Eine erste kurze Bilanz der heutigen Ereignisse rund um die Nazi-Demonstration in Frankfurt ergibt: es gelang dank des tatkräftigen Schutzes von 8000 PolizeibeamtInnen aus der ganzen Republik, für die NPD und ihren Anhang deren Demonstration "Volksgemeinschaft statt Globalisierung" gegen den Widerstand von mehreren Tausend GegendemonstrantInnen durchzusetzen.
Damit ist zunächst das politische Konzept des hessischen Innenministers Volker Bouffier und des schwarz-grünen Magistrats der Stadt aufgegangen, sich das Heft des Handelns in der Frage, ob eine Nazi-Demonstration in Frankfurt stattfinden kann oder nicht, jedenfalls nicht ganz aus der Hand nehmen zu lassen. Damit hat die Exekutive ein weiteres Mal bewiesen, daß ihr wirksamer gesellschaftlich organisierter und nicht bloß symbolischer Antifaschismus ein Dorn im Auge ist. Das ist Demokratie à la Hessen und Frankfurt 2007. Die materiellen und vor allem die politischen Kosten dieser Politik sind hoch bzw. noch nicht einzuschätzen.
Die Anti-Nazi-Kräfte waren präsent, aktiv, einfallsreich und beweglich. Für eine wirklich erfolgreiche Verhinderung der Nazidemonstration waren wir trotz beispiellos breiter gesellschaftlicher Unterstützung zu wenige auf der Straße.
Die Nazis erreichten mit ihrer Teilnahme nur etwa die Hälfte der von ihnen selbst erwarteten Beteiligung. Die zum Teil weitgereisten Kader mußten stundelange Verzögerungen ihrer Anreisen in Bussen und Bahnen hinnehmen, bevor sie unter dem Schutz von durchschnittlich 16 PolzistInnen pro Demonstrant durch weitgehend menschenleere Gefilde der Stadt, ein samstäglich-ödes Industrieviertel mit wegen Wochenendes stillgelegter Börse umrunden konnten, entlang der Niddawiese, die eigens zu ihrem Schutz mit NATO-Draht ausstaffiert war. Zudem wurde die Route auch noch während der Demonstration von der Polizei verkürzt. Spaß kann das den Nazis nicht gemacht haben. Wir vermuten, daß Kamerad Wöll sich wegen dieses erheblichen Fehlschlages einige anzuhören haben wird, bevor er dann in einem Monat wegen Volksverhetzung wegen Gericht stehen wird.
Die Polizei nahm etwa 200 GegendemonstrantInnen kurzfristig fest. Der Ermittlungsausschuß arbeitet die Fälle ab.
Zu schwerwiegenden Verletzungen scheint es nach unserem derzeitigen Kenntnisstand und ersten Medienberichten glücklicherweise nicht gekommen zu sein.
GegendemonstrantInnen gelang es erfolgreich, den Anreiseweg der Nazis wieder und wieder zu unterbrechen und somit eine von den Medien im Wesentlichen korrekt berichtete stundenlange Verzögerung des Demonstrationsbeginns zu erreichen. Der Bahnhof Rödelheim war längere Zeit besetzt, die Gleise vollständig blockiert. Erst nach dem Antransport von weiteren Polizeieinheiten mit Hubschraubern gelang es diesen, die antifaschistische Blockade gewaltsam zu beenden. Ebenfalls über längere Zeit hielten AntifaschistInnen die S-Bahn-Gleise im Bereich Emser Brücke besetzt. Dies führte rund um den Frankfurter Hauptbahnhof zeitweise zu Verzögerungen im Reiseverkehr.
Rund um die Demonstrationsroute der Nazis im Frankfurter Stadtteil Hausen - Industriehof kam es an den Stellen Ludwig-Landmann-Straße / Ecke Rödelheimer Straße, Fischstein, Industriehof, Rödelheimer Landstraße / S-Bahn-Linie, Westbahnhof und Breitenbachbrücke zu Blockadeversuchen und Auseinandersetzungen mit der Polizei, der es jedoch ihrerseits mit wenigen Ausnahmen aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit gelang, die Route der Faschisten zu schützen.
Nach Medienberichten und unserem derzeitigen Kenntnisstand kam es nicht zu den von manchen klammheimlich oder auch offen geradezu herbeigesehnten gewaltsamen Ausschreitungen von Antifa-Gruppen. Alle diesbezüglichen Vorhersagen von sehr unterschiedlicher Seite erwiesen sich erwartungsgemäß als interessegeleitete Hysterie und Panikmache.
Das Verhalten der Polizei den Nazis gegenüber ist ein Skandal, der noch zu besprechen sein wird. Angekündigt hatte Polizeipräsident Dr. Achim Thiel, die Polizei werde "Regelverstöße jeder Art" nicht dulden. Aus vielen Erfahrungen hatten wir ihm das nie abgenommen. Zu Recht. Denn:
Geduldet wurde die Tatsache, daß von den 500 mühsam angereisten Faschisten etwa 100 vermummt waren - jede Linke Demonstration dieser Art hätte kurz vor der Auflösung gestanden.
Geduldet wurde er Nazi-Sprechchor: "BRD, Judenstaat, wir haben Dich zum Kotzen satt!", ohne daß die Polizei eingriff.
Geduldet wurde das Singen faschistischer Lieder, die von der Polizei intern selbst als verboten eingestuft wurden - kein Auflösungsgrund.
Geduldet wurde das Zeigen einer geringfügig veränderten Reichskriegsflagge.
Zwei "Kameraden" wurden wegen Steinwürfen festgenommen und dann wieder freigelassen, nachdem ihre Mitdemonstranten sich weigerten, andernfalls ihren Weg nicht fortzusetzen. Polizeilicher Kuschelkurs für Nazis.
Alle diese Informationen beruhen auf glaubwürdigen Augenzeugenberichten.
Der schwarz-grüne Magistrat Frankfurts, der Innenminister des Landes Hessen und die von ihm politisch angeleiteten Polizeiführungen in Hessen und Frankfurt haben mit der heutigen polizeilichen Materialschlacht gegen uns AntifaschistInnen deutlich gezeigt, daß sie jede gesellschaftlichen Eigeninitiative gegen Faschismus nur in dem von ihnen selbst gezogenen engen Rahmen dulden wollen. Für sie ist das eine offensichtlich wichtige gesellschaftliche Machtfrage. Allen liberalen Bekundungen zum Trotz haben sie politisch eine Situation zu verantworten, in der die Nazis über Monate folgenlos mit Gewaltdrohungen, rassistischer Hetze und offenem Nazivokabular bis hin zur unverhüllten Selbstbezeichnung als "Nazi" geworben werden konnte. Man mußte sich schon Augen und Ohren gleichzeitig zuhalten um dies zu ignorieren. Oder man hätte wirksam und konsequent einschreiten, das heißt: de Demonstration verbieten und damit die politische Mitverantwortung für sie ablehnen müssen. Es ist paradox, daß dieselben, die ein Demonstrationsverbot für "symbolische Politik" halten (Boris Rhein) in ihrem sonstigen Antifaschismus konsequent rein symbolisch agieren. Die Anti-Nazi-Koordination hat aufgrund ihres Aufrufs, in dem seit März 2007 offen zu einer Blockade der Nazidemonstration auch außerhalb des Rahmens der Legalität aufgerufen worden war, eine vorher nicht erwartete gesellschaftliche Breite des Widerstands gegen Nazifaschismus organisieren könne (vgl. UnterstützerInnen-Liste). Bei aller Unterschiedlichkeit der Kräfte dieses Bündnis liegt hier ein möglicher Kern für eine antifaschistische zukünftige Massenbewegung in Frankfurt, die sich auch unter Druck nicht spalten läßt, und in ihren Aktionen Masse und Entschiedenheit künftig noch erfolgreicher miteinander verbindet. Eine detailliertere Auswertung wird folgen.