Beerdigung Günther Sares

Am 9. Oktober 1985 wird Günter Sare beerdigt. 3000 Menschen (darunter viele Bewohner der Gallus-Viertels) bilden einen machtvollen Trauerzug bis zum Friedhof. (Das wird von verschiedenen Leuten auch anders empfunden.) Die Bullen, immer noch 2000 an der Zahl, sind zwar kaum sichtbar, aber immer in der Nähe. Die massenhaft anwesenden Fotografen, werden aufgefordert zu verschwinden, werden von uns von den Brücken vertrieben und damit am Fotografieren gehindert.

Autonomer Redebeitrag zur Beerdigung von Günter Sare

Aus einem Zeitungsartikel vom 1.Juni 1974:

Der 17-jährige Schüler Thomas Hytrek wurde auf dem Platz vor dem Römer von einem Wasserwerfer mit 28km/h zu Boden gerissen. Gerd Koenen vom KBW bezichtigte die Polizei des Mordversuchs. Der Fahrer des Wasserwerfers habe regelrecht Jagd auf Thomas Hytrek gemacht ,nachdem er den Polizeieinsatz fotografiert "habe. Polizeipräsident Knut Müller dagegen; "Hytrek ist in einer Wasserlache ausgerutscht und konnte deshalb nicht schnell genug ausweichen!"

Der Zeitungsartikel trägt die Überschrift: "Ein Toter wäre den Chaoten gerade recht." Nein,meine Herrschaften in Polizei-, Parlaments- und Pressekreisen.Ein Toter ist uns wahrhaftig nicht recht, genausowenig wie es dem Günter Sare nicht recht war.

1.) Es hiess auf Transparenten und Flugblättern, Günter Sare sei im antifaschistischen Kampf gestorben. Das ist wahr! Die andere Hälfte dieser Wahrheit, dass er genauso wie wir alle bei zahlreichen anderen Gelegenheiten hätte ermordet werden können: an der Startbahn West bei Gaseinsätzen, in Hanau, wo ein Polizist mit der Pistole über Demonstranten schoss oder schon 1974 um ein Haar Thomas Hytrek.
Da wird allen Ernstes darüber diskutiert, ob der Staat faschistische Organisationen verbieten soll. Ist denn wirklich noch nicht dem Letzten klar, was dieser Staat, der uns in Polizeiuniform entgegentritt und uns mit Hasserwerfern schon 1974 genauso wie heute plattgewalzt hat, ist?
An der Startbahn West wie in Biblis, in Wackersdorf wie in Gorleben stehen hinter den Polizeiketten die festge-schlossenen Reihen der Herrschaften aus Banken, Industrie und Handel. Und damit das alles seine Ordnung hat, erklären uns die gekauften Pol-tikermarionetten dazu: "das ist die lebenswerteste aller Demokratien".
Nein hier handelt es sich nicht um fahrlässige Tötung, sondern um staatlich verhängte Todesstrafe gegen einen Menschen, der es gewagt hat anderer Meinung zu sein, als der staatlich verordneten.

2.) Günter Sare wurde von der Presse, ebenso wie von den verschiedensten Parteien und Gruppen auf Demonstrantenseite übelst vermarktet. Auf der einen Seite war er der Berufsdemonstrant, der Startbahnkrawalltäter oder der vorbestrafte Kriminelle. Auf der anderen Seite wurde er uns verkauft als sterile Bilderbuchfigur, die wahlweise ehrenamtlicher Sozialarbeiter, braves Vereinvorstandsmitglied oder alter Mitkämpfer und Freund jetztiger Stadtverordneter sein sollte.
Nein, Günter Sare war hauptamtlich Systemgegner, weil er dieses System nicht einfach hingenommen hat. Wo geldgeile Immobilienspekulanten - gestützt auf Politiker.geschützt durch Polizei - die Wohnungen der einfachen Leute zerstörten, da hat er Häuser mitbesetzt. Er war ein ganz unbraver Vereins- und Parteiengeg ner, weil er gesehen hat, wie im Vereins- und Parteiengerangel um öffentliche Gelder die Interessen der Stadtbevölkerung zu kurz kamen. Deswegen hat er ohne Staats- und Stadtgelder im Gallus seine Art von Stadtteilarbeit gemacht: er hat mit anderen, hauptsächlich ausländischen Freunden Ende 1974 das unabhängige Galluszentrum auf- und ausgebaut. Er war zwar früher der Mitkämpfer heutiger Abgeordneter, aber nie und nimmer hat er die als solche akzeptiert. Günter hat bis zuletzt den Standpunkt vertreten, dass Selbsthilfe und aktives Handeln besser ist als parlamentarisches Gottvertrauen.
Günter politisierte sich in der 67/68er Bewegung. Besonders das Attentat auf Rudi Dutschke war für ihn Grund genug, im Gallus die Anti-Springerkampgne aktiv mitzumachen. Von seinen alten Mitstreitern ist kaum noch jemand übrig geblieben. Viele sind integriert, avanciert oder haben ganz einfach resigniert. Er nicht. Er hat mit seiner Arbeit im JUZ-Bockenheim genauso nach Möglichkeiten für seine Art von autonomer Selbsthilfe und Aktivität gesucht, wie bei dem deutsch-ausländischen Freundschaftsfest auf dem Schulhof neben der Nazi-Tagung. Günter war nicht als Fighter oder Berufsdemonstrant vor Ort am Haus Gallus. So wie er weitgehend als Einzelperson sich seine eigenen Gedanken gemacht hat, nach denen er dann entschieden gehandelt hat, so war er auch an diesem Samstag als Einzelperson mit seinen beiden Neffen am Haus Gallus. In seinem Stadtteil, in dem er die selbstorganisierte Zusammenarbeit mit Deutschen und Ausländern mit aufgebaut hat, wird Günter gewiss seine eigenen Gründe gehabt haben, dahin zu gehen, wo Nationalisten und Faschisten ihren Ras-senhass verspritzten. Nein, wir lassen nicht zu, dass Günter Sare von Leichenfledderern vermarktet und verkauft wird. Unsere Trauer um ihn sitzt tief und unsere Hut über seinen erbärmlichen Tod ist gross.

3.) Uns wird vorgeworfen, wir hätten Günters Tod nur als Vorwand benutzt, um in den Tagen nach seinem Tod blindwütige Randale zu machen. So wie Günter in seinem jahrelangen Kampf gegen dieses System der Banken und der Spekulanten, gegen das Erdrücktwerden durch Hochhäuser, Bankpaläste und gigantische Flughafen gekämpft hat, so kämpfen wir auf unsere Weise gegen die Verödung unserer Wohngebiete, gegen die Zerstörung der letzten Naturreste, gegen Militarismus und Imperialismus und gegen das Eingepferchtwerden in Betonklos mit Kochnische. Wenn wir die Glasscheiben der
anonymen Geldberge zerschlagen, dann greifen wir genau die an, die die eigentliche Verantwortung an Günters Tod tragen. Und wenn sie sich von lausenden hirnloser Uniformierter Schweine schützen lassen, so zittern sie doch. Diese sogenannten blindwütigen Krawalle sind eben doch nicht 50 blindwütig und sinnlos. Im Gegenteil, sie zielen genau auf den Nerv des Systems, da wo es am offensichtlichsten ist. Und weil das jeder begreift, wird um so lauter geschrieen und gezetert, um von den wirklichen Problemen und Ursachen abzulenken. Wir stehen zu dem was wir tun und deshalb habt ihr keine Antworten für Menschen wie Günter und uns. Wir lassen uns nicht von Staatsmacht und Justiz vorschreiben, nach der Pfeife der Geld- und Machtgeier zu tanzen. Wir denken und handeln selbst und dass macht uns so unbequem!
So wie ihr Benno Ohnesorg, Jürgen Rattay und jetzt Günter Sare umgebracht habt, so würdet ihr uns alle am liebsten umbringen, damit ja nicht die heilige Kuh der Demokratie an irgendeiner Ecke ihres gesellschaftlichen Sockels ins Wanken gerät. Dabei sind die Risse schon unübersehbar geworden . Tausende und tausende von Arbeitslosen; tausende und tausende, die im Beton der Wohnghettos einzementiert werden. Wir werden mit vergiftetem Plastikfrass für die tägliche Arbeit belohnt, die
immer den anderen, den wahren Herren dieser Gesellschaft Profit und Macht bringt. Als regeleche Siegessäulen werden in unserem Angesicht die gläsernen Hochauspaläste errichtet, die tagtäglich vom Sieg über das Menschsein künden. Wenn ihr nichts anderes für uns und unsere Kinder übrig habt als Wallmanns Grosskotz-Frankfurt, dass mit einer blutrünstigen Armee von willenlosen Befehlsempfängern vollgestopft wird, dann wehren wir uns dagegen. Und damit kommen wir zum letzH ten Punkt: Wer, wie wir in den letzten Tagen erlebt hat, wie der Staat alles was sich bewegt hat, zusammengedroschern hat -ob Demonstrant, Reporter oder unbeteiligter Passant,dem fällt sofort die Parallele zu dem auf, was sich in mittel-l amerikanischen Bananenrepub-liken abspielt. Wen wundert ei dann, wenn Günter Sare das was sich in Nicaragua entwickelte, als mögliche Alternative begrüsste. Er trug sich mit dem Gedanken, dorthin zu gehen und seine eigenen Erfahrungen zu sammeln. Er kann jetzt nicht mehr.

Wir wollen Günter Sare nichtl für uns vereinnahmen, wir sa gen auch nicht, das dass was wir machen, ausschliesslich in seinem Sinn wäre - wir sagerl nur das eine:

DIE TOTEN HABT IHR NICHT ZU FÜRCHTEN -
ABER WIR LEBEN NOCH ! ! !

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