Dass es durchaus schöneres gibt, als morgens in aller Frühe aufzustehen um sich den ganzen Tag für einen geringe*n Lohn abzuschuften, der dann am Ende des Monats gerade mal ausreicht, um die eigenen Grundbedürfnisse zu decken, dessen sind sich wohl die meisten erwerbstätigen Menschen bewusst. Doch die ArbeitnehmerInnen sind sich auch bewusst, dass Lohnarbeit im Kapitalismus für Besitzlose die einzige Möglichkeit ist, ein (materiell) halbwegs erträgliches Leben zu führen. Doch neben der Tatsache, dass Lohnarbeit als elementares Prinzip kapitalistischer Vergesellschaftung eine moderne Form der Ausbeutung darstellt, bildet diese Art der Warenproduktion ebenso den Nährboden für Ausgrenzungsmechanismen und reaktionäre Ressentiments aller Art. Vereinfacht gesagt: Stammtischparolen wie /„Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“/ oder die verschwörungstheoretischen Hirngespinste von BankerInnen und SpekulantInnen, die angeblich die Ökonomie lenken, sind natürlich kein Zufall, sondern vielmehr Konsequenz des systemimmanenten Zwangs zum Verkauf seiner Arbeitskraft und kapitalistischer Reproduktion im Allgemeinen.
Die im ständigen Kampf um Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum zu KonkurrentInnen verkommenen Individuen sind zum Verkauf ihrer Arbeitskraft gegen Lohn gezwungen, sofern sie außer sich selbst kein relevantes Privateigentum an Produktionsmitteln besitzen. Zwang meint hierbei nicht, dass die ArbeitnehmerInnen „Besitz“ des Arbeitgebers sind, wie es beispielsweise in vorkapitalistischen Gesellschaften wie dem Feudalismus der Fall war. Rechtlich sind alle „frei“ von solchen Zwängen – alle haben das Recht, selbst zu entscheiden, mit wem sie wie lange ein Vertragsverhältnis eingehen. Das Problem ist nur, dass all jene, die kein Vertragsverhältnis zur Lohnarbeit ergattern, auch kein Geld – und somit kein Tauschmittel – zur Verfügung haben, um die eigenen, elementaren Grundbedürfnisse zum Überleben zu finanzieren. Von Spaß und Luxus an dieser Stelle mal völlig abgesehen. Da allerdings – alle Schwankungen des Marktes mal außen vor gelassen – eigentlich nie genug Arbeitsplätze für alle da sind, entsteht eine große Konkurrenz zwischen den einzelnen AnwerberInnen um einen Job. Keiner geregelten Arbeit nachzugehen ist nicht nur blöd, weil es sich von Hartz IV eben NICHT sonderlich dekadent leben lässt – es wird gesellschaftlich auch noch aufs Schärfste geächtet.
Versagt also der Kampf um den eigenen Vorteil – sprich: die AnwerberInnen bekommen partout keinen Job – liegt die nächste Stufe nahe: Der Kampf um den Vorteil der eigenen Gemeinschaft, eines konstruierten Kollektivs, in Abgrenzung zu anderen konstruierten Zwangsgemeinschaften und deren Angehörige. Nationalistische und rassistische Argumentationsmuster sind dann nicht mehr weit entfernt: /„Wenn ich keinen Job bekomme, weil es zu viele Anwerber gibt, dann müssen eben andere gehen – zum Beispiel die ganzen Ausländer.“/ So einfach lautet die Schlussfolgerung der NationalistInnen und RassistInnen. Den MigrantInnen wird unterstellt, dass sie nur in Deutschland seien, um den Reichtum anderer auszunutzen und „den Deutschen“ den Arbeitsplatz wegzunehmen. Ökonomisch bedingte Begleiterscheinungen der heutigen Gesellschaft – wie eben eine hohe Arbeitslosenquote – sind dann nicht mehr logischer Bestandteil von immer wiederkehrenden Konjunkturschwankungen im Kapitalismus, sondern Schuld einzelner Akteure. Dieser Personifizierung gesellschaftlicher und ökonomischer Verhältnisse liegt eine Verklärung der grundsätzlichen kapitalistischen Verwertungslogik zu Grunde: Wenn Unternehmen in bestimmten Zeiten der Konjunktur weniger LohnarbeiterInnen brauchen als sonst, dann ist das eben so. Das ist dann allerdings kein „Problem“ oder „Missstand“ der so genannten Marktwirschaft, sondern kategorialer Bestandteil ihres Selbstverständnisses bzw. ihrer Funktionsweise. Eine rassistische Grundstimmung gegenüber MigrantInnen ist daher auch kein Problem, das lediglich vom so genannten rechten Rand, also den Neonazis aus den Reihen der NPD, propagiert wird. Rassistische und standortnationalistische Ausgrenzungsmechanismen sind ein Resultat kapitalistischer Konkurrenz und deshalb bereits in der selbst ernannten „bürgerlichen Mitte“ fest verankert.
Noch wesentlich fatalere Folgen bringt diese Form der Schuldzuweisung bei der Personifizierung oder Ethnisierung ganzer kapitalistischer Produktions- und Zirkulationsprozesse mit sich. Während MigrantInnen häufig – in Anführungszeichen – „nur“ dafür herhalten müssen, für die hohe Arbeitslosenquote verantwortlich zu sein, wird bei einer verkürzten Kritik des Kapitalismus als Ganzes ein Sündenbock kreiert, der für Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Ausbeutung und Leid im Allgemeinen verantwortlich gemacht wird. VerschwörungstheoretikerInnen aller Coleur reden von so genannten „finsteren Mächten“, die die Zügel der Wirtschaft in ihren Händen hielten. Schuld ist laut deren Argumentation dann nicht mehr die kapitalistische Produktionsweise selbst, also ein gesellschaftliches Verhältnis, das in seiner eigenen Logik immer wieder Ohnmacht und Ungerechtigkeit produziert. Die Schuld wird vielmehr einzelnen Akteuren zugeschrieben, meist BankerInnen, ManagerInnen, so genannten SpekulantInnen oder auch einfach „den Bonzen“, denen unterstellt wird, durch Habgier und Egoismus für die negativen Auswirkungen, die der Kapitalismus mit sich bringt, verantwortlich zu sein. Wer im Geschichtsunterricht aufgepasst hat, merkt schnell: Diese Argumentationsmuster kommen uns bekannt vor. Während bereits die Nazis der NSDAP zwischen »schaffendem Kapital«, also der so genannten »guten, deutschen Arbeit«, und dem »raffenden Kapital«, sprich der so genannten »jüdischen Nichtarbeit« unterschieden, bleibt heutzutage selbst vermeintlich »linke« Kapitalismuskritik nicht vor antisemitischen Klischees verschont. Wer ein abstraktes gesellschaftliches Verhältnis wie den Kapitalismus verkürzt kritisiert, personifiziert und die Schuld an Ausbeutung und Ungerechtigkeit bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zuschreibt, dessen Krisenlösungsstrategien dürften sich wohl kaum großartig von denen der Nazis unterscheiden, welche mit dem Ziel der Vernichtung des so genannten „raffenden Kapitals“ eine systematische Verfolgung und Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden zu Folge hatte. Der Unterscheidung in „gute“ und „schlechte“ Lohnarbeit, der unabdingbar eine offen oder strukturell antisemitische Weltanschauung immanent ist, gilt es daher eine klare Absage zu erteilen.
Ausgrenzungsmechanismen sind den Menschen in den heutigen Gesellschaften so verinnerlicht und vergegenständlicht, dass es naiv wäre, zu glauben, dass sich alle reaktionären Ideologien mit der Umstellung auf eine solidarische Produktionsweise, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, in Luft auflösen. Gerade, weil es selbstverständlich Ausgrenzung auch in vorkapitalistischen Gesellschaften gab, auch wenn sich diese deutlich von im Kapitalismus entstandenen Mechanismen unterscheiden und daher differenziert zu betrachten ist. Eine soziale Revolution, sprich die kollektive Aneignung der Produktionsmittel und des gesellschaftlichen Reichtums, bringt also noch lange keine Emanzipation in diesem Sinne mit sich. Allerdings ist die Annahme, es sei möglich, Ausgrenzung und die Entstehung von Unterdrückungsmechanismen innerhalb des Kapitalismus zu bekämpfen, genau so weit gefehlt. Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Ausbeutung bilden immer das Fundament, auf dem antiemanzipatorische Ideologien aller Art gedeihen.
Die Überwindung von Staat, Nation, Kapital und aller inbegriffenen Zumutungen wie der Lohnarbeit ist deshalb die Voraussetzung für eine befreite Gesellschaft ohne Ausgrenzung und Unterdrückung.
Deshalb:
der autonomen antifa[f], der Campus Antifa, der FAU, der Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t. [Marburg]
Rede zu Günter Sare
Über 1000 Menschen auf antikapitalistischer Demonstration in Frankfurt Presseerklärung der autonomen antifa[f]
Indymedia, HR, FR
Aufrufe zur Demo:
Endlich wird die Arbeit knapp! Aufruf des sozialrevolutionären und antinationalen Krisenbündnisses Frankfurt
Keinen Finger krumm für diese Gesellschaft! Aufruf des umsGanze!-Bündnis
Mobilisierungsvideo
Aufruf des Protest-Plenums der Uni-Frankfurt