Für die Rhein-Main-Neonaziszene steht mit dem Aufmarsch zum 1. Mai 2002 unzweifelhaft der Höhepunkt des Jahres an. Für sie heißt es nicht nur zu mobilisieren und mitzumarschiern, sondern auch als "Gastgeber" aufzutreten. Im letzten Jahr war dies kaum so. So bejammerte Aufmarsch-Anmelder Steffen Hupka in internen Rundbriefen nach dem 1. Mai die schwache Infrastruktur der hiesigen Szene. Nur wenige Kameraden aus Frankfurt hätten ihn organisatorisch unterstützt. Die wiederum seien aus dem Kreis der NPD gekommen und hätten entgegen der parteiinternen Weisungen gehandelt. Nichtsdestotrotz gelang es ihm nach eigenen Angaben, eine lokale "Zentrale" einzurichten, von der aus schon Tage vor dem Aufmarsch am organisatorischen Ablauf gefeilt werden konnte.
Diese Jahre dürften es Hupka & Co. etwas leichter haben. Denn der Kreis der Freien Nationalisten im Rhein-Main-Gebiet hat sich sichtlich konsolidiert (was auf den Motivationsschub nach dem Maiaufmarsch 2001 zurückzuführen ist) und er wird die Gelegenheit nutzen, sich über organisatorische Mitarbeit weiter zu profilieren. Nachdem sich die Rhein-Main-KameradInnen im letzten Jahr eher darauf beschränkten, dumm rum zu stehen und diensteifrig hunderte von "Antiglobalisierungsluftballons" aufzublasen, werden sie sich dieses Jahr mutmaßlich etwas mehr ins Zeug legen (müssen).
Zuallererst: eine Spaltung zwischen NPD-AnhängerInnen und Freien Nationalisten, wie sie in manchen Regionen zu beobachten ist, existiert im Rhein-Main-Gebiet kaum. Dazu ist die Szene vielerorts zu geschlossen, die Aktiven kennen sich zu gut. Die Frankfurter NPD wird mittlerweile repräsentiert von einer jungen Generation, die sich um den 27?jährigen Kreisvorsitzenden Jörg Krebs (Albert-Schweitzer-Straße 7) und dessen Clique, hauptsächlich Neonazis aus Nieder-Eschbach, sammelt. Obwohl sich Krebs seit seinem Amtsantritt um ein seriöses Erscheinungsbild bemüht, ist er eher dem Milieu der Straßenschläger zuzurechnen. Auf NPD-Ständen der vergangenen Monate war er knüppelbewaffnet, in Nieder-Eschbach ist er als Großmaul und Militariafan bekannt. Per Internet unterstützt die hiesige NPD die Mobilisierung des 1. Mai Aufmarsches 2002, und um ihre Parteioberen nicht zu vergrätzen, schaltet sie Hinweise auf parallel stattfindende NPD-Märsche in anderen Bundesländern. Als Bindeglied zwischen den Spektren funktionieren auch die NPD-Funktionäre Frank Ludwig und Andreas Schmidt. Schmidt agierte die letzten Jahre von Wölfersheim und Rockenberg aus und zog unlängst in das Anwesen in das Anwesen des Frank Ludwig in Gießen-Lützelinden, auf dem letztes Jahr das schließlich polizeilich verbotene 1. Mai Konzert stattfinden sollte. Um ein gruppenübergreifendes Agieren bemüht sich auch der notorische NPD-Fähnchenhalter Frank Marschner aus Offenbach-Lauterborn. Seit Jahren dackeln ihm jugendliche Neonazis aus dem Offenbacher Raum auf Aufmärschen in Hessen und den benachbarten Bundesländern hinterher. - Meist Personen, die für Aktionen der Freien Nationalisten genauso mobilisierbar sind wie bspw. auch für Infostände der NPD. Für die NPD tritt zur Bundestagswahl im Frankfurter Wahlkreis West der NPD Landesvorsitzende Thomas Hantusch (Ehringshausen, Lahn-Dill-Kreis) an. Er will mit seiner Kandidatur die "besondere Bedeutung Frankfurts für die hessische NPD im Bundestagswahlkampf" unterstreichen und sieht sein WählerInnenklientel "bei den deutschen Familien in den ehemaligen Arbeitersiedlungen des Frankfurter Westens." Jörg Krebs kündigt per Internet "einen offensiven und engagierten Wahlkampf" an.
Schlüsselfigur im Spektrum der hiesigen Freien Nationalisten ist jedoch die über Funk und Fernsehen bekannte Annemaire Paulitsch aus Offenbach (Bettinastraße 43 HH). Sie hat in den vergangenen Jahren eine erstaunliche Karriere vorzuweisen. Von den Grünen konvertierte sie zum Bund Freier Bürger, dann zur NPD und von da aus zu den Freien Nationalisten. Das Haus, das Annemarie Paulitsch zusammen mit ihrem Mann Günther (Freier Nationalist und aktiv in einer Offenbacher BI gegen den Flughafenausbau) und ihrem Sohn Michael (ebenfalls Aktivist der Freien Nationalisten) bewohnt, ist erste Anlaufstelle für Treffen der Freien Nationalisten in Rhein-Main. Vor allem AktivistInnen aus dem Raum Offenbach, unter anderem vom verbotenen Nazi-Skinhead-Netzwerk Blood & Honour, sind dort regelmäßig anzutreffen. Auch die bundesweite Führungsriege um den Hamburger Christian Worch logiert dort bei ihren Aufenthalten im Rhein-Main-Gebiet. Annemarie Paulitsch ist eine typische Vertreterin ihrer Zunft. Selbstgefällig und inszenierungssüchtig genießt sie das mediale Interesse an ihrer Person, sie drängt sich vor jede Kamera und an jedes Mikrofon, und ist sichtlich bemüht, Neonaziaufmärsche zu "ihrer" Show umzufunktionieren. Eng angebunden an den Kreis um Paulitsch ist auch eine kleine Clique von Neonazis, die sich eher aus dem südwestlichen Umland Frankfurts rekrutiert, und als deren tonangebende Figur der Hattersheimer Marcel Woell (Hülshoffweg 3) auszumachen ist. Von diesen wird seit Monaten auf Aufmärschen (so in Leipzig und Berlin) das Transparent der "Freien Nationalisten Rhein-Main" hochgehalten. Nicht zu unterschätzen ist auch die Rolle des Altnazis und Ritterkreuzträgers Otto Riehs (Habsburger Allee 98). Auch wenn er sich, wohl aus Altersgründen, von organisatorischen Aufgaben weitgehend zurückgezogen hat, so ist er mehr denn je eine graue Eminenz der Szene - als Vertreter der "Erlebnisgeneration" ist er Respektperson und Vorbild zugleich. Seine weitreichenden, in Jahrzehnten neonazistischer Tätigkeit aufgebauten Kontakte und Erfahrungen kommen dem heutigen Strukturaufbau natürlich zugute.
Als Rekrutierungsfelder geraten immer mehr die Fußballfelder ins Blickfeld. Vor allem in Offenbach, wo sich vor jedem Heimspiel einige der von Aufmärschen und NPD Ständen bekannten Neonazis an der Trinkhalle am Offenbacher Ostbahnhof warmsaufen. Auch im Frankfurter Waldstadion sammeln sich seit mehreren Jahren, in zum Teil verteilten Cliquen, jugendliche Neonazis aus dem weiteren Umland, u.a. aus dem Lahn-Dill-Kreis, der Wetterau, den Gegenden Gelnhausen und Groß-Gerau. In Frankfurt wohnende Personen bilden dort eine Minderheit. Einige der bekannten "Eintrachtfaschos" haben mittlerweile auch den Weg auf die Straße (sprich: auf die Aufmärsche) gefunden. Teile des alteingesessenen Frankfurter Hooligan- und Ultra-Spektrums stehen den meist jugendlichen Neonazis desinteressiert und teilweise sogar feindselig gegenüber. Die Stadien sind dennoch wichtige Knotenpunkte: über sie läuft das gegenseitige Kennenlernen, hier ergibt sich die Möglichkeit, wenigstens alle 14 Tage ein bißchen Erlebniswelt zu schnuppern. Zeichen für das steigende Selbstbewußtsein der Frankfurter Szene ist der Umstand, daß sie seit geraumer Zeit auch wieder im Stadtgebiet offen auftritt. Genannt seien nur allwochenendliche Saufabende im Sachsenhäuser Apfelweinviertel (u.a. die Musikkneipe Speak Easy). Auch Klebe- und Sprühaktionen haben wieder zugenommen.
Noch wirken die AktivistInnen im Rhein-Main-Gebiet zusammengewürfelt. Über Stadien und Aufmärsche, vor allem aber über die "Montagsdemonstrationen" der letzten Jahre, wurden aus dem gesamten Umland Einzelpersonen und Kleingruppen zusammengeführt, die sich nun um eine gemeinsame Struktur und eine gemeinsame Identität unter dem Label der "Freien Nationalisten" und des "Nationalen Widerstandes" bemühen. Ihr Spektrum reicht vom stumpfen Straßenschläger über den alten Politkarrieristen bin hin zur Frankfurter Jurastudentin. Mit Ausnahme des Widerstandes bei Aufmärschen ist ihren Organisationsbemühungen bisher wenig entgegengesetzt worden. Noch erscheint ihr Kreis recht jung und unerfahren, die Führungsfiguren eher auf Selbstprofilierung bedacht. Doch mit zunehmendem Alter, Erfahrung und Selbstbewußtsein werden deren Strukturen wachsen. Ein wirksames Gegensteuern ist von staatlicher Seite nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Seit Monaten veranstaltet die NPD-Riege um Jörg Krebs regelmäßig und in wechselnden Stadtteilen Infostände. Orte und Zeitpunkte werden von den zuständigen Behörden nicht nur geheim gehalten, auch wird den Neonazis eine eigens für diesen Zweck ausgebildete und bereit gehaltene Schutztruppe an die Seite gestellt.
Eure Antifa