Sowohl die reformistische wie auch die radikale Linke sieht sich aktuell dem Problem ausgesetzt, dass sie – sofern sie überhaupt noch vorkommt – nur defensiv als rückwärtsgewandte „Fortschrittsfeinde", „Bremser" und „Blockierer" wahrgenommen wird. Irgendwie ungewohnt für eine politische Richtung, die doch eigentlich immer - und zu recht - die anderen als „Ewiggestrige" und „Reaktionäre" angegriffen hat.
Doch heutzutage sind gerade jene – die sich früher teilweise mehr schlecht als Recht gegen de Vorwurf wehren mussten, einer fortschrittlichen Entwicklung der Gesellschaft im Wege zu stehen – die, die leider eine durchaus realistische Zukunftsvision entwerfen.
Beispielhaft für diese miese Entwicklung in allen gesellschaftlichen Bereichen ist die BdV-Vorsitzende Erika Steinbach, deren reaktionärer Folklore-Verein es gerade mit dem Sieg der ehemaligen Revoluzzer von Rot-Grün geschafft hat, sein Image als „ewiggestrig“ los zu werden und aus der Schmudellecke heraus zu kommen. So gehört man – Zitat Roland Koch – heute zu Deutschland wie das Rote Kreuz. Und recht hat er. Denn wo ein Grünen-Funktionär sekundiert, dass sich heutzutage vor allen Dingen „Sachprobleme" stellen, die "jenseits der alten ideologischen Gräben" verlaufen, da ist auch Erika Steinbach nicht weit und verkündet, [Zitat] „endlich darf man vorurteilsfrei allen (also des deutschen) Leidens gedenken".
Natürlich ist diese Rhetorik grundsätzlich als Lüge von der Alternativlosigkeit der Gesellschaft zurückzuweisen. Doch so richtig es ist, diesen Bezug auf vermeintliche „Realität" und „bloße Sachprobleme" als Teil einer politischen Strategie zu outen, so sehr bleibt ein Verständnis dieser Gesellschaft begrenzt, das die Entpolitisierung der Gesellschaft als „Trick der Herrschenden" begreifen will. Ein kritisches Verständnis von Gesellschaft muss darüber hinausgehen. Schließlich ergibt sich die Reduzierung gesellschaftlicher Konflikte auf ihre systemimmanente Lösbarkeit nicht aus der Verordnung von oben, sondern vielmehr aus der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft selbst. Der Wiederaufstieg des deutsch-europäischen Standortes mit all seinen negativen Folgen vom Abbau der sozialen Rechte über den Ausbau der Überwachungsgesellschaft bis zur „Normalisierung" der Geschichtspolitik ist ohne die Legitimation über „Realität" nicht denkbar. Die nationale Realität ist zwar eine konstruierte, aber gerade deswegen kein Hirngespinst. Wer die Konsequenzen einer radikalen Gesellschaftskritik zugunsten der „Nutzbarmachung zur Anklage gesellschaftlicher Fehlentwicklungen" scheut und daher halbiert ist in ihr gut aufgehoben. Wo die Realität reaktionär im Sinne der zunehmenden Abwesenheit menschlicher Gestaltungsfähigkeit ist, sind Reaktionäre nicht hintendran sondern just in time. Es wird dementsprechend zunehmend sinnlos, die reaktionären gesellschaftlichen Gruppen als „Ewiggestrige" outen zu wollen und ihnen so implizit vorzuwerfen, nicht auf der Höhe der Zeit zu sein. Schließlich sind sie nicht am rechten Rand der Gesellschaft zu finden, sondern in der neuen Mitte des Standortes. Egal dort ob die Charaktermasken Steinbach, Fischer, Schröder oder Westerwelle heißen.
Der Vorwurf des „Revanchismus" gegen die deutsche Geschichtspolitik im Sinne des Versuches einer Rückbesinnung und Rückgewinnung alter Grenzen und Vorteile trifft in diesem Zusammenhang daneben. Vielmehr ist die neue deutsche Geschichtsschreibung nach vorne gewandt, stellt nationale Identität durch die großflächige Einbeziehung der nationalen Zivilgesellschaft auf eine breite Basis und zielt so auf die Stärkung der Gestaltungsfähigkeit des Standortes im 21. Jahrhundert ab. Diesem neuen Vorgehen entsprechend kann sich das benachbarte Ausland, insbesondere Polen, seit einiger Zeit vor aggressiven deutschen Versöhnungsangeboten und Gesten kaum noch retten. Überall will entweder der Kanzler oder die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen dabei sein, um immer wieder zu verkünden, dass jede Niederlage Nazi-Deutschlands ein Sieg für Deutsch-Europa sei und jedes deutsche Verbrechen, wie etwa die Niederschlagung des Wahrschauer Aufstandes, doch zumindest „ein großartiger Anlass zur Versöhnung" (vergl. FR vom 21.7.04). Dabei geht es jedoch genauso um die Relegitimierung von Großmachtansprüchen im europäischen Gewand, wie sich nichts daran ändert, dass der der von Völkern und Nationen redet vom einzelnen Menschen schweigt. Zu dieser Normalisierung der deutschen Verbrechen für Deutschland gehört das Holocaust-Mahnmal ebenso wie die Verehrung der Attentäter des 20. Juli, die Europäisierung der Schuld, das nationale Pop Geplärre von MIA, Heppner und Konsorten sowie die lächerliche Zwangsarbeiter-„Entschädigung".
Dem tut auch die gesellschaftliche Debatte in der beispielsweise das Holocaust-Mahnmal als "Monumentalisierung der Schande" (vergl. Martin Walser) bezeichnet wurde keinen Abbruch. Vielmehr erweisen sich an ihr die Abstimmungsschwierigkeiten und Ungleichzeitigkeit der Durchsetzung des Standortbewusstseins, das am Ende doch nur „ein Sieg für Deutschland" (vergl. Schröder zum D-Day) sein kann. Dementsprechend ist es kein grundsätzlicher Widerspruch, dass einer wie z.B. Martin Walser der gegen das Holocaust-Mahnmal wetterte, sich dann am 8. Mai zum Klönen über Vaterlandsliebe mit dem SPD-Kanzler trifft. Eine linke Kritik, die sich nur gegen den klar revisionistischen Rand richtet und das „Einbrechen" oder "Einsickern" reaktionärer Strömungen in die Mitte der Gesellschaft beklagt, verfehlt also den Gegner. Ohne die rechtsextreme Variante der Nation zu unterschätzen muss sich linke Kritik daher gegen den normalisierten nationalen Standort und seine vorgeblich „antifaschistische" Mitte richten. Dafür braucht es keine befriedeten Gedenktage und das Theoretisieren im luftleeren Raum, sondern den Angriff auf eine gesellschaftliche Praxis und deren Symbole, die der deutschen Geschichte immer wieder treu bleibt.
Geschichte des BdV (Antifa-Jugend)
"Das aggressive Selbstmitleid der Täter stören!" Sinistra
Kommentierte Linkliste zum Bund der Vertriebenen (BdV)