An die VerfasserInnen und UnterstützerInnen des Papiers "Heile, heile Gänsje...". Der restlichen Welt zur Kenntnisnahme.

16 Fußnoten für den Frieden

Der Text bzieht sich auf den Text Heile, heile Gänsje... der Gruppe Morgenthau aus dem Jahr 2003. Voraugegangen waren ein tag "save israel" in der Au und daraufhin Schläge und Hausverweise gegen den Tagger und zwei weitere israelsolidarische Personen.

Liebe Leute (GenossInnen wollt ihr ja nicht mehr genannt werden),

einige von Euch hätten es sich denken können: wir fühlen uns von Eurem Papier "Heile, heile Gänsje..." angesprochen bzw. direkt adressiert. Als Postmoderne antinationale KommunistInnen reagieren wir natürlich auf bestimmte Schlüsselreize in pawlowscher Manier und bei Eurem Text lief uns förmlich das Wasser im Munde zusammen, weswegen wir des öfteren auch ausspucken mußten.

Nach der Lektüre Eures Papiers haben wir gelernt, worauf es Euch im Leben und in der Politik anzukommen scheint. Ihr habt uns wissen lassen, was Ihr nicht mögt: allseitige Toleranz; einen freundlichen Ton; Liberalismus; Positionen, die nebeneinander stehen; mit Leuten grillen und ein Bier trinken, die divergierende Ansichten haben; die kleinbürgerliche und die "linke Szene"-Familie1 ; Kritik, die nur scheinbar ist; Unklarheiten; Kompromisse; Fragen; wohlmeinende Aufklärung; Irrationales 2 ; Halbherzigkeiten; Kompromisse; Irrglauben; (Selbst-)Missverständnisse und den "Jargon der Differenziertheit und der Distanz zu allen 'Extremen' "3 usw. usf..

Wir finden die Sprache die Ihr gewählt habt reaktionär. Sie zeugt mehr von dem wohin Ihr anscheinend wollt, als die "Argumente", die Ihr für Euren Verdacht – wir würden die Kritik des Antisemitismus nicht ernst meinen - und Eure Forderung nach einem Bruch mit der "linken Szene-Familie"/dem "linken Diskurs"/der "linken Gemeinde"/whatever, vorbringt. Ihr sprecht die Sprache eines Schmittschen Dezisionismus, Ihr seht nur Situationen, die klar entschieden werden müssen. Ihr sprecht die Sprache der Rechten, denen es die Welt zu bunt treibt. Ihr sprecht die Sprache der Generäle, die Ihre Truppen auf den Kampf einschwören. Ihr sprecht die Sprache des dümmsten Partei-HistoMats, der nur objektive Situationen kennt, auf die es logisch-politisch nur eine Antwort gibt. Ihr sprecht die Sprache der Väter, die jetzt aber mal ordentlich auf den Tisch hauen wollen, Tacheles reden, mit Liebesentzug drohen und sich dabei höchst vergnügt die Eier schaukeln. Und Ihr sprecht die Sprache der Pfaffen, die der Welt Wahrheit verkünden und mit Hölle und Verdammnis drohen.
Was Euer Text stilistisch-inhaltlich aussagt, läßt sich in einem Wort zusammenfassen: Parteisoldatentum. Und katastrophaler Weise kann man der Sprache Eures Papiers ablauschen von welcher Partei wir nun Soldaten werden sollen: nicht einmal das läßt Eure Sprache offen, Ihr schließt alles und endlich auch Euch ab.4

Wir hätten noch ein paar Rückfragen an Euch: Ihr behauptet, daß man jetzt den Bruch5, da er irgendwie für Euch nötig zu sein scheint, betreiben soll? Warum? Was soll das bringen? Ich breche, Du brichst, er/sie/es bricht, schön und gut, aber: wir brechen?6 Um dann was zu tun? Ach ja, um die Linke, die nicht mit sich selbst brechen will, mit "theoretisch-praktischer Kritik zu belegen".7 Oha, oha. Der Unterschied läge praktisch wo genau zu dem, was wir mit dem "Für die Einen..." Papier intendieren? Wo ist denn nun der Gewinn, abgesehen von der ach so heroischen Geste des Bruchs, die eh nur funktioniert, wenn man sie immer und immer wieder vollzieht, sich also logisch auch immer und immer wieder aussöhnt?

Mit wem wollt Ihr eigentlich gegen Abschiebungen und Alltagsrassismus, gegen den antisemitischen Mainstream dieser Gesellschaft von Walser über Augstein bis zu Duisenberg oder gegen militante Nazis vorgehen, wenn selbst "die Autonomen" dabei als Bündnispartner ausfallen. Und was ist mit den ganzen anderen Scheiß-Verhältnissen? Die Versuche ein von der marginalen Restlinken abgekoppeltes und handlungsfähiges Netzwerk antideutscher Gruppen zu schaffen, sind unseres Wissens nach alle in sehr frühen Anfangsstadien am allseitigen vermeidbaren Sektierertum8 gescheitert und der Versuch der MigrantInnenorganisation von Café Morgenland u.a. scheint uns auch nach zwölf Jahren nur begrenzt interventionsfähig.9

Schließlich gibt es eine Reihe von Genossinnen und Genossen (darunter auch Antiimps), die wir als GesprächspartnerInnen schätzen, die uns zwingen, unsere Gedanken genauer zu formulieren, die wir mögen und mit denen wir weiterhin streiten und unser Bier trinken werden. (Vorsicht, Kuschelgefahr!) Und in der Tat ist es so, dass wir Differenzen mit diesen GenossInnen mitunter nur benennen und nicht ausdiskutieren. Manchmal weil wir sie in diesem Moment nicht so wichtig finden, manchmal, weil wir eine eskalierende Diskussion mit Menschen die wir gerne haben fürchten, sozusagen aus „Feigheit vor dem Freund“. Oder, daß wir zwar diskutieren und streiten, sich aber tatsächlich eine falsche Toleranz einschleicht.

Aber solchen Situationen sind wir nicht nur in der radikalen Linken ausgesetzt, dort wohl noch am wenigsten. Dieselben Probleme haben wir auf der Arbeit, wo ein guter Kollege plötzlich lautstark genau über Israel Bescheid zu wissen meint. Oder wenn die eigentlich ganz sympathische Tante der Freundin auf einem Familienfest plötzlich über den „Türken an und für sich“ herzieht. Nicht etwa, daß wir Rassismen und Antisemitismen in solchen Situationen einfach stehen ließen. Aber wir reagieren darauf allzu oft mit einer unangemessenen Nachsicht, um nicht den Eklat zu riskieren. Wir genügen unseren Ansprüchen zu unserer größten Unzufriedenheit nicht immer. Wir kennen unsere Unzulänglichkeiten in dieser Hinsicht wahrscheinlich besser als Ihr, die scheinbar keine solchen Probleme habt. Aber außer uns selbst zu mehr Risikobereitschaft in diesen Auseinandersetzungen zu ermahnen, fällt uns nicht viel ein, was wir ändern könnten. Vielleicht sind wir ja nicht Fighter genug...

Überhaupt: so wie wir "die Linke" verstehen, nämlich als leeres Eigentum10 , als Parenthese, oder als Bezeichnung, die nur im Spiel von Differenzen als relationale Kategorie Sinn ergibt11 , ist sie praktisch ein tertium und das gibt es bekanntlich nicht, zumindest nicht in dem Sinn, wie Ihr es denkt.

Aber um es nochmals so klar und deutlich zu machen, wie Ihr es haben wollt: Die Intention, die zumindest wir mit dem Papier "Für die Einen ist es ein tag usw." verfolgen, ist in erster Linie strategisch. Daß dabei der Geist der Schrift nicht unbedingt den Buchstaben entspricht, ist kalkuliert und bewußt hingenommen. Der Grund dafür liegt im Bereich des Strategischen - soweit, so unspektakulär - und der Rest geht in Kämpfen um Hegemonie auf, die wir natürlich anstreben. Ist klar. Und: wie Ihr wißt, ist dieses Papier ein Kompromiß, der sicherlich das Resultat von vielen unterschiedlichen Intentionen ist und damit wieder eine ganze Reihe von Verkettungs- und Interpretationsmöglichkeiten zuläßt. Na und? So ist das eben.

Auf der taktischen Ebene war es das Ziel, den Schläger und seine UnterstützerInnen zu isolieren, den Antisemitismus, der die Basis für die Schläge bildete, zu attackieren (oder unseretwegen auch zu skandalisieren) und dadurch die körperliche Unversehrtheit proisraelischer Linker im EX und in der Au in Zukunft zu gewährleisten.12 Und wenn uns das nicht gelingt, liegt das u.a. daran, daß zu wenige Gruppen und Einzelpersonen unsere Erklärung unterstützt haben. Unsere Niederlage wäre aber auch dann nur eine temporäre und keine Endgültige.13
Ansonsten reiht Ihr in Eurem Text recht uninspiriert eine ganze Liste von Punkten auf – "linke Räume"14 , Handlungsintention geht nicht immer adäquat in der Praxis auf15, usw. -, die sich nicht durch den von Euch kritisierten Text decken lassen. Übrig bleibt ein Verdacht. Und die Logik des Verdachts braucht auch keine Gründe mehr, sondern höchstens noch Indizien und was Indiz ist und was nicht, darüber läßt sich unter dem Kuratel des Verdachts bekanntlich schlecht rechten. Also versucht Ihr nicht qua argumentum ad rem zu überzeugen, sondern übt Euch in Distinktionsspielchen und streut Zeichen aus, die irgendwie die letzten drei Idioten appealling and touchy finden sollen, damit man gemeinsam vor sich hinbrechen kann. Irritiert es Euch, wenn wir dieser Vorstellung nur wenig Attraktives abgewinnen können? Wenn wir strikt gegen eine Politik des Verdachts sind? Und dann wollt Ihr auch noch, daß wir uns von Positionen die wir falsch finden, nicht überall dort distanzieren, wo es uns in den Kram paßt. Warum? Weil wir wem was in die Hände spielen? Nö, wir werden uns vorbehalten auch weiterhin A zu sagen und Euer B, wenn wir es falsch finden, abzulehnen. Denn mit diesem Zwang zur Konsequenz haben wir gründlich gebrochen, da er uns schlicht und einfach ankotzt.16

An diesem Punkt hegen wir wiederum einen gut durch Euren Text belegten Vorbehalt: Ihr könnt das alles nur wollen, weil Ihr ganz fürchterlich Sehnsucht nach einer (linken) Familie habt. Nicht wir wollen die linke Familie, ihr wollt sie und zwar heftig und nach kleinbürgerlich-autoritärem Zuschnitt. Für uns hingegen – wir wiederholen uns oft und gerne – ist der Signifikant "Linke" immer schon etwas gewesen, was historisch-empirisch und analytisch eine Vielfalt an differenten (Oh Scheiße, Differenziertheit) Signifikaten hat. Deswegen können wir uns auch ohne größere Probleme in dieser verstreuten Linken bewegen, da wir hier eben genau die Positionen vertreten, wie sonstwo auch. Plus der kleinen, aber feinen Option eines postulierten Minimalanspruchs, daß Unterdrückungsverhältnisse - Verhältnisse, die ungerecht und/oder demütigend sind usw. – abzulehnen sind. Ihr hingegen wollt es mollig warm, ohne Widersprüche und substanzielle Auseinandersetzungen und wenn das politische Leben sich schwieriger und komplizierter gestaltet, als Ihr das wollt, dann seid Ihr eingeschnappt und wollt ganz schön kräftig radikal brechen. Ihr wollt das alles so, nicht wir: Ihr könnt nicht ernsthaft glauben, daß wir für Euch die Leinwand mimen? Und in Eurem unbändigem Verlangen ein Fehl zu rekonstituieren, was nicht zu (re-)konstituieren ist, haut Ihr auf die Scheiße wie ein frühpubertäres Infans. Bravo, Traumleistung.

Damit hätten wir alles gesagt, was zu Eurem Papier zu sagen wäre.

Mit freundlichen Grüßen

Eure Gruppe PanK.

August 2003

Fußnoten:

1 Ihr erwähnt das so oft mit der Familie: war es schwierig, früher? zurück zum Text
2 Also auch: Gefühle, Begierden, ja? zurück zum Text
3 Diese Formulierung fanden wir derartig abstoßend, daß wir sie lieber eindeutig (da steht ihr ja drauf) als Zitat kennzeichnen. zurück zum Text
4 Ihr fahrt doch sicherlich mehr oder weniger auf Moishe Postone ab, oder? Was war doch gleich noch für ihn das zentrale Denkschema des nationalsozialistischen Antisemitismus? Das hatte doch auch irgendwas mit der negativen Konnotierung alles Abstrakten zu tun.... Das kennt Ihr. Wieso bitte schreibt Ihr dann so eine Scheiße, die vielem zuwiderläuft wofür Ihr eintretet? Und wie sollen wir jetzt weiterhin mit Eurem Text umgehen? zurück zum Text
5 Entschuldigung, aber: wie billig. Die Linke ist wirklich toll, man kann quasi performativ ein- und austreten wie es beliebt, kosten tut es ja nichts. Interessant wird es für uns erst dort, wo Leute riskant rebellieren und nicht nur ihre Bauchschmerzen kultivieren. Im übrigen: wie kann man eigentlich mit jemandem brechen, mit dem man nie etwa zu tun gehabt hat? zurück zum Text
6 Gemeinsam? Igitt. zurück zum Text
7 Oh, Ihr Großmäuler. Wir wissen ja nicht, was Ihr so in der Regel machen würdet, wenn Ihr das abkriegt, was man in der Regel abbekommt, wenn man "belegt" wird. Wir zumindest, würden klugerweise im nächst besten Schützengraben Deckung vor dem Bombardement suchen. zurück zum Text
8 Wie war das doch gleich? Die antideutsche Partei gründen und ordentlich auf die Fresse kacheln, weil die Wirklichkeit mal wieder nicht so will, wie die ParteiaspirantInnen?zurück zum Text
9 Dabei soll nicht übersehen werden, dass die GenossInnen von Café Morgenland, im Gegensatz zu Euch, tatsächlich lange Zeit Teil der autonomen Szene waren, bevor sie aus z.B. dem EX vertrieben wurden und es in dieser Linken schließlich nicht mehr aushielten. Auch hat Café Morgenland, im Gegensatz zu den meisten von Euch, immer wieder Initiativen versucht, um die Sicherheit der hier lebenden MigrantInnen, Flüchtlinge und JüdInnen zu gewährleisten und die deutsche Mehrheitsgesellschaft "ideologie-kritisch" (Yeah!) wie praktisch anzugreifen. Hier geht es uns nicht darum Café Morgenland zu hypen – dazu sind unsere Ansichten und Positionen zu divergierend –, sondern den Punkt zu benennen, daß uns "Kritische Theorie" insgesamt zu wenig ist und wir uns nach wie vor – das z.B. teilen wir mit einer Reihe von autonomen Linksradikalen – die Option für militante Attacken auf Antisemiten und anderes Pack gerne vorbehalten. Darüber hinaus – und das hat etwas mit Erfahrung zu tun – finden wir Leute einfach lächerlich, die ihre "linke Phase" damit beginnen, daß sie ganz genau über "die Linke" Bescheid zu wissen meinen. Ach, Freunde, die ihr gesichert seid/Warum so feindlich? zurück zum Text
10 Diese Ansicht ist auch nicht exklusiv unsere, die wir uns etwa durch mühselige Studien zwecks maximalen Distinktionsgewinns zurechtgelegt haben: das teilen, rubriziert unter andere Begriffe, recht viele Linke. zurück zum Text
11 In diesem Sinne kämpfen wir auch für gesellschaftliche Verhältnisse, in denen sich das Kämpfen endlich erledigt hat. So richtig bocken tut es nämlich nicht. zurück zum Text
12 Dabei wenden wir uns natürlich nicht nur an den antideutschen Mikrokosmos. zurück zum Text
13 Unsere Niederlagen nämlich/Beweisen nichts, als das wir zu/Wenige sind/Die gegen die Gemeinheit kämpfen/ Und von den Zuschauern erwarten wir/Daß sie wenigstens beschämt sind. (Bert Brecht, Gegen die Objektiven) zurück zum Text
14 Ach was, Ihr schreibt gegen den „Fetisch Raum“ an, den die Linke also haben soll und haltet die Erkenntnis entgegen, es würde sich doch schließlich um die Leute handeln, die sich in diesen Räumen bewegen. Sagt bloß! Das nennen wir mal praktische Aufklärung! Wunderbar, nun sind wir alle ein bisschen klüger geworden. zurück zum Text
15 Was Wunder! zurück zum Text
16 Wir können von dieser Bruch-Rhetorik nicht lassen, sie erinnert uns zu sehr an die „Die antiimperialistische Front aufbauen!“-Diskussionen der 80er. Der Unterschied läge dann aber darin, daß es damals im Vergleich zu heute allen Beteiligten um die Initiierung revolutionärer Prozesse ging.zurück zum Text

 

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