Die kurdische Familie Akbulut war 1998 vor politischer Verfolgung aus der Türkei geflohen. Vater, Mutter und Sohn leben nun seit etwa 8 Jahren in Deutschland. In Sicherheit? Nein, denn die zuständigen Behörden wollen diese Familie mit allen Mitteln abschieben ...
Die behandelnden Fachärzte für Psychiatrie und ein
von Psychologen erstelltes Fachgutachten kommen
zum gleichen Ergebnis: Frau Fatma Akbulut ist offensichtlich
in Folge der in der Türkei erlebten Folterungen
schwer traumatisiert. Die seit Jahren drohende
Abschiebung hat diesen Prozess weiter verschärft
und sie erträgt ihr Leben nur noch mit Hilfe starker
Medikamente. Es wäre mehr als verantwortungslos,
sie und ihre Familie in die Türkei abzuschieben.
In einer mündlichen Verhandlung am Verwaltungsgericht
in Frankfurt hatte auch der zuständige Richter
den Eindruck gewonnen, dass angesichts des Gesundheitszustandes
ein „Vollstreckungshindernis“
für die Abschiebung
„im Raum
steht“. Spätestens
hiermit hätte sich den
Behörden die Möglichkeit
geboten, der
dramatischen Situation
ein Ende zu bereiten
und Frau Akbulut,
ihrem an Depressionen
und schwerem
Asthma leidenden
Ehemann sowie ihrem
sie versorgenden
Sohn Şerif ein Aufenthaltsrecht
zu erteilen.
War es zunächst die Ausländerbehörde des Main-Kinzig-Kreises, die sich einer Bleiberechtslösung verweigerte, liegt es nun vor allem in der neu geschaffenen Zentralen Ausländerbehörde beim Regierungspräsidium in Darmstadt, dass daran festgehalten wird, die Familie mit allen verfügbaren Mitteln außer Landes zu schaffen. Angedroht wird die gewaltsame Abschiebung mit ärztlicher Begleitung. Und es scheint kein Zufall, dass sich die zuständigen Ausländerbehörden bislang sogar weigern, ein amtsärztliches Gutachten zu erstellen. Offensichtlich befürchten sie, dass der Amtsarzt auch zu dem Ergebnis käme, dass eine Abschiebung nicht zu verantworten ist.
Erfahrungen der jüngsten Zeit mit so genannten
Sammelabschiebungen belegen eine fortschreitende
Brutalisierung der „aufenthaltsbeendenden Maßnahmen“.
Sie finden
unter Ausschluss jeglicherÖffentlichkeit
mittels eigens dafür
gecharterten Flugzeugen
statt, und von
der Bundespolizei
eigens für diese Flüge
angestellte Ärzte
legitimieren in Gefälligkeitsgutachten
die „Reisefähigkeit“
der betroffenen Menschen.
Deshalb steht auch im
Fall der Familie Akbulut
zu befürchten, dass
die zuständige Ausländerbehörde
versuchen
wird, die Familie
mit polizeilicher Gewalt
zum Flughafen
zu bringen und Fatma
Akbulut mit einem solchen
Gutachten und
notfalls per „Liegendabschiebung“
und mit
Beruhigungsmitteln
vollgepumpt ins Flugzeug
zu zwingen.
Ständig ist in den letzten Jahren von Integration die Rede, aber wie sollen sich Menschen wie das Ehepaar Akbulut, krank aufgrund der Verfolgung und krank aus Angst vor der Abschiebung, hier integrieren? Durch das Zusammenspiel von Politik und Behörden wird dies unmöglich gemacht. Ihr 20jähriger Sohn Şerif dagegen - er lebt seit seinem 12. Lebensjahr in Deutschland und muss sich, seit er 15 ist, um sämtliche Belange der Familie kümmern - er hat das nahezu Unmögliche geschafft: trotz aller widrigen Bedingungen hat er sich integriert, spricht perfekt die deutsche Sprache, hat einen guten Schulabschluss und ist bei den lokalen Fußballvereinen als Spieler begehrt. Nur eins hat er nicht geschafft: den Unterhalt für seine arbeitsunfähigen Eltern und sich selbst mit einem eigenen Job zu bestreiten. Denn trotz mehrerer Angebote von Arbeitgebern wurde ihm von der zuständigen Arbeitsagentur nicht einmal ein 2-Stunden- Job erlaubt. Das ist Integrationsverweigerung von oben!
Während alle Welt im Fussballrausch scheint und sich Deutschland als besonders netter Gastgeber zu präsentieren versucht, geht der Abschiebeterror unvermindert weiter. Menschen werden frühmorgens in ihren Wohnungen von der Polizei regelrecht überfallen, zum Flughafen gekarrt und mit allen Mitteln abgeschoben. Genau das droht nun nicht nur der Familie Akbulut. In Deutschland leben etwa 200.000 Menschen, die lediglich „geduldet“ sind, in Hessen sind es mehr als 15.000. Die weitaus meisten leben seit mehr als 5 Jahren hier, viele mehr als 10 und manche sogar seit über 15 Jahren. Sie waren vor Krieg, Verfolgung, Unsicherheit gefl ohen, haben sich nun hier integriert und haben hier ihre Freunde. Die Kinder sprechen oft besser Deutsch als die Sprache des Landes, das sie zum Teil nur vom Hörensagen kennen, und das doch nach Ansicht der Behörden ihr Heimatland ist. Obwohl sie Teil dieser Gesellschaft sind, werden ihnen grundlegende Rechte vorenthalten und sie müssen ständig mit der Angst leben, abgeschoben zu werden.
Bereits seit Jahren von vielen gesellschaftlichen
Gruppen gefordert und in der Politik auch diskutiert,
konnten sich die verantwortlichen Innenminister noch
immer nicht auf eine Bleiberechtsregelung für langjährig
Geduldete einigen. Im November, so scheint
es, soll nun eine Entscheidung fallen. Es steht aber
zu befürchten, dass nur eine sog. neue „Altfallregelung“
beschlossen wird, die von den Betroffenen jahrelange
Erwerbstätigkeit und völlige Unabhängigkeit
von Sozialleistungen fordert. Doch viele Flüchtlinge
sind sehr krank oder wie Frau Akbulut traumatisiert,
zudem wird es „Geduldeten“ zumeist schon aus
rechtlichen Gründen unmöglich gemacht ein Arbeitsplatzangebot
wahrzunehmen.
Es braucht also eine Bleiberechtsregelung, die diesen Namen auch verdient, die sich an den Menschen und ihren jeweiligen Schicksalen orientiert! Zudem setzen die Behörden, wie im Fall der Familie Akbulut, nun alles daran, Familien noch abzuschieben, bevor eine Bleiberechtsregelung im November in Kraft tritt, mit der diese einen Aufenthaltsrecht erhalten könnten. Es wäre aber das Mindeste, dass die zuständigen Ministerien und Behörden nun ein Moratorium veranlassen, einen Abschiebestopp zumindest denen gegenüber, die lange Jahre in Deutschland leben und von der kommenden Bleiberechtsregelung betroffen sein könnten. Der Fall der Familie Akbulut aus Schlüchtern ist insofern ein konkretes Beispiel: ihnen droht täglich die Abschiebung, obwohl sie zum Kreis der langjährig Geduldeten gehören, die im November ein Bleiberecht erhalten könnten.
Anmerkung von antifa.frnkfurt.org: Das Flugblat war ursprünglich zur Mobilisierung zu den Informationsveranstaltungen gegen Anschiebungen im allgemeinen und gegen die Abschiebung der FAmilie Akbulut im besonderen am 4. und 5. Juli in der Katrinenkirche.