Seit bis zu acht Jahren haben wir in der Anti-Nazi-Koordination Frankfurt (ANK) mitgearbeitet und ihr Erscheinungsbild in den letzten Jahren mitgestaltet. Wir fanden den Ansatz der ANK richtig, spektrenübergreifend gegen Nazis zu mobilisieren. Zusätzlich zur Arbeit gegen Nazis hat sich die ANK stark gegen Rassismus aus der Mitte engagiert und sich diesem entgegengestellt; wie z. B. gegen Rassisten und Rassistinnen in Hausen, die den Bau einer Moschee verhindern wollten. In letzter Zeit hat sich die ANK verändert und sich Themen zugewandt, die außerhalb der Themen des Bündnisses liegen. Wir, 6 Personen aus der ANK, haben im Februar 2009 unsere Mitarbeit beendet. Vorab können die Gründe wie folgt zusammengefasst werden:
Mit der Gruppe Alerta/Zusammen e.V. aus Rödelheim hat sich eine nicht hinnehmbare Form der Auseinandersetzung in der ANK etabliert, die von Verächtlichmachung, Diffamierung und Unterstellungen geprägt ist. Zum Beispiel gab es von dieser Gruppe mehrere Versuche in der ANK, einen hegemonialen Anspruch auf „Links sein“ zu formulieren. Dabei wurde anderen Personen aus der ANK das „Links sein“ verächtlich abgesprochen und diese Personen zu einer nicht näher bestimmten „Gegenseite“ erklärt. Zitat: „Du bist nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch auf der anderen Seite.“
Das Agieren von Alerta/Zusammen e.V. gegenüber anderen Personen und Gruppen ist hochgradig funktionalistisch. Ein Beispiel ist das Auftreten bei der Demo „Alles muss man selber machen“ am 14. Januar 2009 in Frankfurt. Obwohl Alerta/Zusammen e.V. in der ANK-Sitzung das Vorbereitungsbündnis der Demo als nicht relevant bezeichnet hatten, versuchten sie letztendlich diese mit ihren Inhalten zu dominieren. Bei der Abschlusskundgebung positionierten sie sich mit einem pro-palästinensischen Transparent direkt vor dem Lautsprecherwagen. Das Demobündnis hatte vorher beschlossen, auf der Demo keine einseitigen Schuldbekenntnisse oder Bezugnahmen auf den Gazakrieg zum Ausdruck zu bringen.
Im Zusammenhang mit der 14. Januar Demo kritisieren wir den ANK-Beschluss, der in der Sitzung am 12. Januar getroffen wurde, die Art und Weise des Zustandekommens und den Zeitpunkt der Veröffentlichung. Auch inhaltlich wurde der Beschluss nicht korrekt wieder gegeben. Die ANK hatte beschlossen, die Unterstützung der Demo davon abhängig zu machen, ob eine Stellungnahme zu dem Krieg in Gaza aus dem Vorbereitungskreis der Demo erfolgt. Dabei sollte sowohl Israel wie die Hamas als Verantwortliche für den Konflikt benannt werden.
Wir waren dagegen, die Unterstützung der Demo von dieser Bedingung abhängig zu machen und gegen eine Hauruck-Positionierung der ANK. Zumal in einer vorher stattgefundenen ANK Sitzung eine Unterstützung der Demo bereits beschlossen wurde und diese auch dem Vorbereitungskreis mitgeteilt worden war. Es ist zudem nicht akzeptabel, bei einer Frage, die außerhalb des Bündnisschwerpunktes liegt, per Mehrheitsbeschluss der zufällig Anwesenden eine Stellungnahme zu dem Konflikt abzugeben. Das Thema Israel / Palästina ist seit Jahren heftig umstritten in der Linken und führte oft zu Zerwürfnissen. Einen verantwortlichen Umgang mit diesem Thema, der versucht, eine für alle vertretbare Position zu finden, wurde von den meisten nicht als notwendig erachtet. Damit wurde ein Bruch des ANK-Bündnisses zumindest in Kauf genommen.
Es ist unverständlich, dass der Beschluss bekannt gegeben wurde, ohne abzuwarten, was das parallel zur ANK tagende Vorbereitungsplenum zu der Frage einer Stellungnahme zum Gazakrieg beschlossen hatte. Durch die Veröffentlichung des Beschlusses sehen wir den Versuch, eine Stellungnahme der ANK zum Gazakrieg zu erwirken und bekannt zu machen, ohne die oben genannten Vor- und Rücksichten in Erwägung zu ziehen. Besonders verärgert waren wir, dass darüber hinaus der Beschluss falsch wiedergeben wurde, da nur Israel genannt wurde – und das bei einem dermaßen sensiblen Thema.
In der Diskussion um den Gazakrieg innerhalb der ANK wurden Argumente hervorgebracht, die wir für nicht tragbar halten und mit denen wir auch nicht in Verbindung gebracht werden möchten. Nachfolgend einige Beispiele dafür:
An dieser Stelle möchten wir nochmals deutlich sagen, dass wir diesen Sprecher NICHT für einen Antisemiten halten und uns in dieser Sache voll hinter den SprecherInnenkreis der ANK stellen, der Vorwürfe, die den Sprecher der ANK in extrem beleidigender Form als Antisemiten beschimpfen, zurückgewiesen hat.
Wir denken, dass man nicht Antisemit / Antisemitin sein muss, um antisemitische Stereotype oder Vorurteile zu verwenden. Diese sind gesellschaftlich mächtig und haben eine lange Tradition. Keine Person kann sich dem qua Wunsch entziehen, sondern es bedarf der Reflexion und solidarischen Auseinandersetzung.
Einige Bemerkungen zum Umgang mit dem Gazakrieg. In moralistischer Weise wurde uns immer wieder vorgehalten, zu einem Krieg wie in Gaza, bei dem Hunderte Menschen sterben, müsse die ANK Position gegen die israelischen Bombardierungen beziehen. Warum dies gerade beim Gaza-Krieg (und etwas weniger massiv bei den Kriegen in Afghanistan und im Irak) so sein muss, und nicht bei den 40-50 anderen Kriegen und bewaffneten Konflikten, konnte nicht vernünftig begründet werden. Diese Kriege fordern teilweise erheblich mehr Opfer und deutsche, oder allgemeiner imperialistische, Interessen spielen in vielen dieser Kriege eine Rolle. So wurden wir beispielsweise nie dazu aufgefordert, eine Position zum Krieg in Kongo-Kinshasa zu entwickeln, in dem in den letzten zehn Jahren vier Millionen Menschen starben. Daran, dass dieser Krieg mit „uns“ nichts zu tun hätte, kann das Desinteresse auch nicht liegen, denn ein Bericht der UN stellte bereits 2001 fest: „Der Konflikt in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) dreht sich hauptsächlich um Zugang zu, Kontrolle von und Handel mit fünf mineralischen Ressourcen: Coltan, Diamanten, Kupfer, Kobalt und Gold.“ Offensichtlich wird gegenüber Israel ein anderer Maßstab angelegt als gegenüber anderen Kriegsparteien.
Im Zuge der Diskussion um eine gewünschte Kampagne zum Thema antiislamischer Rassismus wurde deutlich, dass es in der ANK völlig unterschiedliche Ansätze und Vorstellungen von Rassismus gibt. Ein Teil der ANK geht davon aus, dass Rassismus von „oben“ gemacht und verabreicht wird. Dabei wird Rassismus als Strategie der Herrschenden verstanden und dient u.a. dazu, Kapitalinteressen in der Nah-Ost-Region durchzusetzen und Kriege zu legitimieren. Bei einem solchen theoretischen Ansatz ist die Bekämpfung von Rassismus einfach: durch Aufklärung können die von oben Verführten ihren Irrtum erkennen und von Ihrem Rassismus ablassen.
Es ist sicher keine Frage, dass Rassismus auch gesteuert als Legitimationsmittel oder als Mittel zur Spaltung der Beherrschten eingesetzt wird. Allerdings lässt das Bild von den durch Rassismus Verführten völlig außer Acht, dass wir in einer Gesellschaft leben, die von Rassismen durchdrungen ist und diese wahrlich nicht von oben eingeschaltet werden müssen. Unserer Auffassung nach kann man Rassismus politisch – im Gegensatz zu pädagogischen Strategien – nicht alleine mit Aufklärung entgegen treten, sondern man muss ihn zunächst konfrontativ in die Schranken weisen.
Wir lehnen die positive Bezugnahme von vielen aus der ANK auf die Palästina-Solidaritätsdemos während des Gazakriegs ab. Holocaustvergleiche und Geschichtsrelativierungen, wie sie auf den Palästina Demos geäußert wurden, halten wir politisch für falsch. Sprechrufe wie „Allahu Akbar“ sind keine linke Parole und haben mitnichten Befreiung zum Inhalt.
Obwohl wir aus den o.g. Gründen die Mitarbeit in der ANK beenden, halten wir nach wie vor eine Organisierung gegen Nazis, die über den eigenen Tellerrand hinausschaut, für unabdingbar. Wir müssen wieder zurückkommen zu solidarischen Auseinandersetzungen über divergierende Inhalte. Wie die Leerstelle zu füllen ist, die durch den Zerfall der ANK entstanden ist, wissen wir noch nicht.
Zur faktische Auflösung der Anti-Nazi-Koordination in ihrer ursprünglichen Funktion - Erklärung von Benjamin Ortmeyer