Einem Verbot der NPD sehen die "Freien Nationalisten" gelassen entgegen. Seit Mitte der 1990er Jahre verkünden die Führer dieses bundesweiten Netzwerks militanter Neonazis, Christian Worch und Thomas Wulff: "Organisierter Wille braucht keine Partei".
Nachdem in den 1990er Jahren Bundes- und Landesbehörden einige kleine neonazistische Vereinigungen wie die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) und die "Nationale Liste" (NL) verboten hatten, entwickelten Kader der betroffenen Strukturen das Konzept der "Freien Nationalisten". Ein Eintritt in die nicht verbotenen Wahlparteien "Deutsche Volksunion" oder "Republikaner" erschien den militanten Neonazis nicht interessant. Nicht nur die ständigen Konkurrenzkämpfe der rechtsextremen Parteien und die selbstherrlichen Führungsansprüche deren Vorsitzender, sondern auch die vermeintlich mangelnde Aktivität der "Altherrenparteien" und der angebliche Legalismus der "Parteiforderungen" störte sie.
Aber nicht nur die Kader der verbotenen Strukturen, auch die Anhänger der neonazistischen Jugendszene fanden die Parteien unattraktiv. Um der eigenen neonazistischen Ideologie und dem aktionistischen Interesse gerecht zu werden und die neonazistische Jugendszene anzusprechen, entwarfen Worch und Wulff eine "Organisation ohne Organisation". Statt erneut eine Partei zu gründen, bauten die ehemaligen Vorsitzenden der NL in Hamburg ein Netzwerk von Kameradschaften - "Freie Nationalisten" - auf, das auch mangels Parteiformalia sogleich einem möglichen Verbot entgegenwirken soll. Zuerst gelang es den Hamburger Neonazis in Norddeutschland unter dem Namen "Aktionsbüro Norddeutschland" einzelne bestehende Gruppen zu vernetzen oder neue aufzubauen. Auf lokaler Ebene erscheinen sie als eigenständige Kameradschaften, überregional sind sie allerdings in das Netzwerk der "Freien Nationalisten" eingebunden. Vor Ort haben die Kameradschaften eine eigenständige Logistik, programmatisch jedoch bestimmen die überregionalen Kader die Politik. Oberste Maxime der "Freien Nationalisten" ist ein neuer "Nationalsozialismus", da dieser allein das "deutsche Volk und die germanische Rasse" vor der "Überfremdung durch Ausländer" und vor der "Umerziehung durch die One-World-Mafia" schützen könne. Neben Aktionen von lokalen Kameradschaften führen sie zentrale Kampagnen wie gegen die Wehrmachtsausstellung und Rudolf-Heß-Märsche durch. Seit einigen Jahren dient ihnen das Neonazimagazin "Zentralorgan", die Webseite "widerstand.com", aber auch die Neumünsteraner Nazikneipe "Club 88" dazu, ihre Struktur zu festigen und ihre Ideologie zu verbreiten. Mittels ihres Aktionismus und ihrer Radikalität gelang es den "Freien Nationalisten", den Großteil der neonazistisch motivierten Jugendszene für sich zu gewinnen. Vor allem das Anbieten von Rechts-Rock-Konzerten, die sie trotz Verbot gemeinsam mit dem Nazimusik-Netzwerk "Blood & Honour" organisierten, führt zu einer engeren Verbindung zwischen rechter Jugendkultur und neonazistischer Politik. Mittlerweile hat sich das Konzept der "Freien Nationalisten" bundesweit in der militanten Neonaziszene durchgesetzt. Sowohl in Nordrhein-Westfalen, Westthüringen als auch in Berlin-Brandenburg bestehen Aktionsbüros.
Nach den Verboten Mitte der 1990er Jahre versuchte auch die NPD die organisationslosen Kameraden für sich zu gewinnen und sogleich die rechte Jugendszene einzubinden. Der Parteivorsitzende Udo Voigt warb gezielt um militante Nazikader. Anfangs mit Erfolg: Die NPD gewann neue Mitglieder und fand Achtung bei der Jugendszene. Doch die gewonnenen Kader ordneten sich nicht wie erhofft der Partei unter und die Struktur der "Freien Nationalisten" ging nicht in der Partei auf. Schnell entstand ein taktisches und konkurrierendes Verhältnis zueinander. Ende der 1990er diente die NPD den "Freien Nationalisten" auf Grund ihres Parteistatus als Anmelderin für Aufmärsche und auch viele junge Neonazis gingen in die Partei, da sie sich jetzt deutlicher zum Neonazismus bekannte. Landesverbände, wie der in Schleswig-Holstein, erhielten großen Zulauf und auch wichtige Parteiposten wurden von radikalen Neonazis besetzt. Anfang des letzten Jahres begann das gute Verhältnis zu bröckeln. Als sich die NPD wegen des Verbotsverfahrens zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekannte, verstärkte sich die Kritik. Die Partei sei zu sehr dem Zeitgeist angepasst und greife zu wenig den Staat an, hieß es bei den "Freien Nationalisten". Worch wurde deutlich: der "Verbotsschiss" beherrsche die Partei und deshalb sehe er einem Verbot "leidenschaftslos" entgegen. Längst sind aber auch schon die nötigen Kontakte und Aktionszusammenhänge geschaffen, um nach einem Verbot weiter arbeiten zu können.
Nachgedruckt aus "Der Rechte Rand"