Anmerkung: Dies ist die überarbeitete Version der Opernballnachbereitung der autonomen antifa[f]. Die erste Version war versehentlich veschickt worden, bevor die Diskussionen beendet waren.
Gegen den “Deutschen Opernball” 2006 in Frankfurt am Main fand eine linksradikale Demonstration mit überregionaler Beteiligung statt. Diese war eingebettet in eine Aktionsreihe gegen die Innere Aufrüstung und den Standort Deutschland. Ziel war es erstens die grundsätzliche Kritik am Kapitalismus im allgemeinen und dem Standort Deutschland im Besonderen mit einer Einmischung der radikalen Linken in gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verbinden.
Hierbei sollte vor allem der Ausbau einer autoritären Überwachungsgesellschaft thematisiert und angegangen werden, welcher gemessen an seinem Ausmaß von der Linken vernachlässigt wird. In Bezug auf die Linke sollte dabei zweitens die Diskussion über die politischen Interventionsmöglichkeiten vorangetrieben werden. Außerdem sollte - ganz marketingstrategisch - über einen konfrontativen, symbolischen Event drittens gesellschaftliches Interesse für die radikale Linke geweckt werden. Nicht zuletzt ging es in diesem Sinne auch darum, die Vernetzung und Zusammenarbeit linksradikaler Gruppen zu intensivieren.
Im Vorfeld bildete sich ein überregionales Bündnis, in dem sowohl regionale (Antifa-) Gruppen, maßgeblich das BASH, als auch Zusammenhänge aus Mannheim, Göttingen und Berlin-Brandenburg beteiligt waren. Auf mehreren Treffen wurde sich auf die schon genannte inhaltliche Ausrichtung, die Demo und eine Reihe von Vorfeldaktionen geeinigt um das Anliegen der Aktionsreihe „Gegen Innere Aufrüstung und den Standort Deutschland“ bereits im Vorfeld der Demonstration zu vermitteln.
Regional fand im Rahmen dieser Reihe Mitte November eine von circa 80 Menschen besuchte Kundgebung des BASH gegen die “Patriotismuskonferenz” der Quandt-Stiftung in Bad Homburg statt. Aufgrund eines enormen Polizeiaufgebotes und rigider Auflagen entschied man sich, die kleine geplante Demo mit der S-Bahn spontan und lautstark auf die Frankfurter Zeil zu verlegen. Die hinterher gereiste Polizeihundertschaft kam dabei trotz Blaulicht und einem rabiaten Spurt über die, von Weihnachtseinkäufern bevölkerte, Zeil zu spät.
Des weiteren gab es eine - mit von jeweils 40 bis 80 Menschen gut besuchte - inhaltliche Veranstaltungsreihe, bei der über verschiedene Aspekte der Formierung zum nationalen Standort und die damit einhergehende Innere Aufrüstung informiert und diskutiert wurde. Besonders zu erwähnen ist hier eine- von Einzelpersonen aus inhaltlich sehr unterschiedlichen Gruppen getragene - Veranstaltung, die unterhaltsam über die Geschichte der diversen Opernball-Proteste informierte, aber dabei auch inhaltliche Differenzen und Kritik klar benannte, sowie eine Veranstaltung mit Joachim Hirsch, der Thesen zum „Ende der liberalen Demokratie“ vorstellte.Im Januar und am Anfang des Kommunalwahlkampfes demonstrierten dann circa 50 Antifas vor das Haus des Frankfurter CDU-Fraktionsvorsitzenden Uwe Becker, der sich einen Namen mit einer ganz und gar nicht „weltoffenen“ Law and Order-Politik gemacht hat. Auch dabei war wieder ein großes Polizeiaufgebot am Start. Außerdem gab es einige Soliparties in diversen Zentren, die mal mehr, mal weniger luxuriös einen Beitrag zur erfrischend anderen Perspektive leisteten.
Eine Woche vor der Demo fand dann in Darmstadt noch eine Spontandemo statt, die unter Parolen wie „Luxus für Alle – sonst gibt’s Krawalle“ eine Runde durch die Darmstädter Innenstadt drehte. Daneben kam es in ganz Frankfurt zu kleineren Aktionen wie dem Verteilen von Freikarten mit entsprechendem Text, Sprühereien und großflächige Plakatierungen. Und last but not least fing einige Tage vor dem Opernball der Mercedes des Veranstalters Feuer und brannte mir nichts dir nichts ab.
Überregional gab es eine Reihe von Infoveranstaltungen, z.B. in Berlin und Göttingen, und Aufrufe, z.B. von der redical m aus Göttingen, der Gruppe PoP Hannover sowie des Berlin-Brandenburger Vorbereitungsbündnisses. Darüber hinaus veranstaltete die redical m noch eine große, luxuriöse Anti-Opernball-Party. Die Aufrufe zur Demo sorgten bereits im Vorfeld für einige Diskussion, so gab es verschiedene Gegenaufrufe, u.a. von der Göttinger Antifa Aktion & Kritik.
Das öffentliche Echo der regionalen Vorfeldaktionen war vergleichsweise gut. Die Kundgebungen, bzw. Hausbesuche bei Akteuren des Standorts Deutschland und der Inneren Aufrüstung sorgten auch in der bürgerlichen Öffentlichkeit für Diskussionen. So sah sich z.B. die Frankfurter SPD im Stadtparlament – nach empörten, jedoch gleichwohl inhaltlichen Zeitungsartikeln über „reaktionäre Sicherheitspolitik“ und „die Chaoten vor Beckers Haus“ - dazu genötigt, „der Antifa“ eine „Missachtung der demokratischen Kultur“ vorzuwerfen. Und der CDU-Fraktionschef verteidigte seine „Sicherheitspolitik“ damit, dass „die Antifa“ eine Gruppierung sei, die sich „ja bekanntlich nicht an die Spielregeln“ halte. Als besonders öffentlichkeitswirksam für das Anliegen der radikalen Linken erwies sich der flambierte Mercedes des Ballveranstalters. Dieser veranlasste – zusammen mit den Ereignissen vom letzten Jahr - sogar den hessischen Innenminister und die zugleich berüchtigte Schnapsdrossel, Volker Bouffier, ganz innovativ ein „hartes Durchgreifen“ anzukündigen. Durch diesen politisch-motivierten, „technischen Defekt“ jedenfalls, war die Demo im unmittelbaren Vorfeld auch in den lokalen Medien ein Thema.
Es hat sich als richtig erwiesen, die inhaltlicheVermittlung bereits im Vorfeld der Demo zu forcieren. Zumindest teilweise ist es gelungen, die ansonsten gänzlich kritiklos von statten gehende Entwicklung zur autoritären Überwachungsgesellschaft aus anderer Perspektive zu thematisieren. Überdies hat eine vielfältige Palette von mehr oder weniger militanten Vorfeldaktionen der radikalen Linken im Rhein-Main Gebiet Aufmerksamkeit beschert. Nur durch solch ein Nebeneinander unterschiedlicher Aktionsformen kann es gelingen, die Verhältnisse „aus der einzigartig erfrischend anderen Perspektive“ zu thematisieren. Dass dies eine Gegenreaktion der staatlichen Verfolgungsbehörden auslöst, ist zwar bedauerlich, wird sich aber nicht vermeiden lassen. Grundsätzlich darf sich die radikale Linke nicht auf ein paar Großevents beschränken, vielmehr muss sie kontinuierlich in der Öffentlichkeit präsent sein. Zumindest wenn es um mehr gehen soll, als das lokale Kommentieren gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen. Um gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verändern ist schließlich ein langer Atem notwendig. Nicht zuletzt an dem Anspruch, reale Veränderung herbeizuführen muss sich auch linksradikale Kritik und Praxis messen lassen. Dafür ist eine – auch das hat sich hier mal wieder gezeigt – Organisierung nötig, die über unmittelbare Anlässe hinausgeht, um theoretische und praktische Weiterentwicklung zu gewährleisten. Widerstand braucht Kontinuität.
So weit sich dabei der Ansatz einer Aktionsreihe als richtig erwiesen hat, so dürftig war allerdings die Beteiligung über Frankfurt hinaus - von einigen rühmlichen Ausnahmen mal abgesehen (you know who you are…). Offenbar wurde sowohl im regionalen wie auch im überregionalen Maßstab das Ganze maßgeblich als eine Frankfurter Angelegenheit angesehen, zu der man zwar hinfährt und für die man auch Werbung macht, an der man sich jedoch nicht selber besonders beteiligt. Das ist umso bedauerlicher, als im Vorfeld eine Reihe von Gruppe Interesse bekundet hatten und Innere Aufrüstung und autoritäre Formierung keineswegs eine Frankfurter Spezialität darstellen. In diesem Sinne hätte eine breitere Beteiligung die Möglichkeit geboten, Aktionen und Veranstaltungen zu diesem „Thema“ in den Kontext zu stellen in den sie gehören. Im Rahmen des BASH wird der Kampf gegen die autoritäre Überwachungsgesellschaft aber weiterhin forciert werden.
Rund 600 Menschen beteiligten sich schließlich an der Demo. Diese wurde begleitet von einem – den Worten der Schnapsdrossel Bouffier alle Ehre machenden - Polizeiaufgebot. So waren mindestens ebenso viele„Sicherheitskräfte“ mit diversen Gerätschaften und dem gesamten polizeilichen Tierpark (Hunde, Pferde, …) wie Demonstranten anwesend, die ihren Teil zur Atmosphäre beitrugen und mit der Demo Gefangentransporter spielten. Eine - trotz der Tatsache, dass keine Auflagen erlassen worden waren - wanderkesselmäßige Spalierbegleitung von vermummten und behelmten BFE’s, absichtlich die Redebeiträge störende Lautsprecherdurchsagen der Polizei an die Passanten à la „Halten Sie sich zurück, von dieser Demo geht Gewalt aus…“, diverse gewalttätige Übergriffe, fast flächendeckende Personalienkontrollen von Demoteilnehmern, das Verbot die Demo nach Beginn zu verlassen oder aufs Klo zu gehen, widerrechtliche Ingewahrsamnahmen und ein Großaufgebot an Kameras machten als ungeplante Agit-Prop Aktion dunkle Zukunftsaussichten für gesellschaftskritische Gruppen deutlich und die Durchführung einer Demonstration auch nach bürgerlichen Maßstäben zur Farce. Außerdem zeigt es deutlich, dass einer von staatlicher Seite betriebenen Entformalisierung („Keine Auflagen“) mit größtem Misstrauen zu begegnen ist, da sie eine rechtliche Überprüfung sehr schwierig macht. Nach wiederholten Rangeleien an der Demospitze wurde die Demo durch die Polizei sogar für aufgelöst erklärt, konnte dann jedoch nicht zuletzt aufgrund des medialen Drucks , aber auch des entschlossenen Vorgehens der Demospitze, fortgesetzt werden. Trotz der repressiven Situation, war die Stimmung in der Demo überhaupt erstaunlich entschlossen.
An der Oper angekommen gab es dann einige heftigere Rangeleien mit der Polizei, die mit Pfefferspray und Knüppeln reagierte. Darauf antworteten wiederum einige Demonstranten mit Böllern und Leuchtspurmunition auf die Polizei und die alte Oper. Als die Polizei gerade dazu überging Leute raus zugreifen, setzte sich ein Großteil der Demonstranten spontan in die Innenstadt ab. Dabei gingen zahlreiche Schaufensterscheiben von Geschäften und Banken zu Bruch, Autos wurden demoliert, Ordnungshüter attackiert und Feuer gemacht. Die Polizei reagierte auf diesen Move, indem sie erst mal einfach die Kundgebung auflöste, dann hektisch mit Blaulicht durch die ganze Stadt kurvte und irgendwelche Leute festnahm, die das Pech hatten zur falschen Zeit Einkaufen zu gehen. Außerdem gammelte ihr Personal mit schlechter Laune noch die ganze Nacht vor vermeintlichen Szenetreffpunkten herum.
Das Presseecho war groß. Fast überall überlagerten die „Ausschreitungen“ das Festprogramm mit Roland Koch und dem neuen Bundesverteidigungsminister Jung, wobei zumindest das Demo-Motto “Gegen die Innere Aufrüstung - Luxus für Alle“ präsent war. Ansonsten kam erwartungsgemäß inhaltlich wenig rüber. Vor allen Dingen regierte das Erstaunen über die Auseinandersetzung. Auch der krasse Polizeieinsatz war kaum Thema. Frankfurt News etwa berichtete über die Ausschreitungen, es sei gewesen, als ob man mit „einem Fußball in einen Porzellanladen wüte“. Und die Bild-Zeitung verstieg sich in der ihr eigenen Art dazu, von „stundenlangen Straßenschlachten: 600 Polizisten gegen 200 Autonome“ zu fabulieren. Was dann doch mehr als gelinde übertrieben ist. Darüber hinaus versuchten sowohl Bild-Zeitung, als auch der Pressesprecher der Polizei das unmittelbare Scheitern ihres Konzeptes zum Ergebnis eines perfiden „Plans“ gewaltbereiter Linksradikaler umzudeuten. Und dpa wartete einige Tage danach mit der mehr oder weniger überraschenden Erkenntnis auf, dass ein Großteil der „Krawallmacher“ aus der Umgebung gekommen sei.
In Szene-Medien wurde im Nachhinein vor allem die - gemessen an der Unterstützerliste - geringe Teilnehmerzahl, die fehlende Einbindung bürgerlicherGruppen, der Situation nicht angemessene Redebeiträge und auch die Fortführung der Demo unter diesen Bedingungen bemängelt.
Das Ausmaß der polizeilichen Repression hat uns überrascht. Trotz der verbalen Kraftmeierei des hessischen Innenministers sind wir nicht davon ausgegangen, dass schon die Demo derartig behandelt werden würde. Diese Situation führte auch dazu, dass während der Demo – aufgrund des faktischen Polizeikessels - eine vernünftige Kommunikation mit der Demospitze nicht mehr möglich war. In diesem Sinne waren die Redebeiträge der Situation sicherlich nicht angemessen. Hier hätte es eines flexibleren Umgangs und/oder eines Plan B für die Demo bedurft.
Die Fortführung der Demo unter diesen Bedingungen allerdings war richtig. Die Auflösung der Demo hätte unter den gegebenen Umständen nur zu einer totalen Aufsplitterung und dem Nichterreichen der Oper geführt. Überdies war es das erklärte Ziel der Polizei, uns so lange wie möglich aufzuhalten, um die mediale Inszenierung, sowie die Anreise der Gäste an der Oper möglichst lange ungestört zu halten. Nur beständiger Druck der Demospitze und die kategorische Ablehnung der, von der Polizei bereits in Höhe der Hauptwache verkündeten, Auflösung der Demo brachte diese überhaupt zum Ziel.
Die Teilnehmerzahl war tatsächlich zu niedrig. Zwar wurde eine Einbindung links-bürgerlicher Kreise aktiv versucht, die Demo selbst jedoch war eine fast rein linksradikale Angelegenheit. Es ist aber fraglich, ob das Potential der gemäßigten Linken für solche Aktionen grundsätzlich höher ist. Eine direkter Einbeziehung dieser Kreise in die Vorbereitung wäre eine Möglichkeit hier einen neuen Versuch zu machen. Innerhalb der radikale Linken wurde die Demo - von den bereits erwähnten herausragenden Ausnahmen abgesehen - hauptsächlich als regionale Angelegenheit angesehen. So waren es denn auch mehrheitlich regional mobilisierte Teilnehmer. Das lässt zwar für die regionale Entwicklung hoffen, ist aber bedauerlich angesichts der bundesweiten Öffentlichkeit für den “Deutschen Opernball”. Vielleicht haben die unproduktive Polarisierung der radikalen Linken, wie auch diverse, diesem Begründungszusammenhang entstammende Gegenaufrufe, einen Teil zu diesem Ergebnis beigetragen.
Dafür allerdings waren die Anwesenden in der Mehrheit eben mehr Klasse als Masse. Es ist wohl jenes Potential, dass die kritische Theorie nicht für eine Zumutung, sondern einen notwendigen Gewinn hält und das sich gerade deswegen nicht dafür zu schade ist, sich mit der Staatsmacht zu balgen, auf das man für eine vernünftige Entwicklung der radikalen Linken setzen muss. Die Reaktion vieler Teilnehmer auf das Verhalten der Polizei im Besonderen und die alltägliche Kapital und Nation-Scheiße im Allgemeinen war klar. Die „Ordnungsbehörden“ haben auf Eskalation gesetzt - zahlreiche DemonstrantInnen haben ihnen dafür die Rechnung präsentiert. Positiv war auch, dass man sich schon während der Demo nicht die Stimmung vermiesen ließ. Natürlich ist eine Demo unter diesen Bedingungen kein absoluter „Erfolg“. Aber gemessen an den Ausgangsbedingungen eben schon. Übrigens: Auch eine normale Demonstration wäre kein „Erfolg“, sondern immer noch staatlich sanktioniertes Schaulaufen. Ein echter Erfolg wäre bekanntlich nur die Revolution. Und bis dahin ist Erfolg eben immer relativ.
In der Nachbereitung fällt grundsätzlich auch auf, dass all jene Gruppen und Zusammenhänge die sich in die Vorbereitung und Durchführung der Demo eingebracht haben, diese als relativen Erfolg bewerteten - wie beispielsweise die Nachbereitung der Antifa Jugend Frankfurt oder auch die der redicalm zeigen - wogegen jene, die schon in der Vorbereitung vor allem durch Abwesenheit aufgefallen sind, nun im Nachhinein eine Niederlage sehen.
Fatal war das Verhalten einiger jüngerer DemoteilnehmerInnen, die sich brav an einigen der zahlreichen Kontrollpunkte anstellten anstatt zumindest zu versuchen, diese zu durchbrechen bzw. zuumgehen. Hier braucht es wahrscheinlich mal wieder einer zunehmenden Aufklärung, nicht nur über grundsätzliche „Rechte als Demonstrant“, sondern auch darüber, dass man zu dem personifizierten Gewaltmonopol weder nett noch höflich sein muss. Auch wenn sie es immer wieder versuchen: Sie sind nicht unsere Freunde.
Das Konzept der Polizei an diesem Tag darf natürlich nicht hingenommen werden. Dafür werden die notwendigen juristische Schritte unternommen. Die Frage, wie es damit weitergeht, ist allerdings eine primär Politische. Hier gilt es, auch bei anderen Anlässen die Auseinandersetzung mit der Politik und den Strategen des autoritär formierten Standortes Deutschland zu suchen. Strategisch stellt sich die Frage, ob man überhaupt noch Veranstaltungen anmelden sollte, wenn die Gegenseite ohnehin macht was sie will. Gute Ansätze hierzu gibt es in der Linken in Frankfurt ja bereits. Den nächsten Opernball und insbesondere die aktuellen Studentenproteste bietenwir den Law and Order-Fanatikern gerne als Nachhilfe in Sachen demokratische Grundrechte an…
Im Nachhinein veranstalteten wir zusammen mit der Vereinigung hessischer Strafverteidiger ein öffentliches Hearing zum Polizeieinsatz, das auf relativ breites Interesse stieß. Bei dieser wurde sowohl aus politischer wie auch aus rechtlicher Perspektive der Polizeieinsatz scharf kritisiert. Auch ein Stadtverordneter der Linkspartei, der während der Demo von einem Polizeibeamten angegriffen worden war, berichtete öffentlichkeitswirksam. Durch die Veranstaltung gelang es, zumindest in Teilen die Diskussion zu beeinflussen und den Polizeieinsatz zu skandalisieren. Das zeigt, dass gerade auch die Nachbereitung solcher Events für eine politische Perspektive der Linken von zentraler Bedeutung ist. Eine Klage gegen den Polizeieinsatz ist inzwischen vor dem Verwaltungsgericht eingereicht.
Auch die Aktivitäten gegen die Innere Aufrüstung wurden fortgesetzt. So protestierten Antifas bei einer Podiumsdiskussion zu „WM und Sicherheit“ in Frankfurt unter dem Motto „ Die Welt zu Gast - fühl dich wie im Knast…“. Auch der bereits eingangs erwähnte Uwe Becker (CDU) wurde nicht vergessen und bei einer Anti-Graffiti-Aktion der CDU samt Anhang von „Chaoten“ (FR) mit Eiern beworfen. Und das BASH beteiligte sich unter dem Motto „Gegen staatlichen Rassismus und Innere Sicherheit – Fight Fortress Europe!“ im April an der Bleiberechtsdemo in Wiesbaden.
Anlässlich des WM-Vierteilfinalspiels in Frankfurt wurde von einem breiten Bündnis (von der antifa bis zu Fangruppen) ein Fußballturnier, Konzerte und eine Demo „gegen staatlichen Rassismus und Innere Aufrüstung“ organisiert. Am 10.6. fand außerdem in Kaiserslautern eine Demo „Deutsche Träume platzen lassen – gegen innere Aufrüstung und Krautsalat!“ statt.
Es ist positiv, dass unser diesjähriger Aufruf eine breitere Diskussion ausgelöst hat. Für eine Weiterentwicklung der radikalen Linken ist es immerhin ein Schritt in die richtige Richtung, wenn zumindest versucht wird, auch einmal mit-, anstatt nur übereinander zu reden. Darum im Folgenden auch von uns ein paar Anmerkungen zur Diskussion rund um den Opernball.
Das eingangs erwähnte Lob muss leider auch gleich wieder eingeschränkt werden. Einige der Diskussionsbeiträge zeichneten sich leider vor allem dadurch aus, dass Zitate aus dem Zusammenhang gerissen wurden und dementsprechend sinnentstellt gegen Pappkameraden argumentiert wurde. Wir wollen uns aber nicht daran abarbeiten (siehe dazu auch unseren Redebeitrag), sondern versuchen, das Pferd richtig rum aufzuzäumen.
Die Kritik am Kapitalismus kommt aus ihm selbst. Die kapitalistische Vergesellschaftung selbst produziert die Möglichkeit ihrer eigenen Überwindung. Ziel der kritischen Theorie von Marx ff. war und ist es dementsprechend, diese grundsätzliche Selbstwidersprüchlichkeit mit der Perspektive zu entfalten, diese Verhältnisse zu überwinden. Die Kritik fällt nicht vom Himmel. Sie ist noch dem totalen „falschen Ganzen“ immanent. Wer aller Praxis in diesen Verhältnissen nur vorwirft, innerhalb der Totalität zu bleiben und von ihr “infiziert“ zu sein, hat weniger als die Hälfte verstanden. Eine Kritik, welche die Totalität als eine geschlossene annimmt, kann sich vor allen Dingen nicht selbst erklären. Nun besteht allerdings trotzdem das Problem, dass bekannterweise zwischen Kapitalismus und der “Assoziation freier Individuen” eine Lücke klafft, die Gegenwart heißt. Es fehlt also eine Bewegung, die sich von der „Klasse an sich“ zur „Klasse für sich“ (zur Klassenfrage u.ä. siehe auch unsere Opernballnachbereitung aus 2005: ) formt. Und das schon seit geraumer Zeit.
Da es schlicht zu wenig Revolutionäre gibt bleibt dementsprechend der einzig vernünftige Akt zur Abschaffung der Politik – die Revolution durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel – nur Zukunftsmusik.
Übrig bleibt also auch für Linksradikale in gar nicht revolutionären Situationen eben diese vorzubereiten. Einmal, indem sie durch Kritik und Aufklärung versuchen, die Zahl der Revolutionäre zu erhöhen, sowie deren Verständnis der Gesellschaft zu verbessern. Zum zweiten, indem sie mit dem Mittel der Politik versuchen, Situationen und Verhältnisse zu erzeugen, welche ersteres einfacher machen.
Beispielsweise ist die Abwesenheit der permanenten Lebensbedrohung durch Nazis oder der Gefahr des Verhungerns eine mögliche Vorraussetzung für ein radikal gesellschaftskritisches Engagement. Die Politik kann also nicht revolutionär sein, sie ist Vorfeldarbeit. Die radikale Linke darf sich dabei jedoch nicht selbst ins Bein schießen. Die realpolitisch unterstützenswerte Forderung nach einem uneingeschränkten Bleiberecht oder sozialen Rechten müssen verbunden werden mit dem Wissen um deren notwendige Beschränktheit. Darüber hinaus darf sie sich nicht den Kopf von Staat und Kapital zerbrechen. Hier zeigt sich der Knackpunkt der linksradikalen Debatte. So wie es nichts Grundsätzliches an der kapitalistischen Vergesellschaftung ändert, ob Nazis regelmäßig Migrannten totschlagen oder nicht - so sehr ist Antifaschismus notwendig. Nicht als Mittel zur Revolution, sondern als deren Voraussetzung. Abgesehen von allen anderen humanistischen Belangen gilt revolutionstheoretisch schlicht das politische Kalkül: Tote machen keine Revolution.
Die Kräfteverhältnisse innerhalb dieser Gesellschaft können der radikalen Linken also schon deshalb nicht egal sein. Sind sie ja auch selbst denen meistens nicht, die anderen ihr Engagement in unterschiedlichen „Teilbereichen“ wie Sozialabbau als reformistisch vorwerfen. Schließlich ist man spätestens beim nächsten Naziaufmarsch dann doch wieder fleißig am „Politik machen“…
Gleichwohl muss die radikale Linke für die Verwirklichung ihres eigentlichen Zweckes, die eben dieser Politik zugrunde liegenden Kategorien dieser Gesellschaft (wie Nation, Arbeit, Recht, Demokratie, Staat, etc.) einer praktischen Kritik im Sinne ihrer Überwindung unterziehen. Die Vermittlung vom Wissen um die Bedeutung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse(Hegemonietheorie) mit Jenem um die Notwendigkeit einer kategorialen Kritik ist die Aufgabe, der man sich nur durch den Taschenspielertrick entziehen kann die Realität zu leugnen.
Eine radikale Linke, die sich dementsprechend nicht dazu verhält, dass im Namen des Standorts Deutschland „alle den Gürtel enger schnallen sollen“ (Schröder) und die „Freiheit des einzelnen zugunsten der Sicherheit der Gesellschaft partiell zurück stehen muss“ (Beckstein) ist vor allem eins: Politikunfähig. Eine radikale Linke, die so tut als wäre das Problem kein grundsätzliches ist kritikunfähig. Vorraussetzung linksradikaler Politikfähigkeit im besten Sinne ist also das Wissen um ihre Beschränktheit. Sowohl in Bezug auf den Kampf gegen Nazis als auch in anderen Bereichen hat sich gezeigt: Eine radikale Linke, die nicht interveniert verliert an Boden. Wer dabei jedoch Bündnisse auf Masse anlegt und nicht inhaltlich bestimmt, verliert auch. Es bleibt die Aufgabe, zu sagen was los ist und daran zu erinnern, dass es tatsächlich nie falsch ist das Richtige zu tun. Die Politik ist mithin so gut wie die Kritik im besten Sinne radikal ist, die hinter ihr erscheint.
Dabei ist zwar potentiell die gesamte Gesellschaft ein angemessener Aktionsradius – da die Ressourcen jedoch bekanntermaßen begrenzt sind, sollte die radikale Linke zentrale Symbole des hegemonialen Projektes angehen. Das aktuell hegemoniale Projekt des Kapitals (hier immer verstanden als geschichtsphilosophische Gegenklasse) ist der Standort Deutschland, ein im Wesentlichen autoritär formierter Wettbewerbsstaat, der mit seiner Vergangenheit im Reinen ist. Es gilt in diesem Sinne zur Kenntnis zu nehmen, dass der Kampf gegen die völkische Variante Deutschlands zumindest im Moment nicht das nationale Projekt des Standortes im globalen Kapitalismus trifft.
Schon vor zwei Jahren haben wir diese Entwicklung als reaktionäre Formierung der Gesellschaft (in allen Bereichen) zum Standort charakterisiert. Eine Entwicklung, die man übrigens im selbsternannten Flagschiff der Berliner Republik - der Zeitschrift „Cicero“ - zustimmend als „national-bürgerliche Restauration in allen Bereichen“ zitiert. Nur die Linke, die davon nichts wissen will, wurschtelt munter weiter und macht in Teilbereiche.
Anstatt sich in identitären Abgrenzungsspielchen zu ergehen hätte der Opernball 2006 als Symbol in diesem Sinne die Chance geboten, einen Schritt in die richtige Richtung und gegen das dominante Projekt des Standortes zu gehen. Steht der Opernball doch symbolisch für die Möglichkeit von Luxus und gleichzeitig für die Faktizität der Nichteinlösung dieses Versprechens für den Großteil der Menschen. Das ist umso wichtiger, als sich die gesellschaftliche Perspektive aktuell und reaktionär in die ganz andere Richtung richtet. Hier anzusetzen bietet sich an Schließlich ist es gerade hierzulande der (standort-)nationalistische Kitt, der die versteinerten Verhältnisse und Subjekte zusammen hält. Zumal der Ball eben keine x-beliebige Kulturindustrieveranstaltung darstellt, sondern eine explizit politische Veranstaltung ist, die der ideologischen Selbstvergewisserung der selbsternannten Elite dient. Insbesondere auch dadurch, dass er mit Akteuren der Standortpolitik wirbt, die so wenig persönlich verantwortlich für die gesellschaftlichen Verhältnisse sind wie sie persönlich eine Politik verantworten wollen, welche die des Kapitals ist. Dagegen sich nicht den Kopf des Staates zu zerbrechen und seine unmittelbaren (Klassen-) Interessen auf ein schönes Leben für jeden Einzelnen im hier und jetzt einzufordern, wie bei der Opernballdemo und auch teilweise bei den hessischen Studierendenprotesten geschehen - das wäre antideutsche Praxis im besten Sinne. Dazu gehört selbstverständlich auch, die Akteure zu attackieren, welche diese reaktionäre Formierung konkret umsetzen. Alles andere bedeutet der wahren Lüge aufzusitzen, dass die Menschen für die von ihnen beständig und bewusstlos reproduzierte Gesellschaft nicht verantwortlich wären. Obgleich eine Sozialstaatskritik von links wie auch eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des Luxus sicherlich noch ausbaubedürftig ist und insbesondere zu diesem Anlass in Zukunft nötig wären. Überdies besteht natürlich das Problem, dass symbolische Anlässe immer die große Schwachstelle aufweisen, als Verkürzung gesellschaftlicher Zusammenhänge und als Bestätigung von Stereotypen interpretiert werden zu können. Die Frage, in wie fern dieses grundsätzliche Problem symbolischer Politik gelöst werden kann, sehen wir in diesem Sinne nach wie vor als keineswegs abschließend beantwortet und als Aufgabe für die Zukunft an.
Ein fortschrittlicher Antikapitalismus muss sich dieses Problems zumindest bewusst sein und sich selbst vor allem auch positiv bestimmen. In diesem Sinne war der Versuch einer reaktionären gesellschaftlichen Debatte, wie auch einem reaktionären und antihedonistischen Arbeitsfetisch innerhalb von Teilen der Linken ein plakatives “Luxus für Alle” entgegen zu setzen sicherlich richtig. Der Demo überdies vorzuwerfen, dass sie eine reine “Revolutionssimulation” gewesen sei, trifft in diesem Sinne zu. Mehr als existentialistische Auftritte ist momentan in diesen Verhältnissen an “revolutionärer Praxis” wohl kaum zu haben. Der Versuch jedenfalls, die Proteste ins Schema der verkürzten Kapitalismuskritik und des „Hasses auf das dekadente Leben“ zu pressen, ist letztlich nicht nur dem FAZ -Korrespondenten missglückt, der zwanghaft versuchte, das Demo-Motto „Luxus für alle“ mit seiner Vorstellung vom arbeitsgeilen Pöbel zu verbinden und letztlich eingestand, so richtig habe er es „einfach nicht verstanden“. Besser verstanden hatte es das Umfeld der Jungen Union, das an Frankfurter Schulen ein Gegenflugblatt unter dem Motto „Luxus für alle – die dafür arbeiten!“ verteilte und erbost feststellte, „die antifa greift die Mitte dieser Gesellschaft an“. Schließlich ist es auch gar nicht so schwer zu verstehen. Eine Demo gegen „Sozialabbau und Innere Aufrüstung“ die unter „Nie wieder Deutschland!“ Rufen und offensichtlich staatsfeindlich “Luxus für Alle!” fordert ist hierzulande aber selten. Eine vernünftige Perspektive gegen Deutschland ist trotzdem gerade hier zu suchen.
Die Paradoxie, dass gerade das schreckliche Scheitern des Klassenkampfes in Deutschland die Notwendigkeit verbürgt an ihm festzuhalten muss theoretisch reflektiert werden – aufgehoben werden kann sie jedoch nur praktisch. Man sollte sich der Absurdität des notwendigen Unterfanges also schon bewusst sein.
„Das Konzept ist das Diktat, sein Leben so auszurichten, dass man zu jeder Zeit und an jedem Ort, auf jede Dauer im Sinne kapitalistischer Verwertung einsetzbar wird. Gleichzeitig wird die Vorstellung von kollektiver Interessenvertretung, von politischer Meinungsäußerung erledigt: Hartz denunziert den Gedanken einer »Solidargemeinschaft« als »Nibelungentreue«, was Solidarität wohl mit völkischem Nationalismus in Verbindung bringen soll. Auf unheimliche Weise ist damit schon die Antwort der Nazis vorweggenommen: die JN und andere Nazigruppierungen propagieren als Antwort auf die Zumutungen neoliberaler Globalisierung völkische Konzepte und artikulieren sich antikapitalistisch. Im Kampf gegen Obdachlose, Behinderte, Flüchtlinge greifen sie den Gedanken auf, dass nur lebensberechtigt ist, wer verwertbar ist. Gleichzeitig agieren sie die verschärfte Konkurrenz gegen »Ausländer« aus und versprechen den »Volksgenossen« einen privilegierten Zugang zu sozialen Sicherungssystemen. Wer für die Nazis keine Sympathien hegt, wird also von Hartz vor die Wahl gestellt, die eine Frage des Lebensstils ist: lieber fit, flexibel, fantastisch oder nibelungentreu? (…) Die Linke kann ihren Kampf nicht (…) delegieren. (…) Der Kampf gegen Kapitalismus aber kann nur ein gemeinsamer sein. Statt neuerlich identitäre Konzepte zu bedienen und sich als Vertreter seiner gesellschaftlichen Stellung (Arbeiter, Frau etc.) zu verstehen, von der aus die Form und das Ziel gesellschaftlicher Auseinandersetzung schon definiert ist, rufen wir auf zu einem Kampf gegen die Grundlagen des Kapitalismus als solche – das soll unser Bezugspunkt sein und (soweit das denkbar ist) eine nicht-identitäre Definition des politischen Projekts: Die Verweigerung nationaler Eingemeindung, die Zurückweisung rassistischer und sexistischer Fragmentierung, für eine Solidarität jenseits von Nation und Volk, für ein Leben jenseits von Verwertung, von »rennen, rackern, rasen«.“ (Kritik & Praxis Berlin)
Presseerklärung der autonomen antifa[f] unmittelbar nach der Opernballdemo
Auswertung der Opernball-Demo durch redicalm
Sonderseite zum Opernball
Ergänzender Aufruf der REDICAL [M]
Eine ausführliche Kritik an der Aktion gegen den Opernball und dem Aufruf
hat die Antifa -
Aktion und Kritik geschrieben
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