einer natürlichen Hierarchie aufgebaut ist, wobei wir bei der Ein - und Unterordnung wären." Steffen Hupka, 1996

Die heutigen freien Kameradschaften, bestehend seit dem Verbot vieler Organisationen ab 1995, verfügen trotz mancher Rückschläge und des Rückzugs von vielen Aktivisten über langjährig aktive, erfahrene Führungskader, von denen viele schon ab Ende der 70er Jahre in der ANS aktiv waren, die FAP, die NF und die GdnF (Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front) durchliefen. Neben den schon genannten Christian Worch (ANS, FAP, GdnF NL Hamburg), Thomas Wulff (GdnF / NL Hamburg) und Steffen Hupka (ANS Hannover, NF, NPD) seien an dieser Stelle nur Siegfried Borchardt (ANS, FAP Dortmund), Markus Prievenau (FAP Bremen, heute bei Hildesheim) und Thorsten Heise (FAP, Blood & Honour Northeim) erwähnt. Dieser intakte Führungskader steht für die Kontinuität auch der Organisationsprinzipien der Nationalsozialisten (politisches Soldatentum, Befehl - Gehorsam, Elitebewußtsein, Kameradschaft - Korpsgeist), die in allen neuen Organisationsformen umgesetzt werden. Der Unterschied zu Organisationen wie der Nationalistischen Front, in der die Hierarchie von der Organisationsleitung bis zu den Stützpunkten bis ins Detail geregelt war, ist heute der mehr kooperative, informelle Charakter der Führung in den Strukturen der freien Kameradschaften. Die freien Kameradschaften/freie Nationalisten opponieren trotz aller Zusammenarbeit mit der NPD gegen jeden Führungsanspruch dieser Partei in der NS-Bewegung. Konflikte zwischen NPD/JN-Kadern und den Kameradschaften entzündeten sich zuletzt nach dem Verbotsantrag gegen die NPD, als der NPD-Bundesvorstand alle Aktionen vorläufig absagte. Die "freien" Strukturen setzten in Tradition auf die Strategie der Provokation und organisieren seit dem Herbst fast wöchentlich Aufmärsche, mit denen sie in die politische Offensive kommen wollen. Konflikte gab es um die Solidarität mit Kay Diesner (WAW, Weißer arischer Widerstand), der 1997 einen PDS-Buchhändler niedergeschossen hatte, und vier Tage später einen Polizisten erschoss. Während die freien Kameradschaften Diesner als Vorbild priesen, distanzierte sich die NPD von ihm. Die freien Kameradschaften kritisierten die NPD zum Teil heftig, wenn diese ihrer Ansicht nach mangelnde Kompetenz bei der Organisierung von Aktionen an den Tag legte, oder der Konfrontation mit der Polizei auswich. Diese Konflikte dienten den freien Kameradschaften dazu, sich in der NS-Bewegung als die konsequentere, militantere und kompetentere Organisierung zu profilieren. Welche Auswirkungen ein NPD-Verbot auf die Organisationen der NationalsozialistInnen haben wird, läßt sich noch nicht abschätzen, denn auch die Kameradschaften sind kein vor Kriminalisierung geschütztes Erfolgsmodell. Eine Aktionsmüdigkeit der Kader, auf die das Aussteigerprogramm der Bundesregierung setzt, kann bisher leider nicht festgestellt werden. Insgesamt kann festgehalten werden, daß diese Führungs- und Kampfgemeinschaft von langjährig aktiven Kadern garantiert, daß ihre Strategien, Agitations- und Aktionsschwerpunkte, Organisationsprinzipien und ideologischen Kernaussagen die jetzige Verbotspolitik überstehen und diese sich im völkischen Lager und rassistischer Jugendbewegung verselbständigen und ausbreiten.

Informationen zu den Freien Nationalisten Rhein-Main und zu ihrem Chef Marcel Wöll

Zurück zu der Archivseite mit den Informationen über die Mobilisierungen gegen Nazi-Aufmärsche im Mai 2001, 2002 und 2003
zurück zur Hauptseite