Zur juristischen Nicht-Verfolgung der NS-Verbrechen und zur Amnestie in den 50er Jahren

Rede auf der Demo für die Bestrafung der Täter des Massaker in Sant'Anna di Stazzema
gehalten am 5. Mai in Lißberg/Ortenberg (Wetterau)

Nachdem wir gerade gehört haben, was in Sant’Anna di Stazzema passiert ist, drängt sich eigentlich die Frage auf: Warum ist Heinrich Schendel ­ ebenso wie die anderen Mörder von Sant’Anna ­ nicht schon lange verurteilt und im Knast?

Die Antwort ist gleichermaßen erschreckend wie einfach: Weil Heinrich Schendel wie abertausende anderer NS-Verbrecher schon vor Jahrzehnten angeklagt gehört hätte, Antifaschisten und Linke in Deutschland sich in dieser Frage aber nicht durchsetzen konnten. Weil im Deutschland der 50er Jahre die Volksgemeinschaft in der Kumpanei mit den Tätern fortgewirkt hat, die deutsche Gesellschaft in ihrer Mehrheit allenfalls die Bestrafung der obersten NS-Führung geradeso tolerieren wollte. Weil alte Nazis wieder Macht und Ansehen hatten, während die gerade dem Schrecken der Konzentrationslager entkommenen Kommunistinnen und Kommunisten wieder verfolgt wurden. Weil Jüdinnen und Juden außerhalb von Festreden nur als Außenseiter toleriert wurden. Und weil Roma und Sinti weiterhin dem offenen Rassismus von Gesellschaft und Behörden ausgesetzt waren.

Im Folgenden werde ich etwas genauer die Geschichte der juristischen Verfolgung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland skizzieren. Anschließend zeige ich am Beispiel des Oberbefehlshabers der deutschen Truppen in Italien, Generalfeldmarschall Kesselring, wie die deutsche Gesellschaft die Freilassung der bereits verurteilten Wehrmachtsgeneräle durchgesetzt hat.

Justiz und NS-Verbrechen

Es wäre sicher vereinfachend, zu behaupten, es hätte nach dem 2. Weltkrieg keinerlei Verfolgung der NS-Verbrecher gegeben. Direkt nach ihrem Sieg über Deutschland begannen die Alliierten mit der Vorbereitung des Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozesses, in dem knapp zwei dutzend Nationalsozialisten verurteilt wurden, u.a. wegen Anzettelung eines Angriffskrieges und Verbrechen gegen die Menschheit. Die meisten von ihnen waren zuvor Mitglieder der Reichsregierung gewesen.

In den Nürnberger Nachfolgeprozessen 1949 wurden dann etwa 180 handverlesene Mitglieder der gesellschaftlichen Eliten des „1000jährigen Reiches“ angeklagt: Wirtschaftsführer und Kommandeure der Einsatzgruppen, Juristen, hohe Beamte aus den Ministerien, Juristen und Ärzte sowie Generäle der Wehrmacht wurden verurteilt. Schon zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Deutschen der Meinung, die Prozesse seien unfaire „Siegerjustiz“ und es solle doch endlich Schluss sein mit der Verfolgung der NS-Verbrechen. In der Abwehr der Schuld, steigerten sch die meisten Deutschen in eine Opferrolle hinein: Sie sahen sich als Opfer der Vertreibung, der Bombenangriffe, der Entnazifizierung und der juristischen Verfolgung der NS-Verbrechen. Völlig unverhohlen wurde für die Angeklagten Partei ergriffen. Lediglich für die Führer der Einsatzgruppen, unter deren Befehl in der Sowjetunion 100.000e Juden umgebracht worden waren, wollten sich außer offenen Nazis nur wenige einsetzen.

Von Richtern und Staatsanwälten, die zum größten Teil auch der nationalsozialistischen Rechtspflege gedient hatten, war natürlich kein großer Verfolgungseifer zu erwarten. Entsprechend selten wurden NS-Täter in den ersten Jahren der BRD vor Gericht gestellt. Der erste große NS-Prozess war der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958, der nur deshalb zu Stande kam, weil ein ehemaliger SS-Mann auf Wiedereinstellung in den Staatsdienst geklagt hatte. Sein groteskes zustande kommen zeigt deutlich, wie wenig intensiv bis dahin ermittelt wurde und wie sicher sich die Täter in der Bundesrepublik Deutschland fühlen konnten.

In der Folge des Ulmer Einsatzgruppenprozesses wurde dann die Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg gegründet. Die Ermittlungen wurden damit zentralisiert und zumindest etwas intensiviert. In den 60er und 70er Jahren fanden dann auch einige wichtige Prozesse statt, darunter am bekanntesten der Frankfurter Auschwitzprozess und der Majdanek-Prozess. Über die Prozesse wurde in der Presse breit berichtet, wodurch die zumindest von dem hessischen Generalstaatsanwalt Bauer gewünschte öffentliche Aufklärung durch die Prozesse zumindest teilweise erreicht wurde. Aber auch bei diesen Verfahren, so richtig sie waren, bleiben Probleme: Die verhängten Strafen waren zum Teil sehr niedrig, weil die Gerichte oft nur wegen „Beihilfe“ zum Mord verurteilten und nicht wegen Mordes. Außerdem gab es kaum Prozesse gegen die Schreibtischtäter. Deren Verfolgung wurde durch eine Gesetzesänderung im Jahr 1968 weiter erschwert und fast verunmöglicht.

Die skandalöse Bilanz der gerichtlichen Verfolgung von NS-Tätern in der Bundesrepublik Deutschland lautet:
Es wurden über 100.000 Ermittlungsverfahren und Vorverfahren eingeleitet. Ein großer Teil von der Zentralen Ermittlungsstelle in Ludwigsburg. Trotzdem gab es bis heute nur gut 6000 Verteilungen und nur etwa 150 Urteile auf lebenslänglich.

Kesselring und die kalte Amnestie für die Wehrnachtsgeneräle

Für die von den Alliierten Verurteilten deutschen Offiziere gab es Anfang der 50er Jahre eine massive Amnestie-Kampange von Presse und Politikern, die hier am Beispiel von Artikeln in Stern und Spiegel zugunsten des Oberbefehlshabers der deutschen Besatzer in Italien, Generalfeldmarschall Kesselring, dargestellt werden soll. Doch zunächst noch ein Befehl Kesselrings, damit ihr auch wisst, wer da zu einem italophilen Ehrenmann erklärt wurde:

„Jeder Ort in dem sich Banditen nachweisen lassen, in dem Anschläge auf deutsche oder italienische Soldaten … wird völlig niedergebrannt. DAaüberhinaus werden alle männlichen Einwohner des Ortes, die über 18 Jahre alt sind, erschossen. Die Frauen werden in Arbeitslagern interniert“

Unter anderem wegen solcher Befehle war Kesselring von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt, später aber zu 21 Jahren Haft begnadig worden. Die deutschen Nachrichtenmagazine sahen ihn aber zu unrecht verfolgt.

Der Spiegel verschweigt die verbrecherischen Befehle Kesselrings nicht. Insgesamt beschreibt er ihn 1951 aber als Oberbefehlshaber der „Künste“, der sogar einen regelrechten „italienischen Fimmel“ gehabt habe. Oftmals habe er sogar die Notwendigkeiten des Krieges hinter der Rettung von Kunstschätzen zurückgestellt. Er habe es nicht über sein Herz gebracht, gegen „Badoglios Lazaronis“ (Fehler im Original, Lazzaroni heißt Tagedieb, Lump). Insgesamt habe er eher zu mild als zu hart auf die Angiffe der Partisanen reagiert.

Noch härter formulierte es der Stern, der Kesselring gleich eine mehrteilige Serie widmete, deren unverschämte Überschrift „Nicht Gnade, sondern Recht,“ lautete. Das Urteil über Kesselring wird als „Rache“ bezeichnet. Unverblümt wird damit gedroht, dass die Deutschen nicht an der Verteidigung der Freiheit gegen die Sowjetunion teilnehmen könnten, solange Männer wie Kesselring in Haft wären. Ebenso wie der Spiegel stellt sich auch der Stern eindeutig auf die Seite der deutschen Soldaten im Kampf gegen die Resistenza. Deren städtische Aktionsgruppen werden als „rote SS“ bezeichnet. Für den Stern gibt es nur zwei wirkliche Kriegsverbrechen: Die Aktionen der Partisanen gegen die deutschen Besatzer und italienische Faschisten und die Inhaftierung von Kesselring und den andren Wehrmachtsgenerälen.

„Ein ‚Schwäche’“ so der Stern,  habe aber auch Kesselring gehabt: „Diese Schwäche hieß Italien. Er liebte das Land, er liebte die Menschen, er verehrte die stillen Stunden, die Werke dieser Menschen, die vor dem Krieg zu bewahren seine selbstgestellte Aufgabe war., die sich nur schwer mit den Pflichten eines Heerführers vereinbaren ließ.“

Zum Kontrast noch einmal zwei weitere Befehle Kesselrings, die ihn in einem anderen als dem milden Sonnenlicht von Stern und Spiegel zeigen:

„Ich werde jeden Führer decken, der in der Wahl und Schärfe des Mittels bei der Bekämpfung der Banden über das bei ns übliche zurückhaltende Maß hinausgeht…“

„Ich mache es allen Soldaten meines Befehlsbereichs zur Pflicht, , im Tatfall die schärfsten Mittel anzuwenden.“

Anzumerken bleibt nur noch, dass die Briten dem Drängen der deutschen Gesellschaft nachgaben und Kesselring im Juli 1952 aus der Haft entließen. Seine Begnadigung wurde mit einem angeblichen Kehlkopfkrebs begründet. Offensichtlich wollte die britische Regierung Unstimmigkeiten mit dem künftigen NATO-Partner Deutschland vor der Gründung der Bundeswehr aus dem Weg räumen.

Zu Bericht über die Demonstration in Ortenberg

Rede in Ortenberg zur deutschen "Entschädigungs"-Politik
Grusswort von Enio Mancini im Namen des Vereins der Märtyrer von Sant'Anna di Stazzema
Berichte vom bundesweiten Aktionstag "Die Mörder von Sant'Anna sind unter uns!"
Zum Aufuf Die Mörder von Sant‘Anna di Stazzema sind unter uns

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