Der Staat – dein Retter in der Krise?

Redebeitrag der autonomen antifa[f] auf dem sozialrevolutionären und antinationalen Block auf der Krisen-Demo am 28.3.2009 in Frankfurt/Main

Egal ob Bundespräsident Horst Köhler oder der Vorsitzende der Linkspartei, Oskar Lafontaine: Alle sind sich einig. Der Staat soll die angeblich außer Kontrolle geratenen Finanzmärkte wieder in Ordnung bringen und das 'Gemeinwohl' der Gesellschaft schützen. Über die Wege, dieses zu schützen, gibt es zwar recht unterschiedliche Vorstellungen – der eine will nur neue gesetzliche Regulierungen, der andere gleich die Banken verstaatlichen und noch eine Entschuldigung von der Sparkasse obendrauf – doch der Reflex ist derselbe: In der Krise wird an den Staat appelliert; er soll das Wohlergehen der Menschen sicherstellen. Erfüllen wird sich dieser Wunsch jedoch nie.

Kein guter Kapitalismus

Die zur Hoffnung auf ein besseres Irgendwann verdammten und doch permanent von der Realität frustrierten BürgerInnen drängen wieder und wieder zur Anrufung des Staats. Er soll wirkliches Glück herbeiführen; dabei ist doch gerade seine Garantie des privaten Eigentums, vor allem des Eigentum an Produktionsmitteln, durch Polizei und Gerichte die Voraussetzung des kapitalistischen Hauens und Stechens.

Der Fehler der bürgerlichen „Kapitalismuskritik“ ist dabei ein doppelter: Weder ist das Finanzkapital schädlich für den Staat, noch dient das staatliche Gemeinwohl dem Wohl der Menschen. Der als 'Finanzkapital' verschrieene Finanzsektor dient der flexiblen Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft: Er sorgt dafür, dass ungebundenes Kapital dorthin gelangt, wo es am besten verwertet werden kann. Das Wissen der Investmentbanken verschärft so den Konkurrenzdruck auf die einzelnen Unternehmen, die das Geld der Banken benötigen. So wird die Produktivität im Weltmaßstab erhöht, denn in Firmen, die nur unterdurchschnittlich produktiv sind, wird eben nicht investiert. Der Finanzsektor ist also nicht mehr und nicht weniger als der Verstärker des kapitalistischen Weltmarkts. Und ebenso falsch wie die Verdammung des Finanzkapitals ist der Glaube an eine Trennung von Realwirtschaft und 'fiktiver' Kreditwirtschaft an der Börse: Jede Produktion von Waren im Kapitalismus ist Spekulation; sie hofft auf ein künftiges, zahlungskräftiges Bedürfnis, das die produzierte Ware konsumiert. Ob das gelingt, weiß der Produzent allerdings vorher nicht. Die Ware muss sich erst auf dem Markt bewähren.

Investition und Produktion sind also genauso Spekulation wie die Eröffnung einer Kneipe.

Der Staat ist ein Scheißladen

Gegen den in Deutschland verbreiteten Ruf nach dem starken Staat, dessen vermeintliche Aufgabe es sei, die Souveränität des Volks gegen das Kapital zu sichern, ist daran zu erinnern, dass er genau das macht, was er als Staat des Kapitals zu tun hat. Der Staat ist in seinen Zielen lange nicht so frei, wie die autoritätssüchtigen BürgerInnen ihn gerne hätten.

Sowohl Regulierung und Bändigung als auch die aktuelle Rettung des Finanzsektors sind notwendig, um eine sichere Grundlage des nationalen Kapitals wieder herzustellen. Auf Opel kann Deutschland zur Not verzichten, auf funktionierende Banken nicht. Der Staat stellt sich über den Markt, um ihn wieder herzustellen, nicht um seine Agenten zu maßregeln. Er nimmt die angezählten Banken unter seine Fittiche, um sie später wieder auf den Markt zu schicken, auf dem sie ihn als Standort erneut mit Geld versorgen sollen. Er hat kaum eine andere Wahl; schließlich hängt seine Existenz vor allem von der Höhe der Steuereinnahmen ab – und damit auch seine Möglichkeiten, z.B. mit Investitionen in Bildung und Autobahnen die bestmögliche Verwertbarkeit seiner Arbeitskraftbehälter („Staatsbürger“) zu gewährleisten.

Der Staat ist also nicht zu kritisieren, weil er die Krise schlecht verwaltet, sondern weil er immer noch da ist. Denn es ist der Staat, der mit seinem Gewaltmonopol verhindert, dass der gesellschaftliche Reichtum den Produzenten dieser Reichtümer selbst zu Gute kommt. Der Staat garantiert eine Gesellschaftsordnung, die sich durch Konkurrenzzwang und die Verselbständigung der eigentlich doch von Menschen gemachten Gesetze der (ökonomischen) Entwicklung auszeichnet, welche auch ohne Krise zu gesundheitsschädlicher und nervtötender Arbeit zwingen – obwohl eine vernünftige Organisation der Gesellschaft schon längst mit einem Minimum davon auskäme. Indem der Staat das menschliche Streben nach Glück in die Form kapitalistischer Konkurrenz bannt, sorgt er dafür, dass das Hamsterrad nie stillsteht. Es ist der Staat, der also immer und notwendig gegen die Interessen der Menschen da ist. Egal ob in Deutschland, in Venezuela, im Iran oder in China.

The dark side of gutgemeint

Dadurch rächt sich auch die scheinbar gut gemeinte Bittstellerei jener Linken – von Teilen der Linkspartei bis zum DGB – die behaupten, den Staat mit ihren Ideen für Schutzschirme und Konjunkturprogramme für menschenfreundliche Zwecke einspannen zu können. Eben dieser deutsche Staat sorgt momentan dafür, die weltweite Ungleichheit zum Vorteil seiner nationalen Wirtschaftsunternehmen und eines notwendig begrenzten Teils seiner Bevölkerung weiter auszubauen. Die staatliche Krisenlösung, die im Moment von rechts bis links alle fordern, kann somit höchstens verhandeln, auf wessen Rücken die Folgen der Krise ausgetragen werden.

Staatliche Hilfe für Banken und Unternehmen, aber auch soziale Umverteilung können sich schließlich nur die Staaten leisten, die aus dem weltweiten und erbarmungslosen Wettbewerb als relative Gewinner hervorgehen. Die Forderung, dass es „uns Deutsche“ doch bitte nicht so hart treffen soll, ist mithin nationalistisch, weil sie die Katastrophen für „die Anderen“ brutal einkalkuliert. Wenn Oskar Lafontaine im Stil eines Rechtsradikalen Auffanglager in Nordafrika fordert und damit die tödliche Abschottung der Europäischen Union gegen MigrantInnen und Flüchtlinge noch verstärken will, dann spricht er nur die schlechte Wahrheit des (Sozial-)Staates aus: Jede Sorge um die Verbesserung Deutschlands ist eine Parteinahme gegen die Menschen – hier und erst recht anderswo. Jede Forderung nach dem Gemeinwohl oder einer Stärkung der Binnennachfrage und jede soziale Befriedung durch Almosen ist ebenso gegen die Menschen gerichtet, wie sie nur notwendig ist, solange sich die Linken weiterhin den Kopf von Staat, Nation und Kapital zerbrechen.

Alles muss man selber machen

Angesichts des sich verschärfenden globalen Elends, der Unterordnung immer weiterer Lebensbereiche unter die kapitalistische Logik des Profits und der Mobilisierung ganzer Bevölkerungen für den „Standort Deutschland“ sind die halbjährlichen Großmobilisierungen der Gewerkschaften und der Linkspartei lediglich eine Betäubungsspritze für alle Unzufriedenen: Hinfahren, Bratwurst essen, gemeinsam klagen und dann glauben, etwas bewegt zu haben. Alle fordern etwas vom Staat und warten dann wie Kühe auf den Metzger.
Doch wer Staat und Kapitalismus nicht abschaffen will, der darf sich nicht beschweren, wenn es ihn irgendwann auch einmal selber trifft. Jetzt oder in der nächsten Krise. So läuft das halt. Es zeigt sich schließlich schon seit Jahren, dass es überhaupt nichts bringt, immer und immer wieder brav zu fordern, Staat und Parteien mögen doch bitte, bitte für das eigene Glück oder das von Familie, KollegInnen, FreundInnen oder wem auch immer einstehen.

Alternativen hierzu sind dabei nicht all zu schwierig zu bestimmen. Eine wirklich demokratische Organisierung jenseits des Staates, eine Alltagspraxis, die sich mit Streiks in Betrieben, Besetzungen in Arbeitsämtern und Universitäten nimmt, was wir brauchen und mit Sabotage verhindert, was uns nicht passt. Das wäre ein Rettungspaket, das seinen Namen auch verdient. Aber wir müssen es uns selber schnüren.

Keine Party ohne uns...

Auch der Krisennationalismus ist angreifbar. Er braucht Inszenierungen und Symbole, um anerkannt zu sein und die Unzufriedenen integrieren zu können. Und er braucht Leute, die ihn – wie Oskar Lafontaine das tut – vertreten. Hier lässt sich der herrschende Wahnsinn sehr leicht stören.  Einen weiteren guten Anlass dazu gibt es am 23. Mai diesen Jahres in Berlin: Die BRD feiert  ihr 60jähriges Bestehen und inszeniert sich als der freieste Gewaltmonopolist, der je deutsche Pässe ausgegeben hat. Das linksradikale ...ums Ganze-Bündnis mobilisiert dagegen. Und da eine vernünftige Analyse des Zusammenhangs von Staat, Nation und Kapital nur auf die denkbar schlechteste Bewertung hinauslaufen kann, sollten wir diese Chance nutzen, seinen  schlimmsten Fans ein kompromissloses „Scheiße!“ entgegen zu schleudern

Gegen die Herrschaft der falschen Freiheit! Für die soziale Revolution!

Beteiligt euch an der antinationalen Kampagne und kommt am 23. Mai nach Berlin!

Bericht vom antinationalen und sozialrevolutionären Block

Fast 2.000 Teilnehmer im antinationalen und sozialrevolutionären Block/ Rede von Oskar Lafontaine massiv gestört Presseerklärung des antinationalen und sozialrevolutionären Blocks auf der Krisendemo am 28. März

Autonome Antifa verteidigt Eierwürfe auf Lafontaine und kritisiert Nationalismus
Lafontaine-Rede ist eine Provokation (Presseerklärung des sozialrevolutionären und antinationalen Blocks vor der Demo)

Redebeiträge bei der Auftaktkundgebung des Blocks auf der Senkenberganlage:

FAU
Antifa G5
Jutta Ditfurth

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