Athen 3.3.2014
Wir begrüßen die Ankunft des deutschen Bundespräsidenten in Griechenland und versichern Herrn Gauck unserer aufrichtigen Hochachtung, unserer Wertschätzung sowie unserer solidarischen Verbundenheit mit dem deutschen Volk. Wir wollen aber auch versuchen, an die noch nicht eingelösten Verpflichtungen seines Landes gegenüber der Geschichte zu erinnern.
Wie wir aus Meldungen in den Medien erfuhren, besucht der Bundespräsident auch die jüdische Gemeinde von Joannina, die fast vollständig dem Holocaust der Nazis zum Opfer gefallen ist: alle Angehörigen der jüdischen Gemeinde von Joannina wurden gewaltsam in die Krematorien des Schreckens gezerrt – nur aus dem einen Grund: sie waren Juden. Der Bundespräsident besucht auch den Märtyrerort Lyngiades, ein kleines Dorf oberhalb von Joannina, in dem Soldaten der Wehrmacht am 3.Oktober 1943 kaltblütig 82 unschuldige und friedliebende Bürger ermordet haben: unter ihnen Säuglinge, Kinder, Frauen und Greise. Dieser Massenmord geriet über Jahrzehnte hin in Vergessenheit, bis ein deutscher Historiker, Prof. Christoph Schminck-Gustavus ihn nach mehrjährigen Nachforschungen wieder ans Tageslicht brachte.
Mehr als einhundert solcher Massenmorde, denen Zehntausende von Zivilisten zum Opfer gefallen sind, hat die Nazi-Wehrmacht in Griechenland begangen. 1770 Dörfer wurden in unserem Land niedergebrannt, mehr als 400.000 Wohnhäuser in Schutt und Asche gelegt. So ist unser Land zum Schauplatz einer niemals zuvor gesehenen Tragödie geworden; kein anderes Land hat sie in diesem Umfang und in dieser Gestalt erlitten. Das führte dazu, dass Griechenland nach dem Ende der deutschen Besatzung weniger Einwohner zählte als vor deren Beginn: Bombardierungen, Massenhinrichtungen, Hungertote, Opfer von Epidemien und der Rückgang der Geburtenrate bewirkten einen dramatischen Bevölkerungsrückgang von 13,7%. Demgegenüber betrug der Bevölkerungsverlust der Sowjetunion 10 %, von Polen 8 % und der von Jugoslawien 6 %. Gleichzeitig erlitt Griechenland eine unsagbare ökonomische Katastrophe: das Land wurde restlos ausgeplündert und seiner Reichtümer beraubt. Archäologische Altertümer und Kunstschätze wurden gestohlen und ins Reich abtransportiert.
Gleichwohl hat unser Land bis heute, also 70 Jahre nach Ende der Besatzung, immer noch keine Wiedergutmachung erhalten. Und dies obwohl von Deutschland an alle anderen zerstörten Länder bereits Kriegsentschädigungen gezahlt wurden: an alle anderen – nur nicht an Griechenland! Warum? Auch der Besatzungszwangskredit wurde an Griechenland nicht zurückgezahlt – anders als an Polen und an Jugoslawien. Ebenso wenig wurden die geraubten archäologischen Güter und Kunstgegenstände von unschätzbarem Wert zurückgegeben. Warum? Wie erklärt sich diese nicht nachvollziehbare Haltung gegenüber unserem Land?
Der Besuch des ersten Bürgers der Bundesrepublik Deutschland in Griechenland, der sich vor den Opfern verneigt, ist zweifellos von hoher symbolischer Bedeutung. Er ist für ihn auch eine Gelegenheit, die Ereignisse in ihrer vollen Tragweite zu begreifen. Es ist daher auch der rechte Moment, dass Deutschland - im Bewusstsein seiner Verantwortung gegenüber den Opfern von nationalsozialistischen Verbrechen – Reue zeigt. Aufrichtig und mit Taten! Es ist Zeit, dass Deutschland endlich die Mauer der Gleichgültigkeit und Härte unserem Land gegenüber durchbricht. Wenn wir den Willen haben, wird auch ein Weg gefunden werden, unseren Konflikt zu lösen: in einvernehmlicher und in uns wechselseitig anerkennender Weise, ohne Feindschaft und Schmerz.
Unsere Parole ist: Gerechtigkeit, nicht Rache! 70 Jahre nach Ende der Besatzung und 24 Jahre nach der glücklichen Wiedervereinigung Deutschlands ist endlich die Stunde gekommen, dass die Bundesrepublik mit Taten ihre Schuld gegenüber dem Opfer des griechischen Volkes anerkennt, einem Opfer, das in hohem Maße dazu beigetragen hat, nicht nur Europa, sondern auch Deutschland selber vom Joch der Naziherrschaft zu befreien. So ist dies auch - und vor allem - eine ethische Frage, eine Frage der Wiederherstellung des Rechts. Es ist aber auch eine notwendige Voraussetzung dafür, dass wir endgültig die schwarzen Seiten der nazistischen Vergangenheit hinter uns lassen, dass beide Länder und Völker gemeinsam ein neues Kapitel in ihrer Geschichte aufschlagen: ein Kapitel des Friedens, der Freundschaft und Zusammenarbeit auf der Grundlage der Gleichberechtigung, der Aufrichtigkeit und des gegenseitigen Verständnisses. So werden wir unser Ziel auch für die nachfolgenden Generationen erreichen.