Prekarisierung der Arbeit

Redebeitrag der Campus-Antifa
am 30. April 2010 auf der "Kapitalismus abwracken!"-Demo in Frankfurt am Main

Im Aufruf zur heutigen Demo heißt es: „Um gesellschaftliche Veränderungen in unserem Sinn zu forcieren, sind Tageskämpfe wichtig, die emanzipative Prozesse ermöglichen.“

Hier in Frankfurt, im Rahmen des Sozialrevolutionären Bündnisses, gab und gibt es vernetzte Aktionen zu verschiedenen zentralen Kampffeldern. So zum Beispiel gegen die AG Wohlfahrt, gegen Leiharbeit und in Form der Teilnahme an Aktionen gegen die Umstrukturierungen im Bildungssektor. Bei den sogenannten Bildungsprotesten geht es allerdings nicht, wie vielen Protestierenden der letzten Monate und Jahre, um eine Rückbesinnung auf das Humboldtsche Bildungsideal oder eine verantwortungsvollere Reformpolitik.

Die Kritik, die wir als Bündnis  an der Organisierung des Lebens nach Kapitalinteressen und damit auch am kapitalistischen Arbeitsethos üben, richtet sich auch auf den Bildungssektor. Dabei wollen wir weder ein Zurück zur Massenuni der 60er und 70er Jahre, noch wollen wird die Uni in ihrer bestehenden Form erhalten. Denn erstens war bereits die Massenuni der 60er/70er Jahre Teil der Herrschaftsapparatur und nicht zuletzt auch Resultat der damaligen Arbeitsmarktanforderungen und nicht etwa allein Resultat der 68er-Proteste. Und zweitens ist die Idee des akademischen Freiraums, des freien Forschens und Lehrens, in der kapitalistischen Welt der bezahlten Arbeit eine ebenso alte wie unhaltbare.

Dennoch kommt den gegenwärtig betriebenen Umstrukturierungen eine eigene Bedeutung zu: Es wird versucht, die letzten Lücken in den Verwertungsketten zu schließen und Menschen und Gesellschaft nach marktwirtschaftlichen Bedürfnissen zu „optimieren“- gerade im Bildungssektor eine besondere Bedrohung für jedes emanzipatorische Projekt gesellschaftlicher Veränderung.

Die Schulen und Universitäten des 21. Jahrhunderts werden uns aktuell und allen voran in FFM als gut strukturierte, möglichst autonome Dienstleistungsunternehmen präsentiert, an denen die Studierenden Kunden und die Lehrenden und Wissenschaftler_innen auf Zeit Angestellte mit straffen Vorgaben sind. 

Genau genommen wird hier hinter all den schönen modernen Formeln ein reaktionäres, radikal marktliberales Projekt durchgedrückt: Zugangsselektion in Form von sogenannten Eignungsprüfungen, Numerus Clausus und Studiengebühren, schlechte Arbeitsbedingungen für HiWis oder den Mittelbau, veränderte Lehrpläne an Schulen und Universitäten und der Strukturaufbau der Schuljahrgänge und Studiengänge schulen alle Beteiligten vor allem in einem: in leistungs- und wettbewerbsorientiertem Denken und der Selbstunterwerfung unter Interessen, die der eigenen Freiheit und den menschlichen Bedürfnissen  entgegenstehen. Jede und jeder erhält ein „individualisiertes Kompetenzprofil“ statt einer Individualität.

Dies alles sind Bedingungen, die die Kämpfe im und um den Bildungssektor vielleicht schwerer als je zuvor machen, scheint die absolute Prämisse doch jene zu sein, im herrschenden Konkurrenzdruck gegen andere zu bestehen. Befristete Arbeitsverträge, die Streiks verunmöglichen, Existenzängste und der drohende Burn Out sind bei Studierenden und Angestellten stets anwesend. Neuerdings müssen sogar jene, die sich den universitären Verhältnissen widersetzen, mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen.

Für alle Mitglieder dieser Gesellschaftsordnung bedeutet die neue Zuspitzung der Kontroll- und Ordnungsmechanismen bis hinunter in die Schulen auch eine deutliche Beschränkung der Möglichkeit von zukünftigen Kämpfen. Denn nicht zur kritischen Reflexion und verantwortungsvollem Weitblick wird hier die zukünftige Klasse der „Führungseliten“ erzogen, sondern sie erhält eine Erziehung, die vor allem für die strikt rechts-liberalen und konservativen Kräfte eine Macht konservierende Wirkung garantiert.

Dafür, wie die universitäre Elitenproduktion und die Produktion von Herrschaftswissen zumindest kurzzeitig durchbrochen werden können, liefert die Unibesetzung in Frankfurt im letzten Dezember ein Beispiel: In diesen Tagen war das zentrale Casino-gebäude für alle(!) offen. Wir haben uns die Zeit und den Raum genommen, über die gesellschaftlichen Entwicklungen und die Möglichkeiten eines anderen Lebens zu sprechen. Die Erfahrung von Selbstorganisierung und kritischer Praxis, von der Verpflegung bis zum zivilen Ungehorsam, stand dabei ebenso im Vordergrund, wie die Frage nach einer weitergehenden Vernetzung und einer politischen Praxis, die über's Bestehende hinausweist. Solche Bewegungen können überall entstehen: am Arbeitsplatz, in der Fabrik, in der Schule und auf dem Amt.

Gerade in Zeiten, in denen sich fast alle einig sind, dass die Reformen und Umstrukturierungen in niemandes Sinne positive Ergebnisse gebracht haben und die herrschenden Kräfte keine  Lösungsstrategien parat  haben, gilt es einen Fuß in die Tür zu setzen und eine ganz andere Perspektive aufzumachen. Nicht immer im Kreis in der Scheiße rudern, sondern einfach mal den Stöpsel aus der Wanne ziehn, heißt hier die Devise.  Die Intervention in die Bildungsproteste ist eine Möglichkeit einen Punkt gegen den herrschenden Wahn(sinn) zu setzen und eigene Möglichkeiten einer Welt zu formulieren, die sich an den Bedürfnissen der Menschen, und nicht an denen von Staat und Kapital orientiert. 

Den Angriffen auf unser Leben müssen wir solidarischen Widerstand entgegensetzen. Egal ob im Betrieb, auf dem Amt oder an Schulen, es gilt auf die Straße zu gehen und die entstehenden gesellschaftlichen Risse auszuweiten,  um Raum für ein selbstbestimmtes Leben aller zu eröffnen. !

Gegen den herrschenden Wahnsinn,
für ein selbstbestimmtes Leben!

Redebeiträge

der autonomen antifa[f], der FAU, der Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t. [Marburg] und der antifa[ko]

Berichte von der Demo:

Über 1000 Menschen auf antikapitalistischer Demonstration in Frankfurt Presseerklärung der autonomen antifa[f]
Indymedia, HR, FR

Aufrufe zur Demo:
Endlich wird die Arbeit knapp! Aufruf des sozialrevolutionären und antinationalen Krisenbündnisses Frankfurt
Keinen Finger krumm für diese Gesellschaft! Aufruf des umsGanze!-Bündnis
Mobilisierungsvideo
Aufruf des Protest-Plenums der Uni-Frankfurt

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