Am 26. und 27. November veranstaltet die „Quandt Stiftung“ in Bad Homburg bei Frankfurt am Main eine Konferenz zum Thema „Unternehmertum und Patriotismus im 21. Jahrhundert“ mit illustren Gästen der sogenannten Elite aus Politik und Wirtschaft. Am 26. Februar 2006 findet dann der „Deutsche Opernball“ in Frankfurt mit einem wahrscheinlich noch größeren Staraufgebot statt, um die „beschwerlichen Refomen“, also den Abbau sozialer Rechte und die Aufrüstung der Überwachungsgesellschaft für den Standort Deutschland zu feiern.
Für uns ist das mal wieder Anlass, bei diesen Terminen und dazwischen zu Gegenaktionen und Veranstaltungen wider die innere Aufrüstung im Besonderen und den Standort Deutschland im Allgemeinen aufzurufen. Eine fortschrittliche Perspektive liegt schließlich nicht im konstruktiven Mitmachen an der – heutzutage als „Refomen“ verbrämten – Zurichtung der Menschen für die Verhältnisse von Nation und Kapital, sondern nur darin, die Geschichte endlich in die eigenen Hände zu nehmen. Und das setzt heutzutage für die antifaschistische Linke vor allem eins voraus: Die maßgeblich aus der Mitte der Gesellschaft betriebene reaktionäre Formierung zum nationalen Standort zu sabotieren. Denn Antifaschismus an sich – das haben spätestens der sogenannte „Aufstand der Anständigen“ im Jahr 2000 oder zuletzt der 8. Mai diesen Jahres, als Deutschland sich selber feierte, gezeigt – ist nicht revolutionär. Wenn er es sein soll, muss er die unterschiedlichen reaktionären Stützpfeiler dieser Gesellschaft angehen – und zwar, ohne zu glauben, durch den notwendigen Kampf gegen die Nazis wäre die ebenso notwendige radikale Gesellschaftskritik gleich schon mit eingekauft. Und die ist nun mal nicht zu umgehen, wenn der Mensch nicht bis zum Ende aller Zeit ein „verächtliches, verlassenes, ... Wesen“ sein soll.
Die sogenanten Reformen namens Hartz IV, Agenda 2010 oder wie sie alle heißen, haben – wer hätte damit gerechnet – nicht das Ziel, den einzelnen Menschen ein glücklicheres Leben zu ermöglichen. Stattdessen wird unverholen gedroht: Es müsse darum gehen, den Menschen „wieder Arbeit zu geben“ – ist man sich einig in der Großen Koalition zur Rettung des Vaterlandes, das heute Standort heißt. Die Verwertungsbedingungen des nationalen Kapitals im globalen Wettebwerb sollen verbessert werden; auch zum Wohle des Staates, dessen Kassen bekanntlich leer sind. Dafür „müssen“ Studiengebühren eingeführt, soziale Sicherungen abgebaut, Mitbestimmungsmöglichkeiten beschänkt, Menschen in den Arbeitsdienst gezwungen werden, usw. Verschärft werden damit also nur die ohnehin schon unmenschlichen Verhältnisse, in denen die Menschen grundsätzlich nicht nach den Maßgaben ihrer Vernunft und in freier Übereinkunft, sondern irrational für den kapitalistischen Verwertungsprozess arbeiten und leben. Und das, obwohl beim heutigen Stand der Produktivkräfte, also praktisch möglich viel weniger unmenschliche und nervtötende Arbeit nötig wäre. Das Anliegen, den Standort Deutschland gegen die Interessen der einzelnen Menschen fit zu machen für die Anforderungen des globalen Kapitalismus, führt dabei – trotz dem ganzen Gerede von Freiheit, Fortschritt und Flexibilisierung – keineswegs zu mehr Freiheit und Fortschritt für die einzelnen Menschen. Vielmehr handelt es sich bei diesem Prozess um eine reaktionäre Entwicklung, welche die, bisher gegen die Herrschaft erkämpften Standards sang- und klanglos einkassiert, sich aber als „neues“ Projekt gibt. Dem zu Grunde liegt nicht nur ein Propagandatrick, der mit vielen Kampagnen und großem Aufwand alten Wein in neuen Schläuchen verkaufen will, sondern wohl auch ein Mißverständnis innerhalb der Linken: Denn so sehr den, im Sozialstaat materialisierten Verbesserungen immer noch die schlechten Verhältnisse zugrunde lagen und liegen; – diese also auf dem rassistischen Ausschluß von MigrantInnen, nationaler Befriedung, dem Zwang zur Lohnarbeit und der gewerkschaftlichen Glorifizierung derselben und überhaupt dem Verhängnis basieren, am laufenden Band unsinnige Produkte und sinnentleerte Menschen produzieren zu müssen – so waren und sind sie doch erst die Voraussetzung für emanzipatorische Prozesse. Die Abwesenheit unmittelbarer Not schuf für viele – insbesondere Frauen – erst die Möglichkeit, sich der unmittelbaren Unterdrückung durch Familie und Andere ein wenig zu entziehen; die Option, den angeblich „natürlichen“ Platz innerhalb der „schicksalhaften Gesellschaft“ verlassen zu können. Wenn durch den Abbau der sozialen Rechte im post-sozialstaatlichen Deutschland das gesellschaftlich produzierte Elend wieder stärker privatisiert, also auf den Schultern des Einzelnen lastet, kehren dementsprechend – keineswegs paradoxer Weise – die alten „Werte“ von Familie, Religion und Nationalstolz zurück. Gesellschaft wird zum Schicksal. Wo die, im Sozialstaat ohnehin minimale Kontrolle des Menschen über die, von ihm ja selbst geschaffene, „Natur“ des Kapitalismus wieder stärker deren angeblichen Sachzwängen weicht, kriecht der Irrationalismus aus allen Ecken der bürgerlichen Gesellschaft. Kein Wunder also, dass die CDU im Wahlkampf („Sozial ist was Arbeit schafft“) mit einem geupdateten Slogan der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) von 1931 („Sozial ist wer Arbeit schafft“) hausieren ging. Jener Partei übrigens, die sich dann 1933 gleich freiwillig in die NSDAP auflöste. Nun läßt sich der, überall „sprudelnde Irrationalismus“ jedoch auch nicht mit seinen eignen Waffen schlagen: Der Nationalstaat (und wenn er als Europäische Union daher kommt), also jener Apparat, der das falsche Ganze durch Gewaltmonopol und Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln am Laufen hält, kann – entgegen den Vorstellungen von Linkspartei und Co. – wie die Geschichte gezeigt hat, kein Bezugspunkt für Verbesserungen sein. Vielmehr ist er ein zentraler Teil des Problems. Eine fortschrittliche Perspektive kann sich nicht positiv auf den Staat beziehen, sondern muss die sozialen Rechte mit der Perspektive auf ihre Überwindung verteidigen.
Ist gegen den Abbau der sozialen Rechte und der damit verbundenen Ideologie vom Recht des Stärkeren jedoch noch eine mehr oder weniger starke Opposition wahrnehmbar gewesen, so geht die Umsetzung der zweiten Seite der Medaille des Standorts Deutschland fast gänzlich unbemerkt vor sich: Der Ausbau von Überwachungstechniken im Alltag (z.B. Kameraüberwachungen, private Sicherheitsdienste, massive Einschränkung von demokratischen Bürger- und Grundrechten, die Einrichtung von sogenannten Bürgerpolizeien, großangelegte Razzien gegen MigrantInnen, Repression gegen Fussballfans, Kontrolle von Sozialhilfeempfängern, der Ausbau der polizeilichen Befugnisse); zusammen genommen eine Entwickluung, die sich treffend als Innere Aufrüstung skizziern läßt – all dies wird weitgehend kommentarlos hingenommen. Abgesehen von einigen Bürgerrechtlern und Verfassungssrichtern ist selten überhaupt Protest wahrnehmbar. Dabei sind die Auswirkungen dieser Entwicklung nicht zu unterschätzen: Einerseits werden die, sich verschärfenden sozialen Konflikte – den „Sachzwängen“ des Standortes entsprechend – nur noch als polizeiliche Probleme wahrgenommen und kriminalisiert. Die wachsende Masse der, für den Standort, überflüssigen Menschen muss schließlich kontrolliert werden. Andererseits verstärkt diese Entwicklung auch das, in diesem Land ohnehin bestehende autoritäre Bild von Mensch und Gesellschaft, in dem Abweichungen von der Norm tendenziell als Problem gelten. Das bemerkte sogar die, einer linksradikalen Position sicherlich unverdächtige, Bundesverfassungsrichterin Hohmann-Dennhardt, die letztes Jahr in ihrer Entscheidung zum „Großen Lauschangriff“ erklärte: „Es geht nicht mehr darum, den Anfängen, sondern dem bitteren Ende zu wehren, an dem das, durch solch eine Entwicklung erzeugte Menschenbild einer freiheitlichen Demokratie nicht mehr entspricht“. Kein Zufall ist es dementsprechend auch, dass z.B. der ehemalige Arbeitminister Clement (SPD) eine Broschüre herausgeben ließ, in der sogenannte „Abzocker“ und arbeitsunwillige „Hartz IV-Betrüger“ in faschistoider Art mit „Parasiten“ verglichen werden. Hier zeigt sich deutlich, wie die ach so moderne „neue Mitte“ im Zuge der Politik für den nationalen Standort Positionen der extremen Rechten integriert. Doch lässt sich der Ausbau von Polizeistaat und Überwachungsgesellschaft nicht allein aus der ökonomischen Entwicklung und der sich daraus ergebenden kapitalistischen Notwendigkeit zur repressiven Aufrechterhaltung der Geschäftssicherheit ableiten: Schließlich geht es – parallel zur sinkenden Gestaltungsfähigkeit des Staates in Bezug auf die Kontrolle über polit-ökonomische Prozesse – auch darum, noch Handlungsfähigkeit zu suggerieren. Trotz sinkender Kriminalitätszahlen versucht der Staat, gerade auf diesem Feld mit der Inneren Aufrüstung Handlungskompetenz zu beweisen, die ihm auf allen anderem Gebieten nach dem postulierten „Ende der Geschichte“ abgeht. Am Ende der angeblichen „Deregulierung“ für den Standort Deutschland jedenfalls, sind die Menschen noch verwalteter, überwachter und kontrollierter als bereits zu vor. Der Widerstand dagegen ist also nicht zuletzt schon aus logischen Gründe eine Frage der intellektuellen Selbstverteidigung.
Zurecht hat die antifaschistische Linke angesichts verkürzter Kapitalismuskritik innerhalb der reformistischen Linken in letzter Zeit immer wieder darauf hingewiesen, dass der Kapitalismus ein apersonales Herrschaftssystem ist; dass gesellschaftliches Elend also nicht im moralischen Fehlverhalten einzelner Personen, wie z.B. Korruption oder Profitgier, sondern in den Zwängen des Kapitalismus begründet liegt; der Austausch und/oder die Beseitigung einzelner Entscheidungsträger für sich also sicherlich nichts zum Besseren wenden würde. Einher ging diese richtige Erkenntnis mit der Zurkenntnisnahme der Tatsache, dass „das Volk“ und „die kleinen Leute“ keineswegs an sich die Guten sind, sondern vielmehr oft nichts besseres wollen als das, was sie bekommen. Sie werden nicht nur belogen, sondern wollen dies auch. Linke „Weisheiten“ müssen demnach immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden.
Als Essenz einer, aus dem revolutionären Antifaschimus kommenden, antinationalen Auseinandersetzung mit den Wirkungsformen von Ideologie ist diese kritische Position ein inhaltlicher Fortschritt gewesen, den die Linke – wenn sie sich ernst nimmt – nicht mehr hintergehen darf. Allerdings hat sich im Windschatten dieser Entwicklung eine Position gebildet, welche der Kritik tendeziell selber den kapitalismuskritischen Stachel zieht: Postuliert wird hier letztlich, dass der Kapitalismus als apersonales System nur noch als solches und entsprechend abstrakt kritisert werden dürfe; Aktionen sollten sich demnach auf fast universitäre „Aufklärung“ beschränken und gegenüber Eliten bzw. Entscheidungsträgern – und die gibt es – keinen Konfrontationskurs fahren. Ganz so, als ob die Dummheit der Beherrschten ein Argument für die formal Herrschenden wäre. Diese Sichtweise stellt sich nicht den Anforderung an eine fortschrittliche Kritik, welche ihre Wahrheit nicht in der idealistischen Reflexion, sondern nur in der progressiven Veränderung der Verhältnisse finden kann. Auch wird dabei sträflicherweise übersehen, dass – so sehr im Kapitalismus Geschichte hinter dem Rücken der Menschen passiert – sie doch nur durch diese vollzogen wird. Um es mit dem unvermeidlichen Adorno zu sagen: „So undurchdringlich der Bann scheint, es ist nur Bann“. Übersetzt: Ohne players kein game. Gründe für das Ausbleiben der überfälligen Revolution sind schließlich nicht deren technische oder „natürliche“ Unmöglichkeit, sondern neben den Irrtümern der Linken auch die Niederlagen im Kampf gegen jene, denen die objektive Hölle auf Erden aus was für Gründen auch immer ihr subjektives Himmelreich ist. Es sind also sehr wohl immer noch Menschen und von ihnen geleitete Institutionen, die als Akteure und Entscheidungsträger die Verhältnisse verwalten, aufrechterhalten und verschärfen – und dementsprechend dafür angegangen werden sollten.
Um die Gesellschaft radikal zu verändern gilt es also, kontinuierlich gesellschaftliche Kräfteverhältnisse umzustürzen und – zur Zeit nur symbolische – Auseinandersetzungen zu gewinnen. Wer in diesem Zusammenhang meint, standortnationalistische Kampagnen führen oder legitimieren zu müssen und die Innere Aufrüstung vorantreibt, der ist aus emanzipatorischer Perspektive vor allem eins: Der politische Feind. Und sollte demnetsprechend auch – ganz „personalisiert“ – so behandelt werden.
In diesem Sinne rufen wir dazu auf, die Grundpfeiler der reaktionären Formierung des Standortes Deutschland anzugehen und den Akteuren der inneren Aufrüstung deutlich zu machen, dass es so, wie es ist, nicht bleiben darf.
Am 26./27. November 2005 veranstaltet die „Quandt Stiftung“ in Bad Homburg, der Kurstadt mit dem illustren Stadtmotto „Champagnerluft und Tradition“, eine Konferenz mit dem Namen „Unternehmertum und Patriotismus im 21. Jahrhundert“. Dabei sind zahlreiche Akteure der bekannten „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM), welche seit einiger Zeit große standortnationalistische Kampagnen für den Abbau der sozialen Rechte, die innere Aufrüstung und gegen „Sozialschmarotzer“ durchführt. Nebenbei gehört die „Quandt Stiftung“ als nationalliberaler Think Tank zu den größten Geldgebern der bürgerlichen Parteien. Wir rufen die antifaschistische Linke dazu auf, ihren Teil zur „angenehmen Atmosphäre“ in der Kurstadt beizutragen und dabei die INSM ins Visier zu nehmen.
Demo: „Innere Aufrüstung und Sozialabbau stoppen – Dem Standort mal wieder in den Rücken fallen!“
Samstag, 26. November 2005, Bad Homburg Bhf, 15:00 Uhr
Presseerklärung zur Demo
Am 26. Februar findet in Frankfurt am Main zum 25. Mal der „Deutsche Opernball“ statt. Hier treffen sich viele „Stars“ aus Politik, Wirtschaft und Kulturbetrieb um die beschwerlichen „Reformen“ für den Standort Deutschland zu feiern. Nachdem es nach langer Zeit schon im letzten Jahr wieder zu Protestaktionen der radikalen Linken kam, rufen wir auch in diesem Jahr dazu auf, die beschwerlichen Refomen zur inneren Aufrüstung des Standorts Deutschland aus der einzigartig erfrischend anderen Perspektive zu thematisieren.
Demo: „Luxus für ALLE! Innere Aufrüstung & Sozialabbau stoppen!“
Samstag, 26. Februar 2006