Das aggressive Selbstmitleid der Täter stören!

Gehalten auf der Demonstration am 12. September 2004

In den letzten Wochen war der sogenannte „Bund der Vertriebenen“ Aufgrund der Debatte um Entschädigungen und Rückgabeforderungen in den Schlagzeilen. Wir möchten diesen Anlass nutzen, um einen blick zurück zu werfen.

Die BRD als Rechtsnachfolgerin des „Dritten Reiches“ gründet wesentlich in den Profiten, die den Arisierungen und dem Raubkrieg entstammen, sowie der durch den Nationalsozialismus vorangetriebenen technischen Modernisierung. Nach dem Krieg verfügten die Deutschen über ein verjüngtes und stärkeres Industriepotential als zuvor, was das – zumindest unbewusst vorhandene – Gefühl evozierte, für die Vernichtung belohnt worden zu sein. So verlor Konrad Adenauer in seiner ersten Regierungserklärung 1949 denn auch kein Wort über die 6 Millionen ausgelöschten Juden, forderte jedoch eine Revision der Entnazifizierung und gedachte der ausgebombten und ausgesiedelten Deutschen. Von hochoffizieller Seite wurde in der Folge das „Heimatrecht“ der Umgesiedelten eingefordert und durch die staatliche Finanzierung des größten zeitgeschichtlichen Forschungsprojekts der 50er Jahre, der achtbändigen „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“, zementiert. Bereits 1965 bescheinigte ein Soziologe der Literatur zu ebenjenem Thema einen "außerordentlichen,kaum zu überblickenden Umfang“. Die heute so weitverbreitete Rede vom Sprechverbot über das eigene Leid dient also lediglich dem Zweck des scheinbaren Tabubruchs.

Zugleich war 1952 der Lastenausgleich beschlossen worden, dessen Leistungen wesentlich den aus Osteuropa Umgesiedelten zukamen. Bis 1991 wurden ihnen allein aufgrund dieser Regelung 120 mrd. D-Mark ausgezahlt. Zusätzlich wurden 400 mrd. DM als Pensionen und Leistungen an deutsche Kriegsverbrecher und Massenmörder überwiesen. Demgegenüber stehen insgesamt lediglich 100 mrd. DM an Zahlungen für die überlebenden Opfer der Deutschen und an Reparationen für die überfallenen Staaten.

Stets wurde den Opfern nur auf ausländischen Druck und aufgrund strategischer Überlegungen Entschädigungen zugestanden. der Berechtigtenkreis wurde dabei so klein, die Antragsfristen so kurz und die Beträge so niedrig als möglich gehalten. Die meisten der mit dem Verfahren betreuten Beamten waren zuvor in der NS-Bürokratie tätig gewesen, so dass die Opfer oft ihren ehemaligen PeinigerInnen oder zumindest deren Gedankengut gegenüberstanden, was in vielen F ällen zu einer Retraumatisierung führte. Die Definitionsmacht über den Opferstatus blieb stets in den H änden der T äternation.

Juden, Sinti und Roma, KommunistInnen und andere wurden in die Rolle von Bittstellern gedrängt, während sich die Deutschen erneut als Herrenmenschen inszenieren konnten, etwa festlegten, dass ein KZ-Aufenthalt unter 6 Monaten nicht ausreichend für eine Entschädigung sei.

Auch die vor wenigen Jahren beschlossene Auszahlung von 8 mrd. DM an ehemalige Zwangsarbeiter kam nur auf internationalen Druck zustande. Es handelt sich bei dem Diktat, dessen Entstehungsprozess kaum mit dem Wort Verhandlungen bezeichnet werden kann, um ein Almosen, stehen ihm doch immer noch 230 mrd. D-Mark allein an vorenthaltenem Lohn aus der Sklavenarbeit gegenüber. Mittlerweile sind 90% der Opfer gestorben, die meisten wurden nie mit einer finanziellen Zuwendung bedacht. Für die Übrigen reichen die nun überwiesenen Raten oft gerade noch zum Kauf eines Sarges. Der Verband der tschechischen Zwangsarbeiter etwa musste kürzlich seine Arbeit wegen Überalterung der Mitgliedschaft einstellen, obwohl nur ein zehntel der 600.000 von ihm vertretenen ehemaligen Arbeitssklaven Geld aus der BRD erhielt.

Demgegenüber stehen die mitgliedsstarken Verbände des BdV, deren Anliegen seit einigen Jahren dank Günter Grass, Guido Knopp, Otto Schily und anderen Walsern wieder in aller Munde ist. Uneinigkeit besteht allerdings über den zu beschreitenden Weg bei der Umsetzung der revanchistischen Zielsetzung: während Initiativen wie die „Preußische Treuhand“ lautsprecherisch auftreten und für die R ückgabe ihres angeblichen Vermögens bis vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen drohen, befürchtet der deutsche Mainstream in Form von Gerhard Schröder und Erika Steinbach dadurch gerade angesichts des geplanten "Zentrums gegen Vertreibungen“ einen Imageverlust und bietet den Nachbarstaaten großzügig eine „Materielle Nullösung“ an. Die scheinbar liberale Haltung entpuppt sich als Heuchelei eingedenk nicht nur des auf der Massenvernichtung basierenden bundesrepublikanischen Wohlstands, sondern auch der seit 1989 intensiv vorangetriebenen Regermanisierung Osteuropas via Kapitalexpansion und Volksgruppenrecht. Angesichts der ideologischen und personellen Kontinuitäten zwischen NS-Regime und BRD, angesichts des auf der Asche der Ermordeten errichteten „Sozialstaates“, angesichts der fortwährenden Exklusion und Erniedrigung der Opfer bei gleichzeitiger Protegierung von T äterrepräsentationen wie dem BdV sagen wir: Der BdV ist der Bund, den es nicht mehr geben dürfte, Deutschland ist das Land, das es nicht mehr geben dürfte.

Weitere Redebeiträge auf der Kundgebung:

Redebeitrag der autonomen antifa (f)
"Das aggressive Selbstmitleid der Täter stören!" Sinistra

Kommentierte Linkliste zum Bund der Vertriebenen (BdV)