Der 20jährige Kurde Serif Akbulut sollte am Freitag den 7. Juli 2006 abgeschoben werden. Im Morgengrauen wurde er im Wohnheim Hof Reith in Schlüchtern abgeholt. Er hat seine Abschiebung in einem Flugzeug der Turkish Airlines an diesem Tag selbst verhindert. Er ist aufgestanden und hat sich geweigert zu fliegen und verlangt mit dem Pilot zu sprechen. Daraufhin wurde er wieder aus dem Flugzeug gebracht.
Serif sitzt seitdem in Abschiebehaft, jeden Tag bis zu 23 Stunden eingeschlossen in einer Einzelzelle, obwohl er niemandem etwas angetan oder irgendetwas „verbrochen“ hat. Zunächst in der JVA Frankfurt-Preungesheim, da wahrscheinlich befürchtet wurde, er könne im Abschiebeknast Offenbach zu viele Nachahmer finden. Nach einer Solidaritäts-Demonstration von knapp hundert Familienangehörigen, FreundInnen und UnterstützerInnen in Preungesheim wurde er in die Jugendhaftanstalt Wiesbaden verlegt. Seitdem wird eine intensive Solidaritätskampagne geführt. Serif Akbulut und seine Familie sind mittlerweile zum Skandalfall geworden. Seitdem Serif in Abschiebehaft sitzt, überschlagen sich die Ereignisse. Inzwischen ist es ihm gelungen, zwei weitere Abschiebeversuche abzuwehren (Stand 12.08.06). Vor allem der letzte Abschiebversuch in einer Maschine der Lufthansa verlief seitens der dafür zuständigen Bundespolizei gewaltsam. Serif wurde mit Klettbändern gefesselt an Bord gebracht, ihm wurde nicht nur gedroht, er wurde auch gewürgt und geschlagen, seine Finger wurden verdreht bis sie blutunterlaufen waren. Nach diesem letzten Abschiebeversuch wurde Serif wieder in die JVA Preungesheim gebracht.
In allen drei Fällen waren es letztlich die Piloten, die sich geweigert haben, ihn mitzunehmen. Das Regierungspräsidium in Darmstadt dagegen, welches für die Abschiebung federführend ist, hat nun die Verlängerung der Abschiebehaft um weitere sechs Monate beantragt. Obwohl von verschiedenen Seiten die Befürchtung einer weiteren Eskalation bei neuerlichen Abschiebeversuchen zum Ausdruck gebracht wurde. Und trotz der eindrücklichen Erinnerung an zwei Todesfälle, die es in den vergangenen Jahren bei Abschiebungen gegeben hatte.
Mittlerweile kündigt das Regierungspräsidium an, ihn in einer Chartermaschine abschieben zu wollen. Alle sechs Wochen fliegen solche extra für Abschiebungen gecharterten Flugzeuge von Düsseldorf aus in die Türkei, an Bord sind nur Menschen, die sich bereits mehrfach erfolgreich gegen ihre Abschiebung zur Wehr gesetzt haben, zusammengesammelt aus ganz Deutschland, sowie begleitendes Sicherheitspersonal.
Serifs Fall ist in Hessen zum Präzedenzfall geworden: offensichtlich soll hier ein Exempel statuiert werden und die Behörden wollen nicht nachgeben – der Preis ist dabei offensichtlich egal. Sowohl der faktische Preis: denn von den Kosten der Abschiebehaft sowie der Abschiebeversuche könnten mittlerweile mehrere Personen das restliche Jahr leben. Als auch um den Preis jeglicher Menschlichkeit.
Das Bündnis für Bleiberecht und zahlreiche andere UnterstützerInnen fordern daher die sofortige Freilassung und einen Abschiebestopp für Serif Akbulut und ein Bleiberecht für ihn und seine Familie.
Serif Akbulut und seine Familie sind von Beginn an Teil des Bleiberechtbündnisses in Hanau. Die Familie Akbulut steht für eine ganze Reihe weiterer Familien, die lange Jahre hier leben und möglicherweise unter eine Bleiberechtsregelung fallen könnten, die bei der Innenministerkonferenz im November in Nürnberg beschlossen werden soll. Diese Regelung ist zwar in Aussicht, doch ob und wie vielen der bundesweit 200.000 "Geduldeten" sie einen Aufenthalt bescheren wird, ist offen. Denn die Behörden setzen offensichtlich alles daran, auch Familien, die von einer kommenden Bleiberechtsregelung profitieren könnten, jetzt noch so schnell wie möglich abzuschieben. In Hanau haben sich daher 17 von Abschiebung bedrohte Familien wie die Akbuluts zum Bündnis für Bleiberecht zusammengeschlossen. Am 3. und 4. Juli fand, wenige Tage vor dem Abschiebeversuch, in der Katharinenkirche an der Frankfurter Hauptwache eine gemeinsame Aktion für die Familie Akbulut statt, die zu diesem Zeitpunkt die am stärksten bedrohte Familie war.
Bereits am Wochenende zuvor hatte Serif Akbulut gemeinsam mit seinem Team „Bleiberecht Hanau“ das antirassistische Fussballtunier in Frankfurt-Rödelheim gewonnen und war auf einer Demonstration in Frankfurt anlässlich der Fussball-WM als Redner aufgetreten, wo mit Bezugnahme auf das Motto der WM zahlreiche Transparente mit dem Slogan „Freunde schieben nicht ab!“ und „Deutschland – Abschiebeweltmeister!“ zu sehen waren.
Die wichtigste aktuelle Forderung des Bündnisses für Bleiberecht und vieler anderer Initiativen in Hessen ist die eines sogenannten Moratoriums. Das hessische Innenministerium soll einen Abschiebestopp zumindest für all diejenigen beschließen, die im Sinne des Vorschlags des hessischen Innenministers Bouffier unter eine solche Regelung fallen könnten. Fast alle Politiker reden mittlerweile über Integration und die Notwendigkeit einer sogenannten Altfallregelung. Dennoch werden täglich Menschen abgeschoben. Zunehmend benennen daher UnterstützerInnen der Betroffenen diese Heuchelei beim Namen, das Unverständnis in bereiten Teilen der Bevölkerung wächst: man könne den Eindruck gewinnen, vor einer Bleiberechtsregelung sollten noch schnell möglichst viele Betroffene abgeschoben werden, heißt es seitens der UnterstützerInnenkreise.
Eine zweite Forderung bezieht sich auf die Ausgestaltung der Bleiberechtsregelung selbst. Sollte, wie bei früheren Altfallregelungen, das "eigene, gesicherte Einkommen" ein rigider Ausschlussgrund sein, dann werden nur wenige Betroffene einen Aufenthalt bekommen. Viele sind krank oder traumatisiert, finden keine Arbeit oder bekommen in den allermeisten Fällen dafür keine Erlaubnis der Ausländerbehörde. Daher fordern die verschiedenen UnterstützerInnenkreise langjährig Geduldeter (und in Hessen gibt es noch eine ganze Reihe weitere neben dem Hanauer Bleiberechtsbündnis) eine Regelung, die diesen Voraussetzungen Rechnung trägt und zugunsten der Betroffenen ausfällt.
Die kurdische Familie Akbulut war 1998 vor politischer Verfolgung aus der Türkei geflohen und Vater, Mutter und Sohn leben nun seit bald 8 Jahren in Deutschland. Obwohl der Vater gleich zu Beginn des Asylverfahrens detailliert über Foltererlebnisse in der Türkei gesprochen hat und auch die Mutter (trotz männlichem Anhörer und in Beisein ihres Mannes!) sexualisierte Gewalt angedeutet hat, waren es einzig Ungereimtheiten bei Aussagen zur Einreise, anhand derer die Familie unglaubwürdig gemacht wurde. Und auch in der Folgezeit wurden selbst seitenweise Gutachten von behandelnden Ärzten und Psychologen, die allesamt von posttraumatischen Belastungsstörungen sprechen und Frau Akbulut als suizidgefährdet beschreiben, nicht weiter ernst genommen. Serif lebt seit seinem 12.Lebensjahr in Deutschland. Er hat hier seinen Schulabschluss gemacht und ist gut integriert, hier hat er all seine Freunde und Verwandten. Seit Jahren ist er aktiver Fußballer in Bad Soden Salmünster: Ein zusätzlicher Grund dafür, dass sich auch der dortige Sportverein für ein Bleiberecht der Familie einsetzt. Vor allem aber will die Familie zusammen bleiben. Wie alle behandelnden Ärzte und Psychotherapeutinnen einmütig bestätigen, ist Frau Akbulut als Folge traumatischer Erlebnisse im Herkunftsland mittlerweile schwer erkrankt, und die ständige Angst vor Abschiebung verschärft diesen Prozess. Durch die ständige Angst wächst die Gefahr, dass sie sich selbst etwas antun könnte. Eine Abschiebung in die Türkei würde mit Sicherheit die alten Erlebnisse wieder zurückholen und damit retraumatisierend wirken. Auch der Vater befindet sich in einem angegriffenen Gesundheitszustand und wirkt zunehmend depressiv. Dennoch wollen die zuständigen Behörden die Ausreise mit allen Mitteln durchsetzen. Seit der Inhaftierung ihres Sohnes hat sich der Gesundheitszustand von Frau Akbulut dramatisch verschlechtert. Serif ist die wichtigste Vertrauensperson der Eltern, er ist zuständig für Behördengänge und Arztbesuche. Ohne ihn sind die Eltern hilflos und leben in ständiger Angst. Das einzige was Serif nicht geschafft hat: den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern. Denn eine Arbeitserlaubnis wurde ihm seitens der Ausländerbehörde verweigert. In der Türkei hat Serif berechtigte Angst, sofort zum Militär eingezogen zu werden. Aufgrund der zugespitzten Lage dort hieße das möglicherweise, dass er bei Kriegshandlungen gegen Kurden oder gar im Grenzgebiet des Irak eingesetzt werden könnte.
Weitere Informationen zu Serif und Familie Akbulut und dazu, wie Sie mithelfen können, die drohende Abschiebung zu verhindern finden Sie unter: www.freiheit-fuer-serif.tk. Jegliche Öffentlichkeit ist wichtig, gerade weil Serif für viele andere in ähnlich prekärer Situation steht.
Informationen zum Bündnis für Bleiberecht Hanau/Main-Kinzig, das konkret für eine Bleiberechtsregelung für 17 Familien aus dem Main-Kinzig-Kreis kämpft, finden Sie unter: www.bleiberecht.info
Kontakt zum Bleiberechtbündnis über die Diakonische Flüchtlingshilfe:
df.hanau@gmx.de oder telefonisch: 06181/184369