Autonome und antiimperialistische Rede auf der Trauerfeier für Peter Gingold

Die Reden wurden abwechselnd von einem autonomen Antifaschisten und einer Genossin aus dem antiimperialistischen Widerstand gehalten

Autonomer Antifaschist:
Zuerst möchte ich im Namen der Frankfurter Autonomen Antifaschistinnen und Antifaschisten, für die ich heute hier spreche, Peters Familie unser Beileid aussprechen.

Am 28. September 1985 habe ich Peter auf einer Kundgebung in der Frankenallee im Gallus zum ersten Mal reden hören. Ich war 19 und unglaublich beeindruckt, dass ein 70-jähriger auf einer Kundgebung gegen die NPD spricht. Und wie er gesprochen hat! Er vermittelte mir das Gefühl, nicht alleine und geschichtslos als Linke in einer uns mehr oder weniger feindlichen gesinnten Gesellschaft zu leben. Zum ersten Mal sah ich einen Menschen in diesem Alter in der BRD, von dem ich nicht überlegen musste, wie tief er wohl in die Verbrechen des NS verstrickt war. Da stand ein alter Mann, der von sich sagte: “Ich bin Kommunist!“ Kommunismus war also doch eine konkrete Lebensperspektive.

So begegnete er uns immer wieder.

Die 90er Jahre waren geprägt vom Erstarken eines militanten Straßenfaschismus und aggressiven Rassismus. Konnte ein demokratisches, bürgerlich-antifaschistisches Spektrum noch zu besonders schlimmen Ereignissen mobilisiert werden, um sein Entsetzen zu bekunden, so waren antifaschistische Jugendliche, autonome AntifaschistInnen, radikale Linke und MigrantInnen in zahlreichen, alltäglichen Auseinandersetzungen auf der Straße auf sich alleine gestellt. Peter haben wir als einen der wenigen kennen gelernt, der, obwohl er alleine unter Zwanzig- bis Dreißigjährigen war, an seiner antifaschistischen Praxis festhielt. Wir sind ihm dankbar für den Respekt den er uns entgegenbrachte, weil wir bereit waren, den Nazis entgegenzutreten, ihre Aktionen zu verhindern und sie anzugreifen. Dieser Einsatz und die Bereitschaft, als mutige Minderheit ohne Aussicht auf gesellschaftliche Anerkennung zu agieren, verbanden uns mit ihm.

Als 2001 und in den folgenden zwei Jahren, Nazis der Freien Kameradschaften versuchten, am 1. Mai durch Frankfurt zu marschieren, hat er nicht nur auf dem Römerberg gesprochen. Er hat mit uns den Aufmarsch der Faschisten verhindert. Durch sein Eintreten mit seiner ganzen Person, seine Rede von Angesicht zu Angesicht, gab Peter das menschliche und politische Erbe der Generation weiter, die international gegen die faschistische Barbarei gekämpft hat.

Antiimperialistin:
„Neugierig und in Bewegung bleiben!“ - sein Motto und sein Ratschlag an Jung und Alt. Da trafen ihn einige von uns – auch an Orten, die für Kommunistinnen und Kommunisten seiner Partei und Generation nicht mehr selbstverständlich ein Ort der Begegnung waren: im Knast, im Hochsicherheitsbereich für politische Gefangene. Denn, wie nur wenige andere, konnte und wollte er solidarisch sein auch ohne Übereinstimmung in den Mitteln des Kampfes um Befreiung.

So nahm er Teil an der Kampagne für die Freilassung der Gefangenen aus RAF und Widerstand. Sprichwörtlich wurde seine Begründung: „Als ich damals mit dem Fahrrad...“ Damals, Ende der 20er Jahre geriet er auf dem Weg zu seiner Lehrstelle in eine kommunistische Demonstration, die sich für das Leben und die Freiheit von Sacco und Vanzetti einsetzte: Sich hier einsetzen für Leute irgendwo auf der Welt - diejenigen, die so was machen, müssen gute Leute sein.

Internationale Solidarität, Eintreten für politische Gefangene - das, so sagte er, ist Maßstab, an dem Kommunistinnen und Kommunisten, die Linke überhaupt, gemessen werden. So ging er hier in den Knast, so nahm er teil an Demonstrationen für Mumia Abu-Jamal, so ließ er sich bewusst und entschieden mit der Fahne der kurdischen PKK ablichten, als diese verboten wurde.

In Besuchen bei Gefangenen aus der militanten Linken, in Spezialzellen, hinter der Trennscheibe, vermittelte er seine Überzeugung, dass es immer einen Ausweg gibt, der Maschine, die einen vernichten will, zu entkommen. Auch, wenn zwischen seinen und unseren Erfahrungen Welten lagen.

Autonomer Antifaschist:
Ab 1997 stießen autonome Antifagruppen verstärkt zu den Protestveranstaltungen von ehemaligen ZwangsarbeiterInnen, VVN und anderen politischen Gruppen gegen die Aktionärsversammlungen der IG Farben. Für Peter war es unerträglich, dass mehr als fünfzig Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus die Profiteure der Zwangsarbeit nicht zur Rechenschaft gezogen worden waren. Beharrlich hatten nur wenige immer wieder die Forderung nach Entschädigung gestellt. Peter war einer von ihnen. Wir waren uns unserer unzureichenden bisherigen Solidarität und Unterstützung dieser Forderung bewusst. Die gegenseitige Annäherung im Bündnis mit den Überlebenden war nicht einfach, und von der Gewissheit geprägt, dass es eine Wiedergutmachung nicht geben kann. Peter war einer derjenigen, die durch ihre Offenheit ermöglicht haben, dass sich so verschiedene Menschen in einer Kampagne zusammenfinden konnten.

Wir waren mit ihm nicht immer einer Meinung. Wir hatten uns für andere Organisierungsformen entschieden. Er bedauerte das, aber respektierte uns als GenossInnen und Freunde. Er ist nie missionarisch aufgetreten. Er ist uns in Debatten mit einer gehörigen Portion Selbstironie begegnet, so dass wir auch herzlich lachen und unsere unterschiedlichen Vorstellungen mit Humor betrachten konnten.

Peter ist mehrmals mit uns nach Mittenwald gefahren, um gegen das Pfingsttreffen der Gebirgsjäger zu protestieren. Er hat dort nicht allein auf dem Podium gesessen, um von seiner Zeit in der Résistance zu berichten. Das war nicht seine Art. Er hat selbstverständlich auch an der Demonstration teilgenommen. Demonstrationen in Mittenwald sind alles andere als ein Spaziergang. In einem Ort, der sich so mit den Mördern unterm Edelweiß verbunden fühlt, wird auch gerne mal der Deutsche Gruß gezeigt oder mit Vergasung gedroht. Als es 2005, nach der Festnahme eines jungen Antifas, zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei kam, tauchte plötzlich Peter mitten im Getümmel auf. Die Bitte, nach hinten zu gehen wischte er ärgerlich mit den Worten: „Ich brauche keine Aufpasser!“ weg. Es ist nicht schwer sich vorzustellen, wie schwierig es war, ihn davon zu überzeugen, etwas aus dem Zentrum des Geschehens zurückzutreten.

Letzten Herbst sprach er wieder auf der Frankenallee. Diesmal zum zwanzigsten Todestag von Günter Sare. Dem Mann, der auf derselben Demonstration mit einem Wasserwerfer getötet wurde, auf der ich Peter das erste Mal habe sprechen hören. Diese Kundgebung gab auch der Jugendantifa noch mal die Gelegenheit, linke Geschichte aus erster Hand zu erfahren und dabei Peters Begeisterung, sein Lachen und seinen Kampfgeist zu erleben.

Er wird fehlen.

Anmerkung der Redaktion:

Peter Gingold starb am 29. Oktober 2006 in Frankfurt.

siehe auch den

Nachruf autonomer AntifaschistInnen, dort finden sich auch zahlreiche Links zu Reden, Interviews und Artikeln von, mit und über Peter Gingold und zu ein paar Fotos und Filmen

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