Wohlig eingerichtet in der Welt des Dualismus

Über eine Debatte in Frankfurt und Umgebung

Mit einem offenen Brief an die „so genannte Friedens- und Antikriegsbewegung“ hat die antifa [f] klar Stellung bezogen gegen die Bündnisse derselben mit Hamas, Hisbollah und anderen antisemitischen Rackets sowie deren Positionierung gegen Israel. Zugleich werden Übergriffe gegen israelsolidarische Personen eindeutig verurteilt: „Gewalt darf kein Mittel einer innerlinken Auseinandersetzung sein. Wir halten es aber für legitim, sich gegen solche Übergriffe mancher ‚linker FriedensfreundInnen’, auch militant, zur Wehr zu setzen.“1 Diese klare Positionierung der [f] ist zu begrüßen. Und sie hat getroffen. Mitten in das Herz des antimilitaristisch-antiimperialistischen Zusammenhangs in Frankfurt. Und dies so stark, dass diejenigen, deren Positionen seit Jahren zwar klar waren, diese aber in der Latenz des Nichtkommunizierten, bzw. der nonverbalen Kommunikation der Gewalt, blieben, ausführlich ihr Weltbild dargelegt haben.2 Es schloss sich daran eine kurze »Debatte« auf einer Rhein-Main-Mailingliste an, die so weit ging, dass unwidersprochen von „Umvolkung“  und von „besserverdienenden Juden in Amerika“, die „offen in führenden Stellungen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft auftreten“ und deshalb ja zurecht mit dem Imperialismus identifiziert und angegriffen würden, schwadroniert wurde.

Von dieser rot-braunen Melange wusste allerdings auch schon vorher jede, die es wissen wollte. Das Neue ist tatsächlich, dass die Grundlage solcherlei nationalrevolutionären Gedankenguts nun schriftlich vorliegt. Allein aus diesem Grund ist es doch noch einmal notwendig, auf das Pamphlet der Gruppe „Schurken ohne Staat“ einzugehen. Ziel einer solchen Auseinandersetzung kann es weder sein, eine »bessere« Außenpolitik noch eine ‚Lösung’ des Konflikts Israels mit seinen Feinden zu begründen und zu formulieren. Es wird einzig und allein darum gehen, die Implikationen der Denkstrukturen des vorliegenden Materials hervorzuheben und zu kritisieren. Dies bedeutet auch zu wissen, dass eine solche negative Kritik bei den Kritisierten zu nichts führen wird, denn das antiimperialistische Weltbild ist so abgedichtet gegen Widerspruch, dass am Ende alles so sich zurechtgelogen wird, bis es wieder hineinpasst.

I

Beginnen wir bei der Überschrift: besagtes Papier der „Schurken ohne Staat“ trägt den an Horkheimer angelehnten Titel „Wer vom Faschismus sprechen will, darf zum Krieg nicht schweigen“.3 Horkheimer schrieb bekanntlich: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“ (HGS 4, 308f.). Schon in dieser Umdichtung ist ein grundlegendes Motiv zu erkennen, welches das gesamte Papier durchzieht, die Konstruktion einer Identität von (Angriffs)Krieg und Faschismus. Dies ist auch das Hauptmotiv im Faschismusverständnis der Autor_innen; darauf wird noch zurückzukommen sein. Interessant sind noch zwei Aspekte an der Überschrift. Zum einen die Eskamotage des Kapitalismus, der im weiteren Papier auch nur in der reduktionistischen Formel der »bürgerlichen Gesellschaft« vorkommt, die aber laut den „Schurken“ ebenfalls identisch mit dem Faschismus sei. Zum anderen die Umkehrung im Aussagemodus des Satzes, welche die Bedeutung zwar nur wenig, damit aber ums Ganze verändert. Während das Horkheimersche Diktum im Konjunktiv II („sollte“) verfasst ist und damit eine Bedingung ausdrückt (dass Faschismus adäquat nur im Zusammenhang mit Kapitalismus verhandelt werden kann, ohne aber eine Identität beider zu behaupten), nämlich jene der notwendigen Reflexion und substantiellen Begriffsbildung zum Verständnis von Faschismus, vor deren Abschluss Schweigen notwendiger Teil ihrer ist, steht die Abwandlung der „Schurken“ vollständig im Indikativ (was ja bekanntlich die Wirklichkeitsform ist). Dies bedeutet eine Verschiebung im Konditionalgefüge und damit im Aussagemodus: von einem irrealen Konditionalgefüge zu einem real gesetzten Indikativ in imperativischer Form. Während Horkheimer also implizit ein Ende des Begriffs- und bewusstlosen Schwadronierens sich wünschte, geben die „Schurken“ geradezu den Befehl dazu.

II

Damit gehen wir zur nächsten Überschrift, die den ersten Abschnitt einleitet, über, die Beachtung verdient. Dort heißt es „Angriffskrieg gegen den Libanon“. Jene Behauptung wird – wie in den Kreisen der Friedensdemos üblich – als eindeutig bewiesene Tatsache hingestellt. Doch der Text beginnt dann nicht mit eben einem Beweis dieser Behauptung, sondern mit dem Satz: „Mit der Gründung des Staates Israel war und ist die Vertreibung der dort lebenden Bevölkerung verbunden.“ Weiter heißt es, dass die „Besiedelung“ und „militärische Expansion in angrenzende Gebiete“ die Politik der israelischen Regierung sei und das der „Angriffskrieg gegen den Libanon“ ein weiterer Schritt jener Politik wäre. Die Hisbollah spiele nur eine passive Rolle, dass sie mit der Entführung zweier israelischer Soldaten nur den „Vorwand“ für den „Angriff“ geliefert hätte. Zunächst stellen die „Schurken“ also klar, dass das Wesen Israels der Imperialismus ist, denn seit der Gründung werde eine expansive Politik betrieben (warum Israel nach fast 60 Jahren solchen Expansionsdranges noch immer nur eine Fläche in der Größe von Hessen hat, bleibt allerdings unklar). Zudem wird mit jeglicher Faktenresistenz der Beginn des Krieges auf den Zeitpunkt nach der Entführung der israelischen Soldaten verlegt. Ulrich Sahm hat sich allerdings die Mühe gemacht, den Beginn anhand der Agenturmeldungen zu rekonstruieren. Dabei stellt sich heraus, dass die erste Meldung berichtet, dass der Norden Israels beschossen wird. Er kommt zu dem Schluss: „Die verbreitete Darstellung, Israel habe diesen Krieg ‚nur wegen zwei entführter Soldaten’ ausgelöst und deshalb unproportional reagiert, lässt sich anhand der Rekonstruktion der Meldungen jenes Tages nicht bestätigen. Unverständlich ist auch, wieso manche Agenturen heute von einer ‚israelischen Offensive’ schreiben, obgleich gemäß ihren eigenen Angaben ein Raketenangriff der Hisbollah diesen Krieg ausgelöst hat“ (Sahm 2006). Wie nun eine Entführung als Vorwand eines Angriffs auf den Libanon dienen soll, die stattfand, nachdem Israel angegriffen wurde und die Kämpfe schon über eine Stunde andauerten, bleibt das Geheimnis der „Schurken“.

Richtig abstrus wird es allerdings erst jetzt. Mit einem israelischen Professor als Kronzeugen wird behauptet, der Krieg sei schon länger geplant und vorbereitet gewesen, und zwar seit dem Rückzug aus dem Südlibanon im Jahr 2000. Dass Israel damit eine UN-Resolution komplett erfüllte, bleibt ebenso unerwähnt, wie dass die ebenfalls geforderte Entwaffnung der Hisbollah nicht geschehen ist. Dass stattdessen vor den Augen der Weltöffentlichkeit die Hisbollah vom Iran über Syrien weiterhin mit Raketen beliefert wurde, und dass in den Jahren nach dem Abzug die Hisbollah immer wieder Raketen auf Israel abgeschossen hat, bleibt selbstredend ebenfalls unerwähnt. Aus der logischen Konsequenz dieser permanenten Bedrohung – der Entwicklung von Plänen eben jener so zu begegnen, dass sie aufhört – wird bei Unterschlagung der genannten Fakten schnell die Vorbereitung eines Angriffskrieges. Die verquere Aussage dahinter ist, dass Israel sich nur aus dem Südlibanon zurückgezogen hat, um ihn wieder zu besetzen. Damit bewegen sich die „Schurken“ in der Logik der Hamas, in deren Charta im Artikel 28 zu lesen ist: „Die zionistische Invasion ist auf verschlagene Weise bösartig. Sie schreckt nicht davor zurück, verschlungene Weg zu wählen und alle verabscheuungswürdigen und widerwärtigen Mittel anzuwenden, um ihre Ziele zu erreichen.“ (zitiert nach: Küntzel 2002)

Da die Hisbollah nur als „Vorwand“ betrachtet wird, kommen in der Betrachtung auch keine israelischen Opfer vor. Die an sich nachvollziehbare Empathie für zivile Opfer führt sich selbst ad absurdum, wenn die eine Seite vollkommen außen vor bleibt. Kein Wort über die Hunderttausenden Flüchtlinge in Israel, kein Wort über die von Hisbollahraketen getöteten und verletzten Menschen, nicht eine Silbe über das Leben in dem Teil Israels, der in der Reichweite der Katjuschas lag und liegt, über das tägliche Leben im Luftschutzbunker. Das würde aber das Schwarz-Weiße Bild nur stören, dass es eine blutrünstige imperialistische Macht sei, die über ein wehrloses Land herfalle und nichts anderes im Sinn habe, als Kinder zu töten.

III

Die dualistische Logik durchherrscht das gesamte Papier der „Schurken“: die „Neuordnung der Welt“, die „täglich tausende Todesopfer [fordert]“, geht einseitig von der „bürgerlichen Gesellschaft“ aus. Namentlich die USA sind es, die bewusst und ohne Skrupel über „Leichenberge stiefeln“. Andere Akteure gibt es für die „Schurken“ nur in der Hinsicht, dass sie gegen den „bürgerlichen Staat“ kämpfen, und dann stehen sie ja auf der richtigen Seite. Damit ist die Welt eingeteilt in: bürgerlicher Staat ist böse, alles was dagegen kämpft ist gut. In der dualistischen Form ist zudem das Begreifen von Vermittlungen unmöglich. Es ist ein Denken, dass sich auf der Ebene der klassischen Logik und damit dem Satz der Identität (A=A) bewegt. Daraus resultiert das Verständnis von Herrschaft, bürgerlicher Gesellschaft und schließlich Faschismus. In jener dualistischen Logik kann Herrschaft nur aus zwei Polen bestehen: Herrschende und Beherrschte. Da sich hierin beides gegenseitig ausschließt, bleibt das Herrschaftsverhältnis äußerlich. Somit kann es im Weltmaßstab nur Herrschende und Beherrschte geben.

Da das Denken nur in der Logik der Identität bleibt, kann auch das Verhältnis von „bürgerlicher Gesellschaft“ und Faschismus nur in diesem Sinne verstanden werden. „Der Faschismus war und ist eine Form bürgerlicher Herrschaft – eine Abgrenzung der bürgerlichen Gesellschaft davon ist ganz im Sinne derjenigen, die ihn aufgebaut und durchgesetzt haben.“ Dies ist zunächst alles, was wir über eine „nicht-bürgerliche“ Faschismusanalyse erfahren können. Etwas deutlicher wird es dann in einem Abschnitt, in dem erklärt werden soll, dass Antimilitarismus konstitutiv für Antifaschismus sei. Dort heißt es, dass Angriffs- und Expansionskriege existentiell für die USA, die EU und andere Machtblöcke seien, dass aber auch die gesellschaftliche und ideologische Mobilisierung der „Heimatfront“ notwendig sei, um solche Kriege führen zu können und dass nur eine autoritäre Gesellschaft dazu in der Lage sei; „ob mit demokratischen Mantel oder ohne“. Nun wird direkt nach dieser Aussage folgendes aus dem Fachblatt für Faschismusforschung zitiert:

„Im Zentrum des Nürnberger Urteils über den Faschismus stand die Entfesselung eines Angriffskriegs. Diesem größten Verbrechen entspricht das verbrecherischste kapitalistische Regime, der Faschismus. Und alle seine anderen Verbrechen kulminierten in der Vorbereitung und Führung von Weltherrschaftskriegen, auch seine im Namen der „Herrenrasse“ betriebene brutale Vernichtung von Juden, Kommunisten, sowjetischen Kriegsgefangenen und vielen anderen Mißliebigen.“ (Wolfgang Richter in der Jungen Welt vom 30.05.06)

Zunächst einmal wird hier eine Aussage über den Nationalsozialismus (wie verquast diese auch sein mag) schon formal durch Stellung im Text in direkten Zusammenhang mit den „Angriffs- und Expansionskriegen“ der USA et.al. gebracht. Aber auch inhaltlich werden NS und bürgerliche Gesellschaft verknüpft über das Motiv des Angriffskrieges und der Konstatierung eines demokratischen Mantels. Letzteres heißt nun nichts anderes, als dass die bürgerliche Gesellschaft ihrem Mantel entkleidet, also ihrem Wesen (auch diesen Begriff würden die Schurken wahrscheinlich nie verwenden) nach, faschistisch ist. Dem entspricht auch der Verweis an einer anderen Textstelle auf Reinhard Kühnl, für den der Faschismus nichts ist, als die Vollendung der kapitalistischen Konkurrenz mit staatlichen Mitteln.4 Damit (remember a=a) ist also eine Identität konstatiert. Zudem ist die Gleichung, die sich aus dem Zusammenhang von Text und Zitat ergibt: das größte Verbrechen ist der Angriffskrieg, dem entspricht der Faschismus, also Angriffskrieg ist faschistisch. Und da Israel ja eines Angriffskrieges überführt wurde, braucht die Conclusio des Syllogismus nicht mehr ausformuliert werden, aber sie ist eh jedem aufrechten Antifaschisten im Schurkengewand klar: Israel ist faschistisch. Damit ist das antimilitaristische Gewissen entlastet und es kann sich einrichten auf Demos voller Judenhass und es kann gekuschelt werden mit islamistischen Banden, die aus ihrem Ziel des Judenmordes keinen Hehl machen. Denn, es wurde ja „bewiesen“, dass die Juden die Nazis von heute sind. Es verwundert nicht, dass die Shoah als Randphänomen abgetan wird. Das obige Zitat aus dem Hetzblatt Junge Welt zeigt dies an. Der Autor behauptet doch wirklich, dass alle Verbrechen des Nationalsozialismus, ausdrücklich auch die Ermordung der Jüd_innen , in der „Vorbereitung“ (sic!) und „Führung von Weltherrschaftskriegen (!)“ „kulminierten“.

Mal ganz abgesehen davon, welche Weltherrschaftskriege der Nationalsozialismus neben dem Zweiten Weltkrieg noch vorbereitet und durchgeführt haben soll, ist diese Behauptung unglaublich verquer und selbst jenseits einer einfachen Ursache-Wirkung-Kausalität. Wie konnte die 1941 einsetzende und Anfang 1942 auf der Wannseekonferenz organisatorisch systematisierte Ermordung der Jüdinnen und Juden in der Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges kulminieren? Solche Verdrehungen sind Ausdruck der Ignoranz gegenüber dem Antisemitismus, der tatsächlich in Auschwitz, Treblinka und den anderen Vernichtungslagern kulminierte.

IV

Diesem, euphemistisch gesagt, merkwürdigen Faschismus-Verständnis liegt ebenfalls, wie der gesamten Analyse die Herrschende-Beherrschte-, bzw. Links-Rechts-Binarität zugrunde. Augenscheinlich wird dies im Verhältnis der „Schurken“ zu Hamas und Hisbollah. Während der Übergriff auf israelsolidarische Personen am Rande einer „Friedensdemo“ in Frankfurt im Nachhinein rationalisiert wird als eine Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts,5 wobei Links »antiimperialistisch-antimilitaristisch« und Rechts »antideutsch« meint, das binäre Schema also zu einem reinen Ausdruck kommt, kommt es bei Hamas und Hisbollah plötzlich zum Versuch zu differenzieren – der, wie zu zeigen ist, sich allerdings sehr gut in das Schema einpasst. „Wer einen Stempel auf Menschen draufstülpt – Islamisten oder Juden, gut oder böse – rennt nicht nur an der Realität vorbei, sondern mitten in die Teile-und-Herrsche-Politik der Mächtigen.“ Mal ganz abgesehen davon, dass Stempel nicht „gestülpt“ werden, wohin rennen denn die „Schurken“ permanent in ihrem Papier? Ganz offensichtlich, ihren eigenen Angaben nach, nicht nur mit einem Stempel zum Stülpen in der Hand, sondern auch sehenden Auges „an der Realität vorbei“.

Es scheint zwar paradox, aber um in der Binarität zu bleiben, müssen sie gerade bei der Betrachtung von Hamas und Hisbollah versuchen zu differenzieren. Zunächst einmal muss dafür die Charakterisierung Beider als faschistisch zurückgewiesen werden. „Mal ganz davon abgesehen, dass Hamas und Hisbollah nicht faschistisch sind (...)“ reicht dafür anscheinend aus. Auch hier zeigt sich, dass die Analyse „des“ Faschismus als Form bürgerlicher Herrschaft nicht nur viel zu kurz greift, sondern auch das gesamte Kapitel der Entstehung des historischen Faschismus in Italien – als auch des Nationalsozialismus in Deutschland – einfach mal weggelassen werden muss, um ein solches Faschismus-Verständnis zu entwickeln. Zunächst wird vollkommen der Bewegungscharakter des Faschismus verkannt, d.h. dass Faschismus zuallererst eine Bewegung und keine Herrschaftsform meint, zu einer solchen allerdings geworden ist. Zudem bleiben die ideologischen Inhalte unbeachtet. Wichtige Momente waren in der Entwicklung der faschistischen Bewegung eine Mythologisierung der Gewalt und die mythische Erhöhung des Krieges6 (im Angesicht des ersten Weltkrieges) und im Nationalsozialismus speziell der Antisemitismus, sowie der militante Kampf gegen die Arbeiter_innenbewegung. Nun sind dies alles Momente die sich auch in der islamistischen Bewegung in Form von Hamas und Hisbollah finden lassen. Zudem kann hier gesehen werden, dass auf der Grundlage zerfallener Staatlichkeit – und der Libanon ist kein funktionierender Staat, da ein Hauptmerkmal eines Staates, das „Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit“ (Weber), nicht gegeben ist – eine Bewegung wie die Hisbollah, die in jenen zerfallenen Strukturen Macht ausübt, in jedem ihrer Momente antiemanzipatorisch bis zum geht nicht mehr ist. Die „Schurken“ schreiben, dass sie die Einzigen seien, die „Widerstand leisten“. Widerstand gegen wen denn? Das gewaltsame Agieren der Hisbollah gegen streikende Arbeiter_innen, gegen Frauen, gegen sexuell deviante Personen kann damit ja nicht gemeint sein. Solche Herrschaftsausübung, die gegen all jene geht, welche sich dem islamistischen Diktat nicht unterwerfen wollen, wird von Leuten wie den „Schurken“ aber nur allzu gerne ausgeblendet, denn es gegen ja gegen Israel. Würden sie dem auch nur einen winzigen Moment ihrer Aufmerksamkeit schenken, so wüssten sie sofort, dass ihre Auffassung von „Widerstand“ jener des „nationalen Widerstandes“ auffällig ähnelt.

So wie der Nationalsozialismus in Deutschland als eine spezifische wahnhafte Krisenlösungsstrategie angesehen werden muss, so begegnen die islamistischen Bewegungen der Krise mit einer  nationalsozialistisch inspirierten Gottesstaatvision, in deren Zentrum der Kampf gegen Israel und die Jüd_innen steht. So heißt es bei der Hisbollah über Israel: „It is the hated enemy that must be fought until the hated ones get what they deserve. […] Therefore our struggle will end only when this entity is obliterated. We recognize no treaty with it, no cease fire, and no peace agreements, whether separate or consolidated“ (The Hizballah Program). Und bei der Hamas ist im Artikel 13 ihrer Charta nachzulesen: „Ansätze zum Frieden, die sogenannten friedlichen Lösungen und die internationalen Konferenzen zur Lösung der Palästinafrage stehen sämtlichst im Widerspruch zu den Auffassungen der Islamischen Widerstandsbewegung. [...] Für die Palästina-Frage gibt es keine andere Lösung als den Djihad“ (zitiert nach: Küntzel 2002). Dass linke Antimilitarist_innen bei solchen Aussagen anfangen zu differenzieren bis es knallt und raucht, sagt dann auch schon alles. Und es zeigt, dass sie noch weit hinter den Antiimperialisten der Geschichte, hinter Lenin, zurückfallen. Denn der erkannte schon „die Notwendigkeit, den Panislamismus und ähnliche Strömungen zu bekämpfen, die die Befreiungsbewegung gegen den europäischen und amerikanischen Imperialismus mit einer Stärkung der Positionen der Khane, der Gutsbesitzer, der Mullahs usw. verknüpfen wollen“ (Lenin 1920).

Ob sie auch Lenin „Islamophobie“ und „Hetze gegen Moslems“ vorwerfen würden? Ein kurzes Wort zum Begriff der „Islamophobie“ und seiner Verwendung im „Schurken“-Papier. Wird, wie hier, die notwendige Kritik des Islamismus als klerikal-regressiv-repressiver Bewegung in Eins gesetzt mit dem durchaus virulenten spezifischen Rassismus gegen muslimische Migrant_innen, dann schlägt die (vermeintlich) antirassistische Position um in eine regredierte antiaufklärerische. Tatsächlich werden in jener Position (wie im genuinen Rassismus) Herkunft und Glauben in einer naturalisierten Einheit verschweißt, wenn die Kritik einer Herrschafts- und Denkform mit dem Hass gegen Personen bestimmter Herkunft gleichgesetzt wird. Der Begriff der „Islamophobie“ ist in diesem Zusammenhang genau das, was dem des Antisemitismus immer vorgeworfen wird: ein Kampfbegriff. Die ebenso notwendige Kritik des Rassismus schließt eine Kritik des Islamismus und muslimischen Antisemitismus aber nicht aus (vgl. dazu Wolter 2005).

V

Die Abwehr von Begriffsbildung und der sehr spezielle Blick auf geschichtliche Entwicklungen wird bei der Betrachtung Israels durch die „Schurken“ besonders evident. So schreiben sie: „In diesem sehr deutschen Sumpf wird der Staat Israel als Fluchtstätte der verfolgten Juden und als direkte Konsequenz des Holocaust verklärt.“ Als Beweis wird angeführt, dass „die Bemühungen, einen Staat Israel zu gründen [...] es bereits vor dem Holocaust [gab]. Ab den 1880er Jahren gab es Zuwanderung von Juden nach Palästina.“ Dies steht unter der Überschrift „Die Instrumentalisierung des Holocaust“ und richtet sich eigentlich gegen die „antideutsche“ [f], da sie den oben bestrittenen Zusammenhang betont. Da jedoch in der „Beweisführung“ zwar auf den Fakt der Einwanderung jüdischer Migrant_innen in das britische Mandatsgebiet rekurriert wird, dabei jedoch die Gründe der Migration unterschlagen werden – ein sehr seltsamer Umstand bei Antira-Aktivist_innen – kommt ein Subtext zum Vorschein, der besagt, dass die bösen Zionist_innen immer nur das eine Ziel hatten, Palästina zu kolonisieren. Wird nun der Zusammenhang der Auswanderungswellen mit den Zuständen in den verlassenen Ländern unterschlagen, dann kann auch behauptet werden, die Gründung Israels hätte mit der Shoah nichts zu tun. Was trieb die Jüd_innen nun zur Auswanderung? Die erste große Alija begann 1882 unter dem Endruck großer Pogrome in Russland. Zur zweiten kann nachgelesen werden:

„Während und nach dem Russisch-Japanischen Krieg hatten Juden erneut Erniedrigungen und Ausschreitungen zu erdulden. Der zweite große Pogrom fand Ostern 1903 unter der Agitation der 'Schwarzen Hundert' in Kischinjew statt, schwappte im selben Jahr nach Gomel über. Unterschwellig flammte es immer wieder weiter, bis die Pogrome 1905 Hunderte von Ortschaften erfaßten. Sie verliefen weitaus blutiger als jene der vorangegangenen Jahre (1881 - 1882)“(http://www.hagalil.com/galluth/russia6.htm). Es kam in Europa immer wieder zu massiven Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung. „In den Jahren 1918 und 1919, dem ersten Jahr der zweiten polnischen Republik kam es zu circa 130 antijüdischen Ausschreitungen, u.a. zu dem Pogrom von Lvov, das weit über einhundert Todesopfer forderte. Weitere Massenauswanderung waren die Folge (...)“ (http://antisemitismus.juden-in-europa.de/osteuropa/polen.htm). Da die britischen Mandatsbehörden von 1917 bis 1920 niemandem die Einwanderung erlaubten, der/die nicht schon vor dem ersten Weltkrieg im Land gelebt hatte und ab 1920 mit einem Einwanderungsgesetz die jüdische Einwanderung stark begrenzte, entwickelte sich die Bewegung der illegalen Einwanderung (Alija Bet, vgl. dazu Enzyklopädie des Holocaust, 23-30).

Genauso wie der Antisemitismus in Europa unterschlagen wird, um den bewaffneten jüdischen Selbstschutz in Form von Israel zu diskreditieren, wird der Charakter des Arabischen Aufstands ab 1936 zurechtgelogen und der antijüdische Impetus desselben eskamotiert. So wird behauptet, dass die „rechten Zionisten (...) in Zusammenarbeit mit den britischen Kolonialtruppen den arabischen Widerstand – der einen Kompromiss anstrebte – blutig niederschlugen“. Auch hier zeigt sich die Konstruktion fester Blöcke; der böse Block besteht aus Zionisten und Briten, der gute Block aus dem arabischen Widerstand. Doch – oh verdammte Komplexität – ganz so einfach stellte es sich selbstredend nicht dar. Das Einzige, was an dieser Behauptung halbwegs stimmt, ist, dass die britische Mandatsmacht die leichte Bewaffnung einer jüdischen Polizei erlaubte. „The British hired some 3,000 to 6,000 Jewish policeman or ‘Ghaffirs’ who were usually also members of the Haganah. The Ghaffirs carried light arms legally and with British sanction” (http://www.zionism-israel.com/dic/Arab_Revolt.htm). Dies ist allerdings nicht als Ausdruck eines einheitlichen Blockes zu werten, sondern als Ausdruck der antijüdischen Gewalt des Arabischen Aufstandes. Es ist sehr verwunderlich, wie die „Schurken“ darauf kommen, der „arabische Widerstand“ wäre kompromissbereit gewesen. Der Aufstand begann 1936 mit einem Streik, in dem die Hauptforderungen aufgestellt wurden: 1. Sofortiger Stopp jüdischer Immigration, 2. das Verbot des Verkaufs arabischen Landes an jüdische Siedler und 3. die Etablierung einer demokratischen Regierung, in der die Araber_innen die Mehrheit haben, übereinstimmend mit ihrer zahlenmäßigen Mehrheit der Bevölkerung. In Anbetracht der Tatsache, dass die Hauptforderungen sich gegen die jüdischen Siedler_innen richteten (nur als Beispiel: es wurde kein generelles Landverkaufsverbot gefordert), stellt sich die Frage, wie denn ein Kompromiss auf dieser Basis hätte aussehen sollen. Dass, im Gegenteil, in der zweiten Phase des Aufstands, ab 1937, unter Führung des Mufti Husseini, der Kampf besonders „die Palästinenser ins Visier [nahm], die den Ausgleich mit dem Zionismus und der Mandatsmacht suchten“ (Küntzel 2004, 280), sich also genau gegen jeglichen Kompromiss richtete, beantwortet die gestellte Frage auf bedrückende Weise. Die zudem vom Mufti forcierte Zusammenarbeit mit Deutschland – 1937 und 1939 schickte er zwei Emissäre nach Berlin, um Unterstützung in Form von Geld und Waffen zu erbitten – wird ebenso komplett verschwiegen, wie die finanzielle Unterstützung des Aufstandes durch Deutschland über Admiral Wilhelm Canaris, dem Chef der deutschen Abwehr (vgl. Enzyklopädie des Holocaust, 629).

Es zeigt sich, dass geschichtliche Prozesse in einer bornierten einseitigen Weise betrachtet werden, die sich danach richtet, dass sie in das antiimperialistische Bild der in Gut und Böse eingeteilten Welt passen.

Conclusio

Wie erwähnt, zelebrieren die „Schurken“ trotz ihrer ständigen Mahnung zur Differenzierung den Dualismus, die Dichotomie, das Binäre. Diese Vorliebe für 0-1-0-1-Kombinationen zieht sich durch ihr gesamtes Weltbild, ihr Antiimperialismus basiert auf einem schwarz-weißen Fundament. Auf der einen Seite aufrecht stehend: die Herrschenden, die in Form von Staat und Kapital als monolithischer Block erscheinen - homogen und ohne interne Widersprüche, wie aus einem Guss. Auf der anderen Seite ohnmächtig kniend: die Beherrschten, die Unterdrückten, die Massen oder auch: das Volk, die der als ihnen äußerlich gezeichneten Herrschaft zunächst schutzlos ausgeliefert sind. Im globalen Maßstab erscheint diese hierarchische Dichotomie als Verhältnis von Metropole aka Imperialismus vs. Trikont aka Antiimperialismus/Widerstand. Während 'die da oben' - Politiker_innen, Kapitalist_innen, der Norden - souverän ihre Interessen durchsetzen, ganz nach eigenem Belieben agieren, erscheinen 'die da unten' - die Massen, der Süden - nur als Reagierende, die als moralisch Gute sich jeglicher Mittel zu ihrer Verteidigung bedienen dürfen und müssen. Wahr ist daran nur, dass Letztgenannte tatsächlich in aller Regel die materiellen Verlierer_innen in der kapitalistischen Konkurrenz sind - diese Wahrheit wird vom Antiimperialismus jedoch in die Lüge verkehrt, es seien einige Wenige aus Politik und Kapital, die quasi parasitär den Bevölkerung(en) aufsäßen und sie in bösartiger Weise und bei vollem Bewusstsein ausplünderten, aussaugten. Den 'Herrschenden' wird somit nicht nur alles Übel der Welt aufgebürdet, um die Massen moralisch sauber zu halten, vor allem wird ihnen als angeblich bewusst, intentional und vorausschauend (z. B. die israelische Regierung, die bereits Jahre vor einem Rückzug die erneute Besetzung plane) Handelnden eine Omnipotenz zugeschrieben, die völlig verkennt, dass Vollidiot_innen wie Merkel, Steinmeier oder Bush bei all ihren Privilegien nichts weiter als Charaktermasken des Kapitals, bloße Anhängsel eines ihre Erkenntnismöglichkeiten bei Weitem transzendierenden Prozeß der Verwertung darstellen.

Erinnert dies simple Schema von einer kleinen, weltweit vernetzten Clique Eingeweihter, die sich das gute Volk unterwerfen und ausbeuten, die den Massen unvermittelt gegenüberstehen (es zeigt sich das völlige Fehlen einer Subjekttheorie) und sie nur entweder mittels Sozialleistungen korrumpieren, via Massenmedien manipulieren oder durch brutale Repression niederhalten können, bereits an antisemitische Verschwörungstheorien, so wird der latente zum offenen Antisemitismus, sobald sich der Antiimperialismus dem 'Nahost-Konflikt' zuwendet. Da ja Staat=Staat als gesetzt gilt und Israel in die Reihen des Imperialismus/Faschismus einsortiert wird, muss jegliche Besonderheit dieses Staates bagatellisiert, verdrängt oder geleugnet werden. Darum ist es kein Zufall, wenn die „Schurken“ die osteuropäischen Pogrome - Auslöser der ersten drei jüdischen Einwanderungswellen nach Palästina - verschweigen, keinen Zusammenhang zwischen der Judenvernichtung und der israelischen Staatsgründung zu erkennen vermögen, den Antisemitismus der Hamas, Hisbollah und der anderen Rackets lautstark beschweigen oder in Israel nur den immerwährenden Aggressor sehen und auch zukünftig sehen werden.

Im Falle eines solcherlei schematisierten Denkens, welches sich keinen Begriff von der Sache zu machen versucht und darum trotz seines Hyper-Positivismus, seiner besteten Faktenhuberei die Wirklichkeit in ihrer Komplexität gar nicht zur Kenntnis nehmen kann und will, hilft kein Verweis auf einen Irrtum hier, einen Fehlschluss dort und die freundliche Bitte, das Ganze doch nochmals zu überdenken. Die „Schurken ohne Staat“, diese wackeren Diener_innen des Volkes, wie ihre leider allzuvielen Gesinnungsgenoss_innen in der deutschen wie globalen Linken bleiben im Identitätszwang gefangen, der die Einzelnen zu Volksangehörigen verdinglicht und zementieren somit einen status quo, der von einer communistischen Weltbewegung gerade aufzubrechen wäre.

sinistra

Literatur:

Gutman, Israel/ Eberhard Jäckel/ Peter Longerich/ Julius H. Schoeps (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust, 4 Bd., München Zürich
Horkheimer, Max 1939: Die Juden und Europa, in: ders.: Gesammelte Schriften Bd. 4, Frankfurt am Main, S.308-331
Kühnl, Reinhard 2000: Faschismus – Rechtsextremismus. Ursachen – Nutznießer – Gegenpositionen, in: http://www.gegenentwurf-muenchen.de/kuehnl.htm
Küntzel, Matthias 2002: Sprache der Vernichtung. Dokumente Sayyid Qutbs und der Hamas, in: Jungle World Nr.49 27.11.02
Ders. 2004: Von Zeesen bis Beirut. Nationalsozialismus und Antisemitismus in der arabischen Welt, in: Rabinovici, Doron/ Ulrich Speck/ Natan Szaider (Hrsg.): Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte, Frankfurt am Main
Lenin, W.I. 1920: Ursprünglicher Entwurf der Thesen zur nationalen und kolonialen Frage, in: Werke Bd.31
Sahm, Ulrich 2006: Wie der Krieg ausbrach. Eine Rekonstruktion, in: http://www.n-tv.de/697006.html
Sternhell, Zeev 1999: Die Entstehung der faschistischen Ideologie: von Sorel zu Mussolini, Hamburg
The Hizballah Program, in: www.ict.org.il
Wolter, Udo 2005: Nicht im Namen des Anderen, in: Phase 2 Nr. 15 März 2005

Fußnoten:

1. autonome antifa [f]: sieben stichpunkte für den weltfrieden, www.autonome-antifa.com

2. schurken ohne staat (s.o.s.): Wer vom Faschismus sprechen will, darf zum Krieg nicht schweigen

3. Alle kursiv gesetzten Zitate ohne Verweis aus dem Papier der „schurken ohne staat“.

4. „Also, der Faschismus ist dann diejenige Ideologie, diejenige politische Bewegung, und dann auch diejenige Herrschaftsform, in der die Logik des Konkurrenzkampfes, oder ich könnte auch sagen die Logik des Sozialdarwinismus und diese Logik vom Gesetz des Stärkeren und vom Recht des Stärkeren mit aller Konsequenz, mit aller Konsequenz, das ist der Unterschied zu anderen Varianten, konservativen, bürgerlichen, liberalen usw. mit aller Konsequenz oder, wie Hitler besonders gern gesagt hat, "rücksichtslos" - Lieblingsvokabel von Hitler - rücksichtslos durchsetzt“ (Kühnl 2000).

5. Dies mit dem Verweis auf den tatsächlich grässlichen Text, den die hauptbetroffene Person zu dem Übergriff verfasste. Für den Gewaltakt aber hat dieser Text schlicht keine Bedeutung, genauso wenig wie für die Gleichung Israelsolidarisch = Rechts, weil auf der Seite der Herrschenden. Dies wird nur herangezogen, um eine Atmosphäre der Gewalt gegen israelsolidarische Personen zu rechtfertigen und sich selbst ein reines linkes Gewissen zu bescheinigen.

6. Zur Entstehung der faschistischen Ideologie vgl. Sternhell 1999

 

"Wohlig eingerichtet in der Welt des Dualismus" ist eine Antwort auf "Wer vom Faschismus sprechen will, darf zum Krieg nicht schweigen" der "Schurken ohne Staat". Diese wiederum war eine Antwort auf "Sieben Stichpunkte für den Weltfrieden" der autonomen antifa[f]

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