Spontane Eier auf die Spontis

Zur Spontveranstaltung war die allgemeine gemeinsame Meinung: Leute wie Fischer, Cohn-Bendit usw., die sonst nirgends auftauchen, wollen hier die Leiche Günters ausschlachten, diese Leichenfledderei lassen wir nicht zu.

Einige waren der Meinung, diese Veranstaltung nicht nur zu sprengen, sondern sie umzufunktionieren. Der vorbereitete Beitrag (siehe anschließend) war jedoch zu dünn, zu schwach durchdiskutiert und deshalb auch nicht ausreichend um diesem Anspruch an diesem Abend gerecht zu werden.

Insbesondere fehlte auch eine Stellungnahme (Trennung) zwischen den Altspontis die da sagen: Wir stehen zu unserer Vergangenheit, aber (!) wir haben daraus gelernt (Gewaltspirale durchbrechen, Parlamentarismus) und denen die da sagen: Wir stehen zu unserer Geschichte und wir machen weiter (mit denen die heute auf der Sraße sind).

Unser Beitrag

Zuerst mächten wir etwas klarstellen: wir haben zusammen keine Perspektive. Euer Interesse ist es, in Frieden, ohne grosse gesellschaftliche Auseinandersetzungen, in einem möglichst liberalen Rechtsstaat einen rela tiv gesicherten Lebensabend zu verbringen. Dafür kämpft ihr! Wir haben diese Perspektive nicht. Wir wollen sie auch nicht. Die Herrschenden entziehen uns gerade unsere Lebensgrundlagen.

Euch haben wir moralisch überhaupt nichts vorzuwerfen. Wir wollen fest- und darüber klarstellen. Ihr macht jetzt, wo die ersten Reaktionen auf die Ermordung von Günter Sare abebben, dazu eine Veranstaltung - wozu?

Ich rede mit Leuten, wenn ich mit ihnen klar kriegen will, in welcher Situation wir uns befinden und wie wir sie gemeinsam verändern können. Sebastian Cobler redet über Polizeiaufrüstung. Will er sein Wissen zur Verfügung stellen, damit er zusammen mit seinen Zuhörern herausbekommt, wie Mensch diesen Polizeiapparat zerschlagen kann? Wozu diskutiert ihr die "Verrohung der Sprache in den Medien"? Sie entspricht doch der Rohheit der Verhältnisse unter denen wir leben müssen. Die kennen wir zur Genüge, da wir sie jeden Tag erfahren. Unter diesen Verhältnissen würde mir "sanftmut" in der Presse mehr Angst machen.

Es hat uns gefreut, dass Joschka Fischer hier erklären soll, ob er noch Minister werden will. Wer eine Regierungs- oder andere Machtbeteiligung will oder ausübt, ist für den Tod von Günter Sare mitverantwortlich. Tote und Verstümmelte sind das zwangsläufige Ergebnis eines staatlichen Gewaltapparates. Solange es antagonistische Klassen gibt, wird es einen Staat geben, zur Durchsetzung der Interessen der Herrschenden. Wir wollen keine Reformen, sie nützen uns nichts. Es gilt Kapital, Gesellschaft und Staat zu zerschlagen und eine freie Gesellschaft aufzubauen! Wenn ihr Joschka Fischer fragen wollt, ob er immer noch Minister werden will, müsst ihr euch auch selbst fragen, ob ihr weiterhin tragender (wenn auch kritischer) Teil der hiesigen gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse bleiben wollt!

Wir werden einen kontinuierlichen Widerstand aufbauen und nicht mehr in Revolten und Kampagnen reagieren. Obwohl wir nach dem Tod von Günter Sare nur reagierten, haben wir wichtige Erfahrungen gemacht. Wir konnten das Demonstrationsrecht (sic!) durchbrechen und wir haben erfahren, daß andere Organisationsformen menschlichen Zusammenseins möglich sind, daß unser eigenes Handeln Perspektive sein kann. Nach dem Tod von Günter trafen sich viele Genossen, isolierte Einzelgänger, Gruppen, die jahrelang nicht miteinander redeten, sich bekämpften und Horthülsen aus hundert Jahren linker Geschichte um die Ohren schlugen.

Die Genossen aus der FAU stellten "ihr" Libertäres Zentrum bedingungslos zur Verfügung. Wir diskutierten gemeinsam unser vorgehen - keiner kam auf die Idee gegen andere etwas durchzusetzen - aber auch was wir wollen. Wir stellten fest das es dasselbe ist. Jeder konnte sich an den Diskussionen und konkreten Vorbereitungen beteiligen. Vieles lief chaotisch, aber solidarisch. Es entstand keine neue Funktionärsclique. Sprecher wurden nach einigen Tagen abgelöst und jeder wußte, wenn ein anderer jetzt an seine Stelle tritt, passiert genau das, was er will. Sprecher sagten wirklich das, was alle zu sagen hatten.

Am Montag und am Samstag war es Konsens unter allen die da waren, aufgrund einer gemeinsamen politischen Bewußtseinsbildung , daß wir versuchen werden zu demonstrieren und das zu sagen, was wir zu sagen haben, nämlich daß wir es politisch nicht für richtig halten an diesen Tagen die Innenstadt in Trümmer zu legen.

Am Montag fragte ein Grüner einen Genossen:"Habt ihr eure Leute unter Kontolle?" Wer so denkt, verlangt von uns, daß wir uns den herrschenden Gewaltverhältnissen unterwerfen. Wir können heute sagen: In den letzten Wochen zeigte sich der nicht mehr rückgängig zu machende Ansatz einer neuen Qualität von Widerstand hier in Frankfurt, der über das, was im Zentrum passiert ist, weit hinausgeht. Wir vermuten, daß die Herren des Morgengrauens diese Entwicklung sehr wohl mitbekommen haben. Wir wissen, das sie reagieren werden. Wir wissen nicht in welcher Form. Wir gehen davon aus, daß sie das Zentrum in der Kriegkstr. nicht lange zulassen wollen. Wir halten es für möglich, daß sie ähnlich wie bei ihrem Konstrukt des schwarzen Blocks, Leute einsperren und verfolgen werden; ausgesucht danach, wie sie glauben, am meisten Schrecken und Terror verbreiten zu können. Aber anders als damals sind wir darauf vorbereitet. Wir fürchten ihren Terror nicht. Das heißt nicht, daß wir keine Angst haben einzufahren. Wir wissen was wir getan haben und wir sagen: Es war richtig! und wir sagen: Wir werden zurückschlagen, unsere Geduld ist zu Ende.

Wir wissen, es wird in den nächsten Jahren eine Entscheidung geben: wir oder sie. Wenn in den nächsten Wochen oder Monaten Genossen verhaftet oder ermordet werden, das wollen wir jetzt schon klarstellen, treffen sie die Entscheidungen über das weitere Vorgehen. Die Leute, denen das passieren könnte sind die, die Auseinandersetungen in den letzten Tagen geführt haben, die versuchten anstatt bei der Obrigkeit zu protestieren ihre Sachen selbst in die Hand zu nehmen. Wir kennen nicht alle Genossen die daran beteiligt waren, wollen aber gern mit ihnen zusammenkommen. Das ist eine ganz klare Abgrenzung von denen die meinen, daß sie andere Leute verwalten müßten.

Das heißt nicht, daß andere Leute sich nicht dazu verhalten sollen. Wir haben nur keine Lust auf irgendwelche Bevormundungsversuche, wie bei der "Schwarzen Block" Konstruktion 1981.

Wenn von euch Leute meinen, es mache noch Sinn darauf zubestehen und es ließe sich durchsetzen, daß irgendjemand, nur für das, was man ihm nach den Vorschriften des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung nachweisen kann in den Knast gesteckt wird, dann sagt das laut. Es kann helfen zu verhindern, daß Leute einfahren. Behauptet aber nicht wir seien un schuldig. Wir werden verfolgtl weil wir gekämpft haben, weil wir uns bewußt nicht auf die Spielwiese bürgerlicher Grundrechte beschränkt haben.

Nach der Eierveranstaltung war das Gefühl da: Eier schmeißen war o.k. aber zu wenig. Deshalb t rafen sich auch mehr Leute als vorher die da meinten, daß eine eigene Stellungnahme gegenüber den Spontis nötig wäre, außerdem um unsere Meinung und Inhalte dazustellen. Die Frage: Wie geht's weiter?, war auch ein wesentlicher Punkt den viele mit vielen Leuten in größerem Rahmen besprechen wollten. Dies führte dazu eine eigene Veranstaltung zu machen. Der Vorbereitungsstreß war zu dieser Zeit jedoch immens. Wahr-scheinlich war auch das ein Grund, daß die gehaltenen Bei-träge zu lang und inhaltlich zu schwach waren. Obwohl unge-heuer viel Interesse (ca 600 Menschen) vorhanden war, ist es uns nicht gelungen inhaltlich soviel rüber zu schieben, daß eine Dikussion über Per-spektiven hätte stattfinden können. Die wenigen positiven Bemerkungen gingen dann auch noch in dem bekannten Gelaber irgendwelcher Splittergruppie-rungen unter.

Beitrag der Startbahn-BI

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