Am kommenden Wochenende beginnen in Hessen die Sommerferien. In der Regel ist dies für Schülerinnen und Schüler ein Grund zu feiern – doch dieses Jahr wird die Stimmung durch die Angst um einige ihrer Klassenkameraden getrübt: Es steht zu befürchten, dass im neuen Schuljahr einige Plätze in den Klassenzimmern leer bleiben werden, weil die Kinder und Jugendlichen zusammen mit ihren Eltern abgeschoben wurden. Die Sommerferien sind für Abschiebungen in doppelter Hinsicht bedeutsam: Zum einen bekommen Familien mit Kindern oft noch einen letzten „Aufschub“, damit diese das Schuljahr beenden können, zum anderen müssen die Behörden in den Ferien mit weniger Protesten rechnen.
Für den nächsten Donnerstag rufen daher Schüler- und Elternverbände, kirchliche Gruppen und Flüchtlingsinitiativen zu einer Theateraktion und Kundgebung um 15 Uhr auf dem Frankfurter Römer auf, mit der sie einen sofortigen Abschiebungsstopp für geduldete Flüchtlinge fordern. Auf der Kundgebung wird neben Schüler- und Elternvertretern auch ein Delegierter des französischen Netzwerks „Education sans frontières“ sprechen, das derzeit in vielen französischen Städten Proteste gegen die Abschiebung von Schülern organisiert.
Im kommenden November wird die Innenministerkonferenz aller Wahrscheinlichkeit nach eine Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge erlassen – auch Hessens Innenminister Volker Bouffier hat hierfür einen Vorschlag vorgelegt, der einen sicheren Aufenthaltstitel für Geduldete vorsieht, die seit sechs Jahren in Deutschland leben und hier integriert sind.
Um so unverständlicher erscheint es, dass für diesen Personenkreis kein Abschiebungsstopp bis zur IMK erlassen wird. Der Innenminister hat nach dem Aufenthaltsgesetz die Möglichkeit, Abschiebungen für bestimmte Personengruppen bis zu sechs Monate lang aussetzen.
„Es wäre absurd, jetzt noch gut integrierte Menschen abzuschieben, die in ein paar Monaten von einer Bleiberechtsregelung profitieren würden – der Innenminister hat die Möglichkeit, dies zu verhindern, er muss sie nur wahrnehmen“ kommentierte Christian Hendrichs, Vorsitzender des Hessischen Flüchtlingsrates, die Situation.
Auch die Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt hat sich – wie bereits viele andere hessische Kommunen – mit großer Mehrheit für einen solchen Abschiebungsstopp ausgesprochen.
In Hessen leben etwa 15.000 Menschen, die lediglich geduldet sind, 10.000 von ihnen schon seit mindestens fünf Jahren. Die meisten von ihnen kommen aus Krisengebieten wie den Staaten des ehemaligen Jugoslawien, Afghanistan, den kurdischen Gebieten der Türkei oder dem Irak. Sie sind hier integriert und haben hier trotz der widrigen Bedingungen, die ein Leben mit Duldung bedeutet, ihren Lebensmittelpunkt gefunden. Besonders betroffen sind in diesen Fällen die Kinder, die hier aufgewachsen sind und ihr so genanntes Heimatland oft nur vom Hörensagen kennen. Im Falle einer Abschiebung stünden sie buchstäblich vor dem Nichts.
Trotzdem wird in der letzten Zeit vermehrt in ebenjene Krisengebiete abgeschoben und selbst Flüchtlingen, die bislang einen sicheren Aufenthaltstitel hatten, dieser mit dem Verweis auf die „veränderte Lage im Herkunftsland“ wieder entzogen. Allein aus Frankfurt wurden im letzten Jahr über 800 Menschen abgeschoben, aus ganz Hessen waren es über 2000.
Wie dringlich ein solcher Abschiebungsstopp ist, führte in den letzten Tagen auch das Schicksal des jungen Kurden Serif Akbulut vor Augen, der seit über acht Jahren mit seiner Familie im Main-Kinzig-Kreis lebte und am vergangenen Freitag allein in die Türkei abgeschoben werden sollte, ein Land, an das er allenfalls Kindheitserinnerungen hat und in dem er keine Angehörigen und keine Perspektive hat. Die Abschiebung scheiterte, da sich der Pilot weigerte, ihn mitzunehmen. Seitdem sitzt er in Abschiebungshaft, obwohl er in ein paar Monaten wahrscheinlich ein Bleiberecht erhalten würde.